Effie 2025: Glitzer auf der Bühne, Staub im Maschinenraum
Es gibt Abende in der deutschen Werbebranche, an denen die Realität höflich vor der Tür wartet, während drinnen das Champagnerglas klingt und die Selbstvergewisserung ihre jährliche Hochkonjunktur feiert. Die Effie-Gala 2025 im Leipziger Felsenkeller war ein solcher Abend – ein Event, bei dem rund 600 Gäste so ausgelassen feierten, als hätte es die Rezession, die Agenturpleiten, den Stellenabbau und die fundamentale Bedrohung ganzer Geschäftsmodelle nie gegeben. Die Stimmung war, wie der Branchendienst Horizont treffend formulierte, „besser als die Lage“ – eine Diagnose, die zugleich als Kompliment und als Warnung verstanden werden kann.
Während Moderatorin Aissu Diallo, frisch zur Vizepräsidentin des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen GWA gewählt, und ihr Vorstandskollege Jan-Philipp Jahn die Preisträger ins Rampenlicht hoben, stellte sich unweigerlich die Frage, ob ein solcher Abend nicht zumindest mit einem kurzen, ehrlichen Blick auf die Marktlage hätte beginnen müssen – nicht um die Laune zu verderben, sondern um der Glaubwürdigkeit willen, die einer Branche, die von Kommunikation lebt, nicht unwichtig sein sollte. Doch es blieb beim strahlenden Schein, während die Schatten draußen länger wurden.
Die Gold-Gewinner – Wirkung jenseits des Marketingvokabulars
Die vier Gold-Effies des Jahrgangs 2025 gingen an Kampagnen, die auf bemerkenswerte Weise zeigen, wo Kommunikation heute tatsächlich Relevanz entfaltet – und zwar dort, wo sie über klassische Werbemechaniken hinausgeht und sich mit gesellschaftlichen, strukturellen oder existenziellen Fragen verbindet.
Den Grand Effie erhielt der FC St. Pauli für sein Genossenschaftsmodell „Eine andere Finanzierung ist möglich“, mit dem der Verein Deutschlands erste Profi-Fußball-Genossenschaft gründete und mehr als 23.000 Menschen aus 44 Ländern dazu bewegte, sich mit insgesamt 29,1 Millionen Euro zu beteiligen – bei einem ursprünglichen Ziel von 20 Millionen Euro und einem Mediabudget von gerade einmal 27.000 Euro. Was hier ausgezeichnet wurde, war kein klassischer Marketingcase, sondern ein alternatives Finanzierungsmodell, das demokratische Teilhabe, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Markenidentität auf eine Weise verknüpft, die weit über den üblichen Kampagnenhorizont hinausreicht. Die Jury lobte zurecht die Tatsache, dass der Verein seine Zielgruppe extrem gut kenne und es ihm gelungen sei, mehr als die Hälfte der Genossenschaftsgelder außerhalb der bestehenden Community zu generieren – ein Beweis dafür, dass Wirkung dann entsteht, wenn Kommunikation nicht nur überzeugt, sondern auch zur Handlung befähigt.
Die Deutsche Telekom gewann mit ihrer Langzeitinitiative „Gegen Hass im Netz“ Gold in der Kategorie Evergreen – eine Kampagne, die in einer Zeit, in der digitale Gewalt, Desinformation und algorithmisch verstärkte Radikalisierung längst zum Alltag gehören, nicht nur symbolisch wirkt, sondern konkret interveniert. Dass eine Marke diese Verantwortung übernimmt, während der Branchenverband selbst zu solchen Themen auffallend zurückhaltend bleibt, ist ein bemerkenswertes und zugleich beschämendes Signal.
Carl Kühne erhielt Gold für „Iss ein Scandalo!“ in der Kategorie Comeback – eine Kampagne, die zeigt, wie Markenführung heute funktioniert, wenn sie mutig genug ist, Polarisierung nicht zu fürchten, sondern als strategisches Mittel zu nutzen. Und schließlich ging Gold an Grabarz & Partner für „Der geheime Bund“ im Auftrag der Deutschen Bahn, eine Employer-Branding-Kampagne, die mehr über Kulturwandel erzählt als über Stellenausschreibungen.
Was diese vier Gewinner eint, ist die Tatsache, dass sie nicht in den üblichen Kategorien der Werbewirkung zu fassen sind – sie sind Ausdruck einer Transformation, in der Kommunikation zunehmend dort relevant wird, wo sie Purpose, Produkt und Partizipation miteinander verschmilzt.
Der Preis der Teilnahme – und die Frage nach demokratischer Zugänglichkeit
Doch wer bei einem Award wie dem Effie mitspielen möchte, muss zahlen können. Die Einreichungsgebühren bewegen sich, je nach Kategorie und Timing, schnell im vierstelligen Bereich, hinzu kommen Ressourcen für Aufbereitung, Präsentation, interne Abstimmung. Für kleine und mittelständische Agenturen, die ohnehin unter Margendruck stehen, ist das ein erheblicher Aufwand – und eine faktische Hürde. Der wichtigste deutsche Effektivitätspreis ist damit nicht demokratisch zugänglich, sondern ökonomisch selektiert. Wer es sich leisten kann, spielt mit; wer es nicht kann, bleibt draußen. Die Jury mag objektiv bewerten, doch die Startbedingungen sind es nicht.
Und während die Branche intern feiert, was sie für wirksam hält, entscheidet die Bevölkerung – jene Menschen, die mit den ausgezeichneten Kampagnen später konfrontiert werden – auf gänzlich andere Weise über Relevanz: instinktiv, alltagsgetrieben, ohne KPI-Modell und ohne Juryleitfaden. Die Diskrepanz zwischen professioneller Bewertung und gesellschaftlicher Wirkung ist nicht neu, aber sie wird größer – und sie wirft die Frage auf, ob ein Award, der Effektivität prämiert, nicht auch seine eigene Wirksamkeit danach bemessen lassen sollte, wie sehr er zur gesellschaftlichen Verantwortung der Branche beiträgt.
Der GWA – Ein Verband im Modernisierungsmodus, zumindest im Wortlaut
Genau in jener Zeit, in der die Branche dringend Orientierung benötigen würde, präsentiert sich der GWA als Organisation im Aufbruch. Auf der Mitgliederversammlung in Leipzig wurde ein neuer Vorstand gewählt, der sich wie ein Panorama der deutschen Agenturlandschaft liest: Präsidentin Larissa Pohl wurde in ihrer dritten Amtszeit bestätigt, Vizepräsidentinnen sind Manuela Schwarz von Schindler Parent und Aissu Diallo von Butter Social, die zuvor als Sprecherin des Young Boards tätig war. Neu oder nach längerer Pause wieder in den Vorstand gewählt wurden Jonas Bailly von Jung von Matt, Raphael Brinkert von BrinkertLück, Marius Darschin von Territory, Michael Frank von Die Crew, Iris Heilmann von Palmer Hargreaves, Gunnar Hintz von add2, Christina Keller von DDB und Nina Haller von Muehlhausmoers. Bestätigt wurden Claudia Diaz von ressourcenmangel, Jörg Fieback von Zebra Group und Jan-Philipp Jahn von Serviceplan.
Auf dem Papier sieht das nach Modernisierung aus – ein breiteres Spektrum, neue Gesichter, eine Mischung aus etablierten Netzwerkagenturen und jüngeren, inhabergeführten Häusern. In der Praxis wirkt es wie ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen Kontinuität und kosmetischer Erneuerung, bei dem die großen Strukturen ihre Entscheidungslogik behalten, während die frischen Namen vor allem eines signalisieren: dass man verstanden hat, dass man sich verändern müsste, ohne jedoch zu riskieren, sich wirklich zu verändern. Der Verband formuliert als Kernaufgabe die „strategische Maximierung des Mitgliedernutzens“ – ein Begriff, der wohlklingend ist und zugleich seltsam unverbindlich bleibt, solange er nicht mit konkreten Maßnahmen gefüllt wird.
Ein Verband, der aus der Zeit gefallen scheint
Der GWA ist historisch bedeutsam, das steht außer Frage. Doch die Anforderungen an einen Branchenverband im Jahr 2025 sind grundlegend andere als jene, die in den Jahrzehnten galten, in denen Werbung noch eine klar definierte Disziplin mit linearen Budgets und festen Jahresplänen war. Heute ist die Lage unübersichtlich: Etats schwanken, Honorarmodelle erodieren, Auftraggeber verlangen immer mehr und zahlen nicht zwingend mehr, KI verändert Produktionslogiken und Wertschöpfungsketten grundlegend, gesellschaftliche Spannungen nehmen zu, Plattformen entwickeln sich schneller als Regulatorik.
Die Branche bräuchte Antworten, Orientierung, Modelle. Doch der Verband liefert oft nur Symbole: Seminare, Positionspapiere, Networking-Events. Nützlich, aber harmlos. Und für viele Mitgliedsagenturen, die jährlich hohe Beiträge zahlen, während ihre wirtschaftliche Lage angespannt ist, schwer zu rechtfertigen. Was fehlt, sind Taskforces zu den drängenden Fragen: Wie verändert KI die Kalkulation? Wie schützt man Kreative vor Burnout? Wie begegnet man Hass im Netz strukturell und nicht nur kommunikativ? Wie sichert man Honorare, die das Überleben ermöglichen? Wie entstehen neue Wertschöpfungsketten jenseits von Media und Produktion? Wie lässt sich Verantwortung in Social Media definieren?
Die Branche braucht eine Denkfabrik. Sie bekommt einen Veranstalter.
Das leise Spottlächeln der Advocat-Katze
Dass im Maschinenraum des GWA nicht alles stimmt, zeigt ein Phänomen, das für Außenstehende fast absurd wirkt: der anonyme Instagram-Account „Advocat“, eine Art Whistleblower-Profil in Katzenform, das seit geraumer Zeit vertraulich wirkende Informationen, Diskussionen oder interne Besonderheiten der Branche kommentiert. Niemand weiß „offiziell“ , wer dahintersteckt, doch in der Branche kursiert das Gerücht, dass manche Informationen erstaunlich präzise aus Verbandsnähe stammen könnten. Ein Schelm, wer hier Übles denkt.
Für einen Verband, der Transparenz predigt, ist die Existenz einer solchen Schattenkatze nicht nur eine Kuriosität, sondern ein Signal: Wenn sich Menschen wohler fühlen, über anonyme Accounts Hinweise zu geben als über offizielle Kanäle, dann liegt der Fehler nicht bei den Menschen, sondern in der Struktur, die diese Stimmen nicht auffängt. In einer Zeit, in der Vertrauen der kostbarste Rohstoff geworden ist, wirkt die Advocat-Katze wie ein kleines, aber hartnäckiges Symptom eines großen Problems – nämlich dass in der Kommunikation zwischen Verband und Mitgliedern eine Lücke klafft, die nicht durch Pressemitteilungen geschlossen werden kann.
Wir haben die Katze übrigens über Instagram als Gastautor angefragt – leider kam eine Absage. Gerne hätten wir ihr die Katzen-Kolumne überlassen; vielleicht wäre das ehrlicher gewesen als manch offizielle Stellungnahme.
Die Fehlschlüsse der Selbstinszenierung – und die Frage nach Verantwortung
Zurück zur Effie-Gala. Der Abend zeigte einmal mehr die große Diskrepanz zwischen der Welt der Preise und der wirklichen Welt, in der Agenturen jeden Tag versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten, ihre Margen zu stabilisieren und mit technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Die Gala ist eine Inszenierung, sie hat ihre Berechtigung, sie gibt Anerkennung, sie schafft Sichtbarkeit – doch sie erzeugt auch ein verzerrtes Bild, wenn sie ohne Kontext stattfindet.
In Leipzig wurde der Eindruck vermittelt, als stünde die Branche glänzend da, doch nur einen Blick hinter die Kulisse weiter findet man schrumpfende Budgets, Mitarbeitende, die mehrere Rollen gleichzeitig jonglieren, und Agenturführer, die sich fragen, wie lange das alles noch funktioniert. Der GWA als Ausrichter hätte die Chance gehabt, diesen Abend auch als Reflexionsraum zu nutzen – nicht um die Laune zu verderben, sondern um zu zeigen, dass man die Realität ernst nimmt. Ein kurzes „Guten Abend“ an die Wirklichkeit, wie Mehrdad Amirkhizi in seinem Horizont-Kommentar forderte, hätte dem Verband gut zu Gesicht gestanden und wäre ein Zeichen gewesen, dass er nicht nur Preise vergibt, sondern auch Verantwortung übernimmt.
Denn die Agenturbranche steckt nicht in einer vorübergehenden Krise, sondern vor einem tiefgreifenden Umbruch: Angesichts technologischer Entwicklungen und wirtschaftlicher Gegebenheiten sind manche Geschäftsmodelle bedroht, einige stehen sogar vor dem Aus, hinzu kommen Übernahmen und Sanierungen bei großen Playern, die bestehende Strukturen umwälzen werden – all das mit mutmaßlich gravierenden Folgen auch für die Sicherheit von Arbeitsplätzen. Werbung hat gesellschaftliche Kraft, sie beeinflusst Einstellungen, Konsumverhalten, Denkweisen – ob die Branche will oder nicht. Wenn also Kampagnen wie „Gegen Hass im Netz“ ausgezeichnet werden, zeigt das, was möglich ist; wenn gleichzeitig der Verband selbst zu solchen Themen vergleichsweise still bleibt, zeigt das, was notwendig wäre.
Glanz allein heilt nicht – Zeit für strukturellen Mut
Der Effie 2025 war ein schöner Abend, der GWA-Vorstand sieht beeindruckend aus, die Gold-Gewinner sind stark. Doch die Branche braucht mehr als Preise und Pressemitteilungen. Sie braucht einen Verband, der nicht nur modern wirken will, sondern modern arbeitet – der Taskforces aufsetzt statt Panels, der Lösungen entwickelt statt Seminare organisiert, der gesellschaftliche Verantwortung nicht delegiert, sondern übernimmt.
Sie braucht Awards, die nicht nur Wirksamkeit prämieren, sondern auch die Frage stellen, wessen Wirksamkeit da eigentlich gemeint ist – die der Jury oder die der Gesellschaft. Sie braucht Transparenz, Zugänglichkeit, Glaubwürdigkeit. Und sie braucht vor allem eines: die Ehrlichkeit, zuzugeben, dass die Stimmung vielleicht gut ist – aber die Lage eben nicht.
Denn irgendwann reicht der Glitzer nicht mehr. Und dann merkt man, dass die Bühne nicht das Problem ist, sondern der Maschinenraum, in dem längst der Staub liegt.