Ablage MEET YOUR MENTOR: #3 Vishen Lakhiani erklärt, wie man Bullshit-Regeln bricht

MEET YOUR MENTOR: #3 Vishen Lakhiani erklärt, wie man Bullshit-Regeln bricht

Interview geführt von Laura Lewandowski
Zusammenfassung von Matthias Kreienbrink

Es gibt Regeln und Gebräuche, die sind vernünftig. Nach denen zu leben kann das Miteinander einfacher gestalten, kann dem Leben sinnvolle Struktur geben. Und dann gibt es „Brules“ – Bullshit Rules, also Regeln, die es zu überkommen gilt. Dieses Wort ist eines der wichtigsten im Repertoire von Vishen Lakhiani. Der 44-Jährige ist Mitbegründer von Mindvalley, einem Bildungsunternehmen, das sich der spirituellen und persönlichen Bildung und dem lebenslangen Lernen verschrieben hat. Ebenso hat Lakhiani mehrere Bücher geschrieben, sein letztes, „The Buddha and the Badass“ setzt sich mit einem erfüllteren Arbeiten auseinander. Auch hier gelte es die Brules zu überwinden und ein (Arbeits)Leben zu führen, das einen glücklich macht. Für “Meet Your Mentor” haben wir Vishen Lakhiani gefragt, welche veralteten Regeln wir eigentlich vergessen sollten.

„Menschen sind sehr anfällig dafür, programmiert zu werden“, sagt er. Regeln, die etwa von Generation zu Generation weitergegeben werden, oder auch innerhalb einer Nation als gegeben angesehen werden, würden die Menschen formen, ohne, dass viele je hinterfragen würden, wieso sie gewisse Dinge eigentlich so tun, wie sie sie tun.

Leben, um zu arbeiten

Eine dieser Regeln sei etwa, dass es zum Leben gehöre, dass man sich in der Arbeit abmühen müsse, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Bis zu 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, 70 Prozent seines wachen Daseins mit Arbeit zu verbringen und das alles nur, um dann einen weiteren Tag zu überstehen – und diesen wieder mit Arbeit zu füllen. Das ist besonders in den Industrienationen der Status Quo, der nur selten hinterfragt wird. Eine Studie der DAK zeigte 2019, dass heute drei Mal mehr Menschen wegen psychischen Problemen krankgeschrieben werden als noch vor 20 Jahren – die meisten wegen Depressionen. Wie könnte also ein Leben aussehen, in dem diese Regel gebrochen wird? Wie eine Gesellschaft, die die Regel abschafft?

„Ein wichtiger Schritt wäre es schon mal, herauszufinden, ob das, was du machst auch mit dem übereinstimmt, wer du bist“, sagt Lakhiani. Dann wäre es etwa möglich, tiefere und bedeutendere Beziehungen mit den Menschen einzugehen, mit denen man zusammenarbeitet. Dann wäre es möglich, den eigenen Geist positiver zu stimmen – die eigene Identität neu zu programmieren. „Unsere Seele hat nie eingewilligt, 80 Stunden die Woche in einem Job zu arbeiten, für den sie keine Passion hat.“ Es sei also nötig, dass jeder einzelne seine Seele in das steckt, was er oder sie tut. Und größer gedacht müsse die Gesellschaft Arbeit nicht nur als etwas definieren, in dem man funktionieren müsse, sondern als Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen.

Großartige Veränderung

Wer die Welt verändern möchte, der muss riesige Schritte tun, muss den größtmöglichen Hebel finden. Am besten gleich die geniale Erfindung machen, die alles löst. Oder die Organisation gründen, die die Antworten auf alles findet. Veränderung stellen wir uns sehr oft als eine gigantische Aufgabe vor. Sei es das Klima zu retten, das Miteinander neu zu gestalten oder die Politik zu reformieren – vor diesen Zielen scheinen immer unüberwindbare Hindernisse zu stehen, weil sie unüberschaubar wirken. Auch so eine Regel, der wir oft folgen: Wenn du etwas verändern willst, dann immer gleich im größtmöglichen Maßstab und am besten fehlerfrei.

„Außergewöhnlich zu sein und Außergewöhnliches zu machen bedeutet für mich nicht, dass du der nächste weltverändernde Technologe sein musst“, sagt Vishen Lakhiani. Bedeutend könne es etwa schon sein, als Vater zu Hause zu bleiben, nicht zu denken, dass der Mann unbedingt arbeiten gehen müsse. Dieser Vater könne sich engagiert um die Kinder kümmern und ihnen die bestmögliche Kindheitserfahrung ermöglichen. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaft gehen nur vier von zehn Vätern in Elternzeit – und von denen kaum jemand länger als zwei Monate. Väter, die sich um ihre Kinder kümmern: „Auch das trägt zu einer besseren Welt bei, das ist außergewöhnlich.“

Lernen, zu hinterfragen

In der Schule lernen wir Algebra, wir lernen aber nicht, wie wir Stress bewältigen können. Wir lernen, wie jedes Verb zu deklinieren ist, aber nicht, wie wichtig eigentlich die Ernährung ist, um ein gesundes und lernfähiges Leben zu führen. Die Schule ist eine alte Institution, stammt aus einer Zeit, in der sie der einzige Ort für Wissensaneignung war. Das ist heute nicht mehr so. Die Welt ist komplexer geworden und Informationen frei zugänglich. Doch die Schule kommt dem kaum hinterher. Unsere Regeln aber besagen, dass ein Kind zu Schule zu gehen hat – und jedes Kind das gleich lernen muss. Dabei geht es aber fast immer um Faktenwissen, selten um Strukturelles. Doch es ist bekannt, dass nur etwa 15 Prozent des Gelernten in der Schule auch wirklich dauerhaft im Kopf behalten wird. Was ist heute also wirklich lernenswert?

„Meine Kinder gehen in den USA auf eine Schule, in der sie lernen, wie man Fake News erkennen kann“, sagt Lakhiani. Ihnen werde beigebracht, wie man selbst recherchieren könne, ob ein Artikel auch wirklich die Wahrheit sage. Schlussendlich sei das ein Ansatz, zu lernen, selbst zu denken. „Ich bin Europäer, habe in Malaysia, einem größtenteils muslimischen Land, gelebt, wurde als Hindu geboren und getauft“, sagt er. Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten gehöre daher zu seinem Leben. Er sei in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der es als falsch angesehen wurde, jemanden mit anderem Glauben zu heiraten. „Schulen sollten dir deine nationale Sichtweise nehmen“, sagt Lakhiani daher. Sie sollten ein Denken ermöglichen, das nicht nur in den Strukturen und Regeln funktioniert, in die die Menschen hineingeboren wurden. Sogenannte Fake News zu erkennen könne ein erster Schritt in diese Richtung sein. „Menschen, die uns beibringen, dass wir nicht auf die Gefühle aller Menschen achten, oder Mauern bauen oder uns gegenseitig beschuldigen sollten, sind zutiefst gefährlich. Gerade jetzt.“


Laura Lewan

Für “Meet your Mentor” sprechen Journalistin Laura Lewandowski und Schuldigitalisierungs-Experte Simo Azzaoui mit den Menschen, die uns im Leben wirklich was beigebracht haben. Eine Interview-Serie für die Pioniere von morgen. Für euch! Wer die Mentoren live und in Farbe sehen will, findet die Videos auf Instagram-TV und auf YouTube.

Das könnte dich auch interessieren