Female Entrepreneurship Auf Nimmerwiedersehen, Girlboss!

Auf Nimmerwiedersehen, Girlboss!

Text: Verena Bogner

2014 war ich gerade einmal 22 Jahre alt. Am Anfang meiner beruflichen Karriere, kurz vor dem Abschluss meines Studiums. Ich fragte mich, was ich einmal werden wollte, wenn ich endlich groß bin – und die SheEOs und Bossbabes dieser Welt waren gekommen, um mir genau diese Frage zu beantworten. Mein Berufswunsch stand fest: Girlboss! Aus meinen Kopfhörern dröhnte die Girlpower-Hymne „Flawless“ – und mein Notizbuch mit der Aufschrift „You have as many hours in a day as Beyoncé“ und ich waren bereit, diese gottverdammte Welt zu erobern.

Es war die Hochzeit des niedlich vermarktbaren Lifestyle-Feminismus für privilegierte Millennial-Frauen wie mich. Nachdem die US-amerikanische Gründerin Sophia Amoruso ihr Buch „#Girlboss“ veröffentlicht hatte, in dem sie anhand des altbekannten Kapitalismusmärchens erklärte, wie sie den Aufstieg allein mithilfe von harter Arbeit und allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft hatte, entstand ein popkulturelles Phänomen, das Frauen wie mich in seinen Bann zog.

Hirnverbrannte Prämisse

Die hirnverbrannte Prämisse lautete wie folgt: Verhalte dich nicht wie die Frau im Raum, spiel nach den Regeln der Männer, jammer bloß nicht rum, und bahne dir so deinen Weg nach oben. Aber das war noch nicht alles: So ganz nebenbei wurde das Ganze auch noch als feministischer Akt geframt. „Ein echter Girlboss verhält sich nicht solidarisch.“ Aber genau das ist doch der Kern des Feminismus: systematische Benachteiligung aufbrechen. Der Girlboss aber denkt nur an sich selbst und das eigene Fortkommen in einer kapitalistischen, patriarchalen Welt. Dieselben Egomanen, aber jetzt auch mit weiblicher Genderzuschreibung? Nein, danke!

Das sage ich jetzt, in der Rückschau. Erfolgreich sein und dabei auch noch für meine Leistungen als Frau gefeiert werden – das klang damals noch wie ein Deal, zu dem ich nicht Nein sagen wollte. Ich war euphorisiert und mir meiner Sache sicher: Ich, ich, ich bin es, die die gläserne Decke durchbrechen wird! Zu dieser Zeit begann ich mich als weiße, privilegierte und behütet aufgewachsene Frau oberflächlich mit dem Thema Feminismus zu befassen.

Ästhetisch verpackter Kapitalismusgehorsam

Da kam mir dieser weich gespülte Girlpower-Blödsinn genau recht, denn ich war motiviert, unverbraucht, naiv. Die Pop- und Konsumkultur der späten 2010er sprang bereitwillig auf den Hype-Train auf: Ich kaufte Girlpower-Merch und gab mich voller Enthusiasmus einer Logik hin, die nicht mehr war als ästhetisch verpackter Kapitalismusgehorsam. Dass mein Feminismus mehr mit Konsum und Pose als tatsächlichem Engagement zu tun hatte, würde mir schon niemand übel nehmen, immerhin war ich eine selbstbestimmte junge Frau, die „Not That Kind of Girl“ von Lena Dunham im Bücherregal stehen hatte.

Im Laufe der Zeit zeigte sich schließlich das wahre Gesicht der Girlbosses: Sophia Amoruso wurde beispielsweise vorgeworfen, (schwangere) Frauen in ihrem Unternehmen diskriminiert zu haben. Es begann, in meinem Kopf zu rattern: Waren Frauen vielleicht doch nicht einfach mal so „die besseren Männer“? Ich bemerkte, dass mein individueller Erfolg nicht alles war. Denn auch der änderte nichts daran, dass ich als Frau im Job immer mal wieder den Kürzeren zog.

Das Perfide am Girlboss-Feminismus ist, dass er die Last eines durch und durch fehlerhaften Systems, das Frauen und insbesondere Women of Color immer noch auf vielfältige Weise benachteiligt, ungerecht bezahlt, diskriminiert, das ihnen nicht dieselben Chancen bietet, auf den Schultern der einzelnen Frauen ablädt: Schaffen wir es nicht, unsere Ziele zu erreichen, haben wir uns einfach nicht genug angestrengt. Dabei vergessen wir, dass es meist strukturelle Hürden wie der Gender-Pay-Gap oder der Promotion-Gap sind, die uns daran hindern, unser Potenzial auszuschöpfen und gleichberechtigt zu arbeiten.

Selbstausbeutung als Feminismus verkleidet

Heute steht der Girlboss-Hype für eine Kultur der (Selbst-)Ausbeutung unter dem Deckmantel des Feminismus und einen Lifestyle, der zum Erhalt alter Strukturen beiträgt, aber vorgibt, sich gegen eben diese zu stellen. „Der Aufstieg und Fall der Girlbosse sagt viel darüber aus, wie vertraut wir mittlerweile damit sind, Kapitalismus mit sozialer Gerechtigkeit zu vermischen“, schrieb die Autorin Leigh Stein in einem Abgesang auf den Girlboss-Feminismus – und trifft es damit auf den Punkt.

Je länger ich mich in der Welt der Lohnarbeit bewegte, noch dazu in einer teilweise prekären Branche wie dem Journalismus, wo für Vollzeitpraktika Gehälter im niedrigen dreistelligen Bereich üblich sind, desto mehr dämmerte mir, dass hier etwas faul war – und meine Ansichten ganz schön egoistisch und ignorant.

Die Ausbeutung von jungen Arbeitskräften ist gang und gäbe, Alltagssexismus keine Seltenheit und gerechte Bezahlung etwas, das man sich hart erkämpfen muss. Meiner Erfahrung nach als Frau immer noch ein bisschen härter als der männliche Kollege, der einen Bruchteil der eigenen Arbeit leistet. Und an all diesen Umständen konnten auch die Girlbosses dieser Welt nichts ändern.

Einer der vielen Gründe, weshalb wir das Konzept hinter uns lassen und darüber nachdenken sollten, wie wir Frauen die Arbeitswelt in Zukunft mitgestalten können, ohne zu den egoistischen, machtgeilen und vor allem diskriminierenden Arschlöchern zu werden, gegen die wir eigentlich ankämpfen sollten.

Da ist das Ding! Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das ewige Leben. Was geht bei KI, Kryotechnologie, Longevity und Brain-Uploads? Außerdem: Hollywoods Indie-Genie Todd Field über Cancel-Culture, ein Graf aus Bayern begeistert die Gen Z auf Tiktok mit Benimm-Videos und wir haben uns die Startupszene von Stockholm genauer angesehen. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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