Leadership & Karriere Jörg Kukies: Der Mann, der jetzt die Geldhähne aufdrehen soll

Jörg Kukies: Der Mann, der jetzt die Geldhähne aufdrehen soll

Jörg Kukies ist neuer Finanzminister. Der Ex-Investmentbanker kann vor allem eins: Geld ausgeben. Und als die Commerzbank ihn jüngst gebraucht hätte, um nicht zum Übernahmeobjekt für die italienische Unicredit zu werden, war er wie vom Erdboden verschluckt.

Der Knall, in dessen Zentrum Christian Lindner und Jörg Kukies standen, ist keine zwei Monate her: Sie beide haben den Verkauf der Hälfte der Staatsanteile der Commerzbank an den italienischen Konkurrenten Unicredit, nicht verhindert. Der eine als Finanzminister und damit verantwortlich für die Finanzagentur des Bundes, die den Verkauf betrieb. Der andere als parlamentarischer Staatssekretär im Kanzleramt und dort zuständig für alles, was die Finanzen angeht. Beide haben sie in den entscheidenden Stunden nichts Entscheidendes getan. Kukies war in der Nacht, in der es darauf ankam, nicht erreichbar. Und so kam es, dass die Bankchefs in Frankfurt morgens aufwachten und sich die Augen rieben, weil sie sich mitten in einer Übernahmeschlacht gegen die italienischen Konkurrenten befanden, die sie nicht angezettelt hatten. Es war nur einer von den vielen Patzern, die sich die jetzt kollabierte Regierung geleistet hat.

Ein Treppenwitz der Geschichte ist es allerdings, dass der eine, Christian Lindner, als Finanzminister jetzt von Kanzler Olaf Scholz gefeuert wurde, und der andere, Jörg Kukies als Vertrauter des Kanzlers für Finanzen zu Lindners Nachfolger berufen wurde. Wer ist der Mann, der jetzt die Finanzen zusammenhalten sollte?

Der heute 56-Jährige, der unter anderem an der Pariser Sorbonne und in Harvard studiert hat, ist eine Koryphäe im politischen Betrieb: Mehr als 17 Jahre verbrachte er bei der Investmentbank Goldman Sachs. Dort war er zuletzt für das Deutschland-Geschäft verantwortlich und Co-Vorsitzender für Goldman Sachs Deutschland und Österreich. Ein Bericht aus der „FAZ“ aus dieser Zeit betrifft die Prognosefähigkeiten des damaligen Bankchefs: Die ging „grandios schief“, wie die Journalisten damals schrieben. Der Deutschland-Chef der größten Investmentbank der Welt lag mit sämtlichen Zukunftsaussagen, was Aktien und Märkte anbelangte, so weit von der Realität entfernt, dass die Reporter nicht umhinkamen, das zu notieren.

Schwamm drüber. Was bleibt: Das Ganze ist keine typische SPD-Laufbahn. Als junger Mann war Kukies immerhin mal Juso-Chef in Rheinland-Pfalz und damit ein Vorgänger von Andrea Nahles, die zwischendurch ja auch mal SPD-Chefin gewesen ist. Vielleicht kam darüber irgendwann der Kontakt zu Scholz zustande. Die beiden trafen sich für 30 Minuten, aus denen nach Berichten der Beteiligten zweieinhalb Stunden wurden. Scholz überzeugte ihn, die Seiten zu wechseln. Statt Big Money auf den internationalen Finanzmärkten hieß es nun Akten wälzen in der obersten deutschen Finanzbehörde, die Scholz als Finanzminister damals leitete. Auch persönlich dürfte für Kukies statt „big, big money“ nur noch „big money“ herausgekommen sein, oder um es so zusagen: Ein Staatssekretär mit seinen knapp 20 000 Euro Monatslohn kommt an die Boni eines Investmentbankers in der Regel nicht heran.

Mit dem Amtsantritt von Scholz als Bundeskanzler im Jahr 2021 wurde Kukies Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Dort ist er der Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik sowie der Abteilung Europapolitik vorgesetzt. Darüber hinaus ist er deutscher „Sherpa“ der G7- und G20-Gipfel. Das bedeutet, dass er für den Kanzler die Abschlussdokumente der Treffen verhandelt. „Das ist einfach eine faszinierende Aufgabe, wenn man zusammenarbeitet mit den größten und wichtigsten Demokratie- und Industrienationen der Welt, um Klimaneutralität zu erreichen – das ist einfach eine tolle Aufgabe“, meinte Kukies.

Doch Kukies war von Anfang an auch der Mann fürs Geldausgeben. Laut einem Spiegel-Bericht drängte er noch zwei Tage vor der größten betrügerischen Pleite in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, der Wirecard-Insolvenz, in einem Telefonat mit der KfW die sih sträubende staatliche Bank dazu, einen weiteren Kredit an den Pleitekandidaten zu vergeben. Neben Wirecard war auch damals schon die Commerzbank eines seiner Hauptprojekte. Der Investmentbanker betrieb dort auf Wunsch seines Chefs Scholz, dass, was er gelernt hatte: Nämlich Firmen miteinander ins Geschäft zu bringen. Die Fusion von Commerzbank und Deutscher Bank, die einen internationalen Champion hervorbringen sollte, war sein erklärtes Ziel, mit dem er allerdings scheiterte.

Der neue Finanzminister war auch einer der entscheidenden Rettungsarchitekten in der Corona-Krise, was dem Investmentbanker selbst im linken Lager Respekt verschaffte. Die Corona-Bazooka war sein Werk, er überzeugte den damaligen Finanzminister Olaf Scholz, die Geldschleusen zu öffnen. Auf die Frage, warum er das tat, antwortete Kukies mit einem Wort: „Lockdown.“  Dann erläuterte er: „In dem Moment war klar, dass nur noch der Staat stabilisieren kann. Das ist logisch, wenn man Volkswirtschaften überall auf der Welt aus gesundheitlichen Gründen bremsen muss, kann das keine Privatwirtschaft allein stemmen.“

Dafür gab es weltweiten Beifall: Der „Economist“ schrieb: „Deutschland öffnet den Geldhahn“. Kukies und Scholz‘ Entscheidung zeige, „wie weit sich Deutschland von seiner Karikatur als defizitbesessener Geizkragen entfernt hat“. Es war, so urteilten das Ausland und die Linken, „ein Paradigmenwechsel, mehr Keynes, weniger schwäbische Hausfrau“. Auch eine gemeinsame Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene war fortan kein Tabu mehr. Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi lobte Kukies dafür, dass er den Bundestagsabgeordneten oft sehr ausführlich Rede und Antwort stehe. „Wenn er in den Ausschuss kommt, fällt das Mittagessen aus. Er ertränkt kritische Fragen in Details, ist aber sehr verbindlich.“

Was sich aus dieser Beschreibung des neuen Finanzministers ableiten lässt? Kukies macht das Amt, das er maximal für wenige Monate bekleiden dürfte, nicht für Geld. Muss er gehen, erhält er für maximal zwei Jahre die Hälfte seiner jetzigen Bezüge. Die üppige Altersvorsorge der Staatssekretäre ist ihm sowieso sicher. Nein, Scholz beruft Kukies als Finanzminister, weil der Kanzler weiß, dass sein Vertrauter das Geldausgeben organisieren kann. Und genau daran hatte es ja in der Zusammenarbeit mit Christian Lindner zum Schluss immer mehr gehapert.

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