Productivity & New Work Unser Kolumnist Nico Rose findet: Nicht jedes Unternehmen braucht einen Purpose

Unser Kolumnist Nico Rose findet: Nicht jedes Unternehmen braucht einen Purpose

Ein Feigenblatt namens Purpose: Nico Rose in seiner Kolumne über die Risiken dieser Allzweckwaffe – und welche Unternehmen besser die Finger davon lassen.

„Was nützt mir der Purpose, wenn der Chef ein Arsch ist?“ Mit dieser plakativen Frage kontere ich gerne, wenn mir Gesprächspartner:innen das In-Thema Purpose als Heilsbringer in Organisationen verkaufen möchten. Besonders fuchtig werde ich, wenn „Expert:innen“ den Purpose des Unternehmens mit dem Sinnerleben der Mitarbeiter:innen per se gleichsetzen. Nach dem Motto: Wenn allen Akteur:innen ausreichend eingebläut wird, wozu es den Laden gibt, dann sind auch alle megamotiviert – weil der Job ja so arg sinnstiftend ist. Dieses Bild ist nicht ganz verkehrt, aber doch sehr lückenhaft.

Aus der psychologischen Forschung betrachtet, zeigt sich, dass authentischer Purpose ein Treiber für das arbeitsbezogene Sinnerleben ist. Allerdings kennt die Forschung noch mindestens zwei Dutzend solcher Treiber. Sinn ist die positive Nebenwirkung von Resonanzerfahrungen. Dort, wo wir Verbindung spüren und wir die Erfahrung machen, dass unser Handeln etwas in anderen Menschen zum Klingen bringt, dort entstehen Be-Deutung und Sinn.

Dabei kann es auch um Resonanz mit den Kolleg:innen gehen. Manche:r geht arbeiten, weil die Mitstreiter:innen netter sind als die Leute, mit denen man zusammenwohnt. Genauso gut geht es um Resonanz mit sich selbst. Wer sich auf der Arbeit verstellen muss, kann dies nur auf Kosten des eigenen Sinnkontos tun. Sinnwahrnehmung entspringt zwingend einem subjektiven Konstruktionsprozess. Er kann nicht vorgegeben werden. Der Purpose des Unternehmens muss immer eine Sinneinladung bleiben. Ob sie angenommen wird, hat die Organisation nur bedingt in der Hand.

In den vergangenen Wochen ließ sich prima beobachten, was passieren kann, wenn Unternehmen die Purpose-Karte überreizen. So hatte das Gewürz-Startup Ankerkraut einen gepfefferten Shitstorm an der Backe, als man verkündete, dass die Gründer:innen ihre Anteile an die nicht eben als Love-Brand bekannte Nestlé-Gruppe verkaufen würden. Das ist völlig okay, es herrscht Vertragsfreiheit – und ich gönne dem Gründerteam den finanziellen Erfolg. Doch zeigt sich hier, dass manchmal auch betriebswirtschaftliche Werte vernichtet werden, wenn ethisch-moralische Werte vorher wie eine Monstranz hochgehalten wurden. Beispiel Nummer zwei: Der auf der Nachhaltigkeitswelle surfende Influencer Fynn Kliemann hat – so steht es im Raum – während der Coronapandemie Masken in Bangladesch herstellen lassen, diese jedoch als „Made in Portugal“ deklariert. Hier steht ein klarer Betrugsverdacht im Raum. Da wird aus der heilen Welt ganz schnell eine scheinheilige.

Mich beschleicht der Verdacht, dass so manches Unternehmen derzeit einen Purpose herbeireden will, der in der „Seele“ der Organisation schlicht nicht angelegt ist. Der Purpose soll dann als Feigenblatt herhalten, der die unternehmerischen Baustellen bei grundlegenderen Themen vor neugierigen Blicken schützt.

Ich arbeite übrigens in der Führungskräfteentwicklung mit Startups und Konzernen genauso wie mit der kommunalen Verwaltung und lokalen Finanzinstituten. Bei Letztgenannten stelle ich immer wieder fest, dass dort zwar durchaus einiges im Argen liegt. Doch das Wozu der Organisation ist den meisten sonnenklar. Bei den Führungskräften der Sparkasse in meiner Heimat Hamm klingt das dann so: „Wir sind der Motor der lokalen Wirtschaft. Ohne uns hätten die Leute kein Bares und die Firmen keine Kredite. Wir sind durch Spenden und Fördergelder die tragende Säule der lokalen Kultur- und Kunstszene. Ohne uns läuft gar nichts.“

Ergo: Da, wo es einen echten gesellschaftlichen Mehrwert gibt, ist das Thema Purpose in aller Regel einfach kein Thema. Wer jedoch den 37. Tierfutter-Onlinehändler in Berlin-Kreuzberg gegründet hat, hat ein Problem mit dem Purpose. Dort, wo eine Organisation einen klaren, authentischen Purpose hat, braucht sie nicht darüber zu reden (kann es aber durchaus tun). Wo dies nicht der Fall ist, sollte das Unternehmen nicht darüber reden – sondern ehrlich sein und einfach Geschäfte machen.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 3/22. In unserem Dossier dreht sich dieses Mal alles um das Thema Climate-Tech. Auch mit dabei: Wie der Head of Hiphop dem Streamingriesen Apple Music endlich eine junge Zielgruppe zuführen soll. Außerdem: Was passiert im Super Startup Adventure Camp Barcelona? An welcher veganen Alternative arbeitet das Food-Tech-Startup Perfeggt? Und noch vieles mehr…

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