Leadership & Karriere Kolumne: Warum Authentizität als Chef:in nicht immer die beste Wahl ist

Kolumne: Warum Authentizität als Chef:in nicht immer die beste Wahl ist

Eine Kolumne von Nico Rose

„Du wirst zunehmend zynisch. Ich kann das verstehen. Aber wir brauchen jetzt was anderes von dir!“ So lautete die unmissverständliche Botschaft einer Mitarbeiterin, überbracht im Namen meines Teams, als ich noch Manager im Konzern war. Es war das erste und einzige Mal, dass mir ein solches Feedback gegeben wurde in meiner Rolle als Führungskraft. Es waren harte Zeiten: Zu viel zu tun, zudem wurden die Budgets mehrfach gekürzt. Und ja, darüber wurde ich zynisch. Und dann kam diese Botschaft: „Sei anders – für uns!“

Meine Mitarbeitenden hatten jedes Recht, dies von mir einzufordern. Eine Führungskraft ist nicht einfach jemand, der Aufgaben strukturiert, Ziele vorgibt und Ergebnisse kontrolliert. Es gibt auch das menschliche, das emotionale Element. Da sind Individuen, die wollen wenigstens nicht demotiviert werden. Genau dies bin ich ihnen in jenen Tagen schuldig geblieben.

Ich habe mich recht bald nach diesem Tritt in den metaphorischen Hintern wieder gefangen. „Mund abwischen und weitermachen“ war damals sowieso ein beliebtes Bonmot in der Hauptabteilung. Trotzdem finde ich diese Episode immer noch bemerkenswert. Auf einer höheren Abstraktionsebene lautete die Ansage meines Teams im Grunde: „Sei nicht authentisch!“ Denn: Ich war ja zynisch, das war das, was ich damals fühlte. Was ich allerdings (vorübergehend) nicht war: professionell.

Bring your whole self?

Derzeit wird uns eingebläut, wir hätten bitte schön authentisch zu sein: „Bring your whole self to work!“, schallt es uns in grellen Influencer:innen-Prep-Talks entgegen. Ich erkenne die gute Absicht dahinter und unterstütze sie prinzipiell. Wir kommen aus einer Zeit, in der von vielen Menschen mitunter verlangt wurde, komplett in ihrer beruflichen Rolle aufzugehen, morgens Anzug, Kostüm oder Blaumann überzustreifen, um rigoros alles „Un-Professionelle“ an der Pforte abzugeben. Menschen wurden zu Industrieschauspieler:innen.

Das mag bestimmte Abläufe in Unternehmen vereinfachen, fordert langfristig jedoch seinen Tribut. Und so ist es auch kein Wunder, dass als (post-)moderne Gegenbewegung gerne das hohe Lied des Ungekünstelten gesungen wird. Doch ist das deutlich zu kurz gedacht. Darin spiegelt sich ein naives Verständnis von Authentizität, das mitunter genauso viel Schaden anrichten kann. Allerspätestens in der ersten Führungsrolle wird die Forderung nach unbedingter Authentizität zum zweischneidigen Schwert. Wollen Kolleg:innen wirklich alles von uns sehen, hören und wissen?

Zurück zur eingangs beschriebenen Situation. Was hat mein Team damals eigentlich von mir verlangt? „Reiß dich zusammen!“, lautete die Botschaft an der Oberfläche. Und dahinter? Zeig uns nicht, was du fühlst? Zeige uns etwas anderes, als du fühlst? Oder: Fühle etwas anderes, als du in Wirklichkeit fühlst?

Ich bin zumindest sicher: Einen simplen Akt des Vortäuschens hätte mir keiner abgenommen, dazu war ich zu angefressen. Somit könnte ich schlussfolgern: Es ging darum, absichtsvoll jemand anders zu sein oder zu werden, im Dienste meiner Mitarbeitenden. Möglichst nah bei mir, aber noch näher an meiner Rolle. Eben professionell. Ein Führungsprofi. „Fake it till you become it!“, nennt das die weltbekannte Sozialpsychologin Amy Cuddy. Manchmal muss das so …

Da ist das Ding! Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das ewige Leben. Was geht bei KI, Kryotechnologie, Longevity und Brain-Uploads? Außerdem: Hollywoods Indie-Genie Todd Field über Cancel-Culture, ein Graf aus Bayern begeistert die Gen Z auf Tiktok mit Benimm-Videos und wir haben uns die Startupszene von Stockholm genauer angesehen. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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