Innovation & Future Upcycling in Uganda: 3 große Ideen gegen die Vermüllung

Upcycling in Uganda: 3 große Ideen gegen die Vermüllung

Große Probleme, große Lösungen? Upcyling hat in Uganda eine viel höhere Dringlichkeit als anderswo auf der Welt. Ein Besuch bei drei smarten Ideen

Text: Felix Lill // Fotos: Muhammad Ali

Ungefähr einmal in der Woche, wenn die Jungs aus der Nachbarschaft mit einer neuen Ladung Zementtaschen ankommen, schlägt Juliet Namujju vor Freude die Hände zusammen. „Ich bezahle ihnen 2 000 Schilling pro Tasche“, sagt die 25-Jährige auf dem Sofa ihres kleinen Büros. In Euro umgerechnet sind das rund 50 Cent, für die Jungunternehmerin kein geringer Preis.

Dabei sind die Teile für sie nicht wegen des Inhalts kostbar – Zement enthalten sie ohnehin nicht mehr. Juliet Namujju will nur die Taschen selbst. „Für mich sind sie Rohstoff. Ohne sie könnte ich meine Arbeit nicht machen.“

In Maya, einer Kleinstadt rund 25 Kilometer westlich von Kampala, führt sie hinter einer steilen, holprigen Auffahrt durch ihre Produktionsstätte. „Da vorne designe ich mit zwei Kolleginnen unsere Produkte. Hier links wird genäht. Und hier machen wir Teambesprechungen. Die anderen Abläufe finden draußen statt.“

Draußen heißt einerseits: an Baustellen, Straßenrändern und auf Müllhalden, wo Plastikabfall eingesammelt wird. Aber auch in den Häusern der Mitarbeiter:innen, die das Fundgut daheim waschen.

„Hier bei uns entstehen nur die letzten Schritte“, sagt Namujju und deutet vom Sofa, wo sie sich nun niedergelassen hat und ihren hochschwangeren Bauch hält, durch die drei kleinen Räume. An den kahlen Wänden kleben Post-its, in der Ecke steht eine angezogene Schaufensterpuppe, neben der Eingangstür prangt ein übergroßer, geschwungener Schriftzug in Schwarz: Kimuli Fashionability. „Wir wollen mit Mode und Accessoires die Welt verbessern“, legt sich die Unternehmerin auf eine Mission fest. „In kleinem Ausmaß machen wir das auch schon.“

Mehr als PR-Claim

Es ist eine Behauptung, die man gerade in der Modebranche, die rund um Fast Fashion und Sweatshops längst ihren guten Ruf verloren hat, allzu häufig hört. Aber hier, am Rande der Hauptstadt von Uganda, scheint mehr dran zu sein als nur ein Claim, der von einer PR-Agentur zugeliefert wurde.

Kimuli Fashionability sammelt immerhin Müll, um daraus etwas Begehrenswertes zu schaffen. Das Angebot reicht von Handtaschen über Portemonnaies bis zu Regenjacken. „Wir müssen noch viel mehr machen“, sagt die Gründerin. „Die Probleme werden ja immer allgegenwärtiger. Sie sind schon überall.“

Tatsächlich ist das Müllproblem hier schwer zu übersehen: Plastikflaschen rollen den Straßenrand entlang, gebrauchte Verpackungen verunstalten öffentliche Grünflächen sowie Felder, die von der Landwirtschaft genutzt werden, manchmal fliegen Tüten sogar durch die Luft. Die schätzungsweise 600 Tonnen Plastikmüll, die das ostafrikanische 46-Millionen-Einwohner:innen-Land täglich verursacht, sind zwar ein Bruchteil von den gut 30 000 Tonnen pro Tag in Deutschland. Da hier aber praktisch nicht recycelt wird, sticht das Problem in Uganda umso deutlicher und präsenter ins Auge.

Wo man auch hinsieht, ist Müll meist im Blickfeld. Und das hat natürlich schwerwiegende Folgen für die Umwelt. Der Nnalubaale, der zweitgrößte Süßwassersee der Welt (und den man in Europa als Victoriasee kennt), verliert auch wegen der Verschmutzung nach und nach an Leben. Eine große Zahl von Pflanzen und Tieren ist hier in Gefahr.

40 Millionen Menschen hängen ökonomisch vom See ab – nur werden seine Ressourcen immer rarer. Die kaum irgendwo kontrollierte Entsorgung von Kunststoffen und Plastik, ob im Wasser oder auf Feldern, birgt zudem gesundheitliche Gefahren: in Gestalt schlechterer Wasserqualität, Asthma und gar Lungenkrebs.

In der direkt am Victoriasee gelegenen Metropolregion Kampala, wo diese Probleme noch einmal weniger zu übersehen sind, werden zumindest Lösungen angedacht und gefunden. Kimuli Fashionability ist nur ein Vertreter, in den letzten Jahren ist gleich eine Vielzahl sozialorientierter Unternehmen entstanden. Sie alle wollen dem Plastikmüll nicht nur den Kampf ansagen, sondern ihn gewinnbringend einsetzen oder ersetzen. Und häufig ist es die eigene Biografie, die die Jungunternehmer:innen von Kampala antreibt. „Bereits mit fünf Jahren war ich Waise“, erinnert sich Namujju. „Meine Oma sorgte für mich. Und sie hatte kein Geld für Spielzeuge.“

Da die Großmutter der kleinen Juliet als Schneiderin ihr Geld verdiente, schaute sich das Enkelkind schon früh die nötigen Fertigkeiten ab. „Bald brachte ich mir selber bei, wie ich mir aus Plastikflaschen und -tüten Puppen basteln konnte.“ Nach ihrem Schulabschluss wäre Namujju dann gerne an die Uni gegangen, doch der Großmutter fehlte das Geld für die Gebühren. „Über ein paar Ecken erfuhr ich von einem Programm für Entrepreneurship hier in der Nähe.“

Frisches Unternehmer:innentum

15 weitere Kilometer westlich, hoch auf den Hügeln der Stadt Mpigi, deren Ausläufer nach Kongo und Ruanda deuten, liegt seit acht Jahren die Social Innovation Academy, oder kurz: SINA. Es ist nicht weniger als eine Siedlung für sozialorientierte Startups. „Ohne diesen Ort hätte ich heute mein Unternehmen nicht“, sagt David Monday mit Stolz in den Augen und zeigt rings um sich. Links von ihm ein größeres mehrstöckiges Gebäude, daneben eine Hütte, die Snacks verkauft, gegenüber, hinter einem gut gepflegten Beet, ein Tagungszentrum. Müll ist nicht zu sehen.

„Die meisten der Häuser hier habe ich gebaut“, sagt David Monday und marschiert voran. Schnell fällt an den Gebäuden ein verbindendes Element auf: aus der Fassade blitzende Deckel oder Böden von Plastikflaschen. „Dazu gibt es eine Geschichte“, sagt der schmächtige Gründer mit breitem Kreuz, bittet in ein rundes Haus und setzt sich auf eine Pritsche aus Holz. „Als ich ein Kind war, kam mein kleiner Bruder bei starken Regenfällen ums Leben. Er war erst sechs, er fiel in einen Abwasserkanal. Von den vielen Plastikflaschen wurde er nach unten gedrückt. Deshalb überlebte er nicht.“

Plastik kann töten

Bei der Trauer um seinen Bruder wollte es der heute 36-Jährige nicht ewig belassen. Monday hebt den Zeigefinger: „Ich dachte mir: Wenn Plastik ein so starkes Material ist, dass es Menschen töten kann, muss man es doch auch konstruktiv nutzen können.“

Im Jahr 2014 gründete Monday hier in Mpigi sein Unternehmen Upcycle Africa Limited: ein Planungs- und Bauunternehmen, das auf Plastikflaschen als einen der wichtigsten Rohstoffe zählt. Warum? „Erstens: Wir wollen die Flaschen der Umwelt entziehen. Zweitens: Sie sind ein billiger Baustoff.“

Bevor Monday sein Unternehmen gründete, arbeitete er einige Jahre lang auf dem Bau, wo er sich Grundkenntnisse der Statik und Architektur draufschaffte. „Ich bin ein schneller Lerner“, sagt er. So kam er bald auf die Idee, dass, wenn er Plastikflaschen mit Erde füllt, ein recht harter, feuersicherer Baustoff entstehen könnte. „Die Lücken fülle ich mit einer Mischung aus Sand und Zement, so ziehe ich Wände hoch. Die Dachziegel bestehen aus aufgeschnittenen Autoreifen, Ziegeln oder Stroh. Der Boden ist ein Gemisch aus Beton, Sand und Eierschalen.“ Der Rest sei eine Frage des Designs.

Über 100 Häuser hat Upcycle Africa bis heute gebaut: neben Uganda auch in Südafrika, Tansania und Nigeria. Der Bauvorgang für ein kleines einstöckiges Häuschen von rund 30 Quadratmetern dauert nur zwei Monate und kostet rund 1 300 Euro. Vorm eigentlichen Bau geht es darum, die Materialien zu sammeln, Flaschen zu stopfen, den Beton anzurühren. Ähnlich wie Juliet Namujju vertraut Monday bei der Beschaffung von Plastikmüll auf junge Menschen, die ohne diese Aufgabe womöglich kein Einkommen hätten.

Danke, SINA!

Die beiden Gründer haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Ihre Existenzgründung verdanken sie SINA. Die Non-Profit-Organisation, die mittlerweile auch in anderen Teilen Ugandas sowie in Simbabwe und Kongo Ableger gegründet hat, ist die Schöpfung des Berliners Etienne Salborn. Der hatte nach seinem Schulabschluss im Jahr 2006 statt Wehrdienst soziale Arbeit in Uganda geleistet. Dort beobachtete Salborn immer wieder, wie Kindern das Geld für höhere Schulbildung fehlte. Dadurch konnten sie auf dem ohnehin herausfordernden ugandischen Arbeitsmarkt kaum Fuß fassen.

Mit Spendengeldern aus Deutschland und anderen wohlhabenderen Ländern hat es sich SINA seither zum Auftrag gemacht, dabei zu helfen, dass junge Menschen ihr Schicksal verstärkt selbst in die Hand nehmen. „Wer sich bei uns bewirbt, kann für ein Jahr zum Beispiel in der Siedlung in Mpigi wohnen“, sagt Tonny Wamboga am Abend in einer hippen Bar im Zentrum von Kampala. „Da oben erhält man einen Kurs zu Entrepreneurship, um die eigene Geschäftsidee zu entwickeln.“ Wamboga, ein kräftiger Typ in dunklem Sweatshirt, arbeitet für SINA als Operations Manager, PR-Mann und Fundraiser in Personalunion.

Kampf dem Plastik

Den Job wiederum hätte er kaum bekommen, wenn er ab 2016 nicht selbst bei SINA gelernt hätte. „Ich hatte Glück, von den 180 Bewerbern einen Platz zu erhalten“, sagt er heute. Wie praktisch allen Absolventen fehlte ihm für ein Studium das Geld, an Ideen allerdings mangelte es nie. Um sein Geschäftskonzept zu erklären, muss er nur mit seinen Augen auf den Iced Latte vor sich zeigen. „Ich hasse es, Einwegplastik zu sehen. So wie diesen Strohhalm hier in meinem Glas.“ Schließlich wachse in Uganda, und womöglich auch anderswo, ein Gras namens Luseke. „Es ist kräftig, innen hohl, stößt bei Wasserkontakt keine Schadstoffe aus und ist im Überfluss vorhanden.“

Wambogas Ziel, das er neben seinem Job bei SINA ehrgeizig weiterverfolgt, ist seitdem der Sieg im Kampf gegen die Plastikstrohhalme. Ouroots Africa heißt das Unternehmen des 28-Jährigen, für das er immerhin bereits sechs Vollzeitkräfte beschäftigt. „Wir gehen auf die Felder, mähen das Gras, kürzen und schneiden, waschen, labeln und verpacken es.“ Das Problem bisher: Während ein einzelner Plastikstrohhalm in Uganda rund 100 Shilling kostet (umgerechnet keine 3 Cent), ist ein Halm aus Luseke dreimal so teuer. Weil er sich wiederverwerten lässt, zählen schon einige Hotels und Restaurants in Kampala zu Wambogas Kunden. Doch er sagt: „Wir sind immer noch klein. Und wachsen sagt sich so leicht.“

Kapitalzugang fehlt

Ouroots Africa steht vor der gleichen Herausforderung wie Kimuli Fashionability, das mittlerweile 25 Menschen beschäftigt, und Upcycle, für das bei einer Baustelle sogar mehr als 100 Personen arbeiten: Es fehlt generell an Zugang zu Kapital. „Wenn wir eine Maschine hätten, die Zement anrühren oder sogar Flaschen mit Erde stopfen kann, wären wir noch viel schneller“, sagt David Monday in Mpigi.

Juliet Namujju in Maya schließt sich ihm mit denselben Sorgen an: „Ich bräuchte eigentlich viel mehr Nähmaschinen.“ Genauso weiß Tonny Wamboga, dass es Maschinen gibt, die das Schneiden, Labeln und Verpacken erledigen könnten – und somit dem Unternehmen größere Sprünge ermöglichen würden. Doch alle diese Gerätschaften kosten Geld, das für diese Zwecke schlicht nicht aufzutreiben zu sein scheint. Und man ist offenbar in einem Investment-Teufelskreis gefangen: „Wenn du nicht schon ordentlich Kapital auf dem Konto hast, gibt dir keine Bank einen Kredit“, sagt Wamboga.

Was fehlt, ist ein funktionierendes Risikokapital-Ökosystem, das wagnisreiches Denken und Handeln befeuert und Gründer:innen zumindest die ersten Gehversuche machen lässt. Klassische Banken sind ohnehin seit Jahren nicht mehr die ersten Ansprechpartner, wenn es für junge Unternehmen darum geht, sich erstes Geld zu beschaffen – zu gering ist dort die Toleranz, über zwei Quartale hinauszuschauen.

Selbst dem wichtigen Startup-Inkubator SINA wiederum fehlt es an Mitteln. „In jede erfolgreiche Bewerberin und Bewerber können wir über ein Jahr ungefähr 2 000 US-Dollar investieren“, rechnet Wamboga vor. „Drei Viertel unserer Absolventen setzen danach auch wirklich ihre Geschäftsidee um.“

Danach sind die Betriebe, von denen sich ein Großteil auf die eine oder andere Weise des Plastikproblems im Land annimmt, finanziell auf sich allein gestellt. „Es ist schade“, sagt Wamboga und blickt in die Weite des Abendhimmels von Kampala. „Hier gibt es so viele gute Ideen. Aber die meisten unserer Startups gelangen irgendwann an einen Punkt, an dem sie dann jenseits von 10 000 oder vielleicht 20 000 Dollar Jahresumsatz kaum noch wachsen können.“ Wobei der Durchbruch mehrerer Startups von Kampala längst nicht nur deren Gründer:innen helfen würde – sondern einem ganzen Land, das ernsthaft droht, im Müll zu ersticken.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 4/22. Gregor Gysi, Claudia Obert und die Tiktokker Elevator Boys haben mit uns über Geld gesprochen. Außerdem haben wir Streetwear-Legende Karl Kani getroffen und unseren Reporter Dolce Vita auf der Modemesse Pitti Immagine Uomo genießen lassen. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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