Green & Sustainability Dieses Startup will die Welt verbessern – mit Bio-Brühen aus Thüringen

Dieses Startup will die Welt verbessern – mit Bio-Brühen aus Thüringen

Kampfansage an die Lebensmittelindustrie: Food-Liebhaber Jörg „Kinski“ Daunke will die Welt zu einem besseren Ort machen. Und das mit Bio-Brühen und Gewürzen. Wir bekommen Einblick in Goodvenience im tiefsten Thüringen.

Der letzte Februartag ist kalt. In Weimar liegt Schnee, auf den die Sonne scheint. Vom historischen Bahnhof mitten in der Goethe-und-Schiller-Stadt geht es mit dem Auto raus aus dem Stadtkern Richtung Südosten. Nach Magdala, praktisch genau zwischen Weimar und Jena gelegen, braucht man nur 15 Fahrminuten. Ende der Fahrt ist vor einem Wohnhaus. Leere Gegend, Menschen sind nur wenige zu sehen. Doch genau hier trifft man auf das, was man am wenigsten erwarten würde, fernab der Berliner oder Münchner Wirtschaftsblase: ein Startup.

Goodvenience.bio heißt es. Gegründet wurde es von Jörg „Kinski“ Daunke 2018. „Kinski“ hat sich über Jahrzehnte als Markennachname etabliert. In seinem Häuschen mit großzügiger Terrasse mitten in Thüringen sitzt Daunke am Laptop, ist in virtuellen Meetings, während seine Frau und Co-Gründerin Yvonne Diepold Kaffee kocht und ankündigt, sie müsse dann auch gleich in den nächsten Call.

Daunke trägt Sportleggings, darüber eine kurze Hose, Pullover mit Weste, eine große, eckige Brille und eine Cap mit seinem eigenen Logo. Die Küche ist auch zentraler Arbeitsplatz für die beiden.

Brüh im Glanze

Überall stehen in den Ecken unzählige Gläser: Brühen, Soßen, Gewürze. Es sind überwiegend die eigenen Produkte. Denn Goodvenience produziert Brühen für die asiatische Küche, nachhaltig, lokal, biozertifiziert. Die Gläser und Flaschen sind aus dunklem Glas, bedruckt mit bunten Etiketten. „Lecker seit immer“, steht darauf, es ist der durchaus griffige Claim von Daunkes Produkten. An eine Küchenwand aus Glas sind mit Marker To-dos und Strategiepläne geschrieben.

Daunke hat sich mit „Kinski“ vor über 20 Jahren einen Namen in der deutschen Food-Szene gemacht, angefangen mit einer Club-Bar Anfang 2000 in Jena. Daunke hatte damals nicht nur eine Leidenschaft für elektronische Musik und Drinks, sondern auch schon für gutes Essen.

„Die Hausbar war der bunte Mittelpunkt von Jena“, sagt Daunke. Nachdem sie wegen Lärmbeschwerden in der Nachbarschaft schließen musste, veranstaltete er andere große Partys in ganz Thüringen. Wenig später eröffnete er den nächsten Laden in Jena: einen Waschsalon mit Cocktailbar.

„Damals hat sich unser Leben wie in einer Kommune angefühlt“, sagt Daunke. Er kochte regelmäßig für seine Belegschaft im Laden. Und zwar so gut, dass er anfing, auch für die Kund:innen zu kochen, erzählt er. Die Idee: nachhaltige Burger. Daneben hatte er noch einen Club am Laufen.

Nachdem allerdings auch der zweite Laden in Jena wegen Lärmbeschwerden schließen musste, konzentrierte Daunke sich auf Foodtrucks, tourte damit durch ganz Deutschland und die Schweiz. Seine Spezialität: Pastrami-Sandwiches. 2015 erhielt er dafür seine erste Auszeichnung, den Street Food Award.

Ein Restaurant in Berlin-Friedrichshain eröffnete er auch, dafür lebte Daunke eine Zeit lang in Berlin. 2017 dann die Entscheidung: Schluss mit dem Hin und Her. „Vor allem Tierwohl war immer schon ein Thema für mich“, sagt Daunke. Er wolle sich jetzt vollkommen auf den nachhaltigen Verzehr von Fleisch konzentrieren. Und zwar mitten aus Thüringen heraus.

Huhn, Rind, Pilz

Seine Spezialität seitdem: Brühen. Und zwar aus Huhn, Rind oder Pilzen. „Aber wir brauchten einen USP. Ich habe eine große Affinität zu Japan, warum also nicht Brühen für Ramen machen?“, sagt Daunke. Der Ramen-Trend sei immerhin ungebrochen, auch wenn einen in Friedrichshain-Kreuzberg gefühlt an jeder zweiten Ecke ein Ramenladen lockt.

Daunke wusste den Trend schon früh für sich zu nutzen. Zu den Brühen kamen später noch Gewürze und Soßen hinzu. 45 verschiedene Produkte sind es heute insgesamt. Madras Curry, Chicken Barbecue, Garam Masala, Wok Spice. Das meistverkaufte Produkt: Chili-Crunch.

Hergestellt werden die Produkte in der eigenen Manufaktur, nur fünf Autominuten vom Wohnhaus entfernt. Im Erdgeschoss große, silberne Behältnisse und Maschinen. Hier werden die Brühen gekocht. In einem daran anschließenden Lagerraum reihenweise Regale mit Kisten: Nelke, Bockshornklee, Wacholder, Piment, Kurkuma. Hier lagert Goodvenience kiloweise Gewürze, die für die Produkte verarbeitet werden.

„Wir arbeiten mit allem hands on“

Jörg Daunke

Im Obergeschoss ein überschaubares Büro. „Wir haben nur 64 Quadratmeter Küche“, sagt Daunke. „Aber aus der haben wir allein letztes Jahr 1,7 Mio. Euro Umsatz rausgeschoben.“ Bereits fünf Jahre nach Gründung verzeichnet Goodvenience damit also einen Millionenumsatz. „Wir haben nicht viel Platz, um Maschinen aufzustellen, also braucht es viel Handarbeit. Wir arbeiten mit allem hands on“, sagt Daunke. Zwölf Menschen sind mittlerweile Teil des Teams.

Von der Manufaktur geht es mit dem Auto weiter über eine verschneite Landstraße, dieses Mal sind es knapp eine halbe Stunde Fahrt in ein Industriegebiet. In einer großen, hohen Halle werden die Flaschen und Produkte von Goodvenience etikettiert, in Kisten geräumt und versandt. Neben dem Onlinegeschäft zählen zu den Kund:innen viele Feinkostläden und Fachmetzgereien, aber auch Biosupermärkte wie Alnatura und Dennree.

„In die großen Ketten haben wir es noch nicht geschafft. Da fehlt uns die passende Location, um die Produktion zu optimieren und an einem einzigen Standort zertifizieren zu lassen“, sagt Daunke. Mit den Mengen, die Goodvenience per Handarbeit produziert, wäre der Einstieg in die Supermarktketten allerdings auch schwierig. Man konzentriere sich erst einmal weiterhin auf das boomende Onlinegeschäft.

Elf Investor:innen konnte Goodvenience bis heute gewinnen, die meisten von ihnen kommen aus Berlin. 2021 ist zum Beispiel das Venturecapital- und Private-Equity-Unternehmen Shio Capital eingestiegen. Auch wenn Goodvenience selbst ein Startup ist, scheint Daunke sich davon etwas distanzieren zu wollen. „Wir sitzen nicht in einem Startup-Büro in Berlin mit 20 Menschen nur für Marketing und spielen Tischtennis“, sagt er. „Wir müssen etwas dafür tun.“

So wie es Oma schon gemacht hat

Er schmecke jedes einzelne Produkt selbst ab. „Wir kochen die Brühen 48 Stunden mit echten Knochen, so wie es Oma schon gemacht hat. Das ist sehr aufwendig. Wir nehmen den Menschen zu Hause diesen Schritt ab“, sagt Daunke.

Für die Brühen auf Fleischbasis arbeitet Goodvenience mit Bauernhöfen aus Schwäbisch Hall zusammen, von denen Daunke weiß, dass es den Tieren dort gut gehe, erzählt er. „Das sind Bauern, die zur bäuerlichen Erzeugergemeinschaft gehören, die dürfen höchstens hundert Tiere halten“, sagt Daunke.

Alle anderen Zutaten beziehe er ausschließlich aus kontrolliert biologischem Anbau. Die verarbeiteten Chilis zum Beispiel werden vom Biohof Aga der Lebenshilfe Gera angebaut, der Honig kommt vom Biolandimker in Leipzig, das Steinsalz aus Thüringen. Nichts mit Massentierhaltung oder Massenproduktion also.

„Eine Kampfansage gegen den Fertigmist der verdammten Lebensmittelindustrie“, heißt es in dem Prospekt von Goodvenience. Große Töne aus einem kleinen Unternehmen, das einen Unterschied in der Lebensmittelindustrie machen will. Auch, indem sie mit ihrem Geschäft gegen die Unmengen an Abfall vorgehen wollen, die in der Lebensmittelindustrie entstehen.

Ein Beispiel: Hühnerfüße, die in der Regel in der Massenproduktion entsorgt werden. „Wir haben ein Verfahren entwickelt, sodass wir die Hühnerfüße für unsere Produkte benutzen dürfen“, sagt Daunke.

Was ist Bio, was nicht?

Mittlerweile kommen immer mehr lokale Anbieter auf Goodvenience für eine mögliche Partnerschaft zu. „Die Partner sollten biozertifiziert sein, das ist unsere Prämisse“, sagt Daunke. Allerdings gebe es Ausnahmen, wenn er das Gefühl habe, er könne die Tiere trotzdem nachhaltig verwerten. Dafür besuche er die Bauernhöfe und mache sich immer persönlich ein Bild vor Ort.

Stellt sich nur die Frage: Wie wird Bio wirklich gewährleistet? Mittlerweile werden auch offizielle Siegel von Konsument:innen kritisch hinterfragt. Das EU-Biosiegel sei einfach zu bekommen, es koste nicht viel Geld, man müsse einmal im Jahr nachweisen, woher die eigenen Produkte kommen, kein Hexenwerk, sagt Daunke.

Das Problem liege woanders: „Die Unternehmen werden nicht an die Hand genommen. Sonst würde es viel mehr Bio geben. Was gab es für das nachhaltigste Unternehmen Europas? Einen feuchten Händedruck.“ Für sein Engagement wurde Daunke 2022 mit dem Organic Award der Europäischen Union in der Kategorie „Bestes kleines oder mittelständisches Bio-Unternehmen“ ausgezeichnet. Daunke fordert mehr Geld und Aufklärung für den Biosektor.

„Was gab es für das nachhaltigste Unternehmen Europas? Einen feuchten Händedruck.“

Jörg Daunke

Vielleicht ist gerade die Phase der Inflation, in der sich die Preise von konventionellen Produkten deren der Bioprodukte annähern, eine Chance, mehr Menschen dazu zu bewegen, die nachhaltigere Variante zu kaufen. Schließlich kostet auch die Nicht-Bio-Gurke mittlerweile 2 Euro.

Daunkes Vision ist klar: „Ich will mit dem, was wir machen, dem Planeten etwas Gutes tun.“ Tag für Tag will er neue Ideen für nachhaltige Produkte entwickeln. Wenn Kinski wie zu Clubzeiten die Menschen begeistert, könnte es sein, dass in Magdala die Straßen dann doch ein wenig voller werden.

Da ist das Ding! Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Immobilien und den Traum vom Eigenheim. Außerdem haben wir Netflix-Showrunnerin Anna Winger getroffen und die Brüder Ahmed und Mike Chaer, die deutsches Wrestling groß machen wollen. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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