Life & Style Roberta Williams ist die Erfinderin von „King’s Quest“ und die Mutter aller Games

Roberta Williams ist die Erfinderin von „King’s Quest“ und die Mutter aller Games

Ohne die legendäre Game-Designerin Roberta Williams würden wir heute anders zocken – weniger opulent und bildgewaltig. Jetzt wagt sie mit „Colossal Cave“ das lang erwartete Comeback

„Wissen Sie eigentlich, wie viele Stunden Schlaf Sie mir schulden?“, frage ich Roberta Williams zu Beginn unseres Interviews. Stille zwischen Palm Desert in Kalifornien und Schleswig-Holstein. Die zierliche Frau mit den roten Haaren runzelt die Stirn. Rasch schicke ich das Warum hinterher – denn an einem Rätsel in „King’s Quest I“ bin ich schier verzweifelt. Nächtelang habe ich Ende der 80er-Jahre in meinem dunklen Jugendzimmer vor dem Röhrenbildschirm gehockt und versucht, den Märchengnom Rumpelstilzchen zu überlisten. Wie sonst sollte der Ritter Sir Graham die drei Schätze des Königreichs finden und den Thron erklimmen? 

Williams, deren gütige, weiche Züge an die Fee aus einem Kinderbuch erinnern, blickt bedauernd in die Webcam: „Oh, I am so, so sorry.“ Dann huscht ein breites Grinsen über ihr Gesicht, die lebhaften Augen blitzen auf wie Juwelen in einer Königskrone. Als wollte sie ihrem jüngeren Ich, das diese legendäre Computerspiel-Saga ausgetüftelt hat, gratulieren. Dass ich damals eines Cheat-Ratgeber kaufte, um wieder ruhig schlafen zu können, verschwieg ich.

So wie ich spazierten von 1980 bis 1998 Millionen von Gamer:innen durch die Welten, die Roberta Williams’ grenzenloser Fantasie entsprangen und die ihr Mann Ken – und später ganze Teams – in Bits und Bytes übersetzten. Über 20 Bestseller, die Roberta Williams den Titel als „erste Designerin eines Grafikspiels für Heimcomputer“ überhaupt einbrachte. Genügend Meilensteine, um den Enkelkindern vor dem Kamin davon zu erzählen, wie Oma (und Opa!) einst in der Techbranche asskickten. Keine Story-board-Skizzen mehr, Budgetmeetings, Journalistenfragen. Und wenn sie nicht gestorben sind …


Abenteuer für zwei: Seit 50 Jahren sind die Spielpioniere Roberta und Ken Williams ein Duo im Leben und Job. ©Matthew Scott

Stattdessen fügen Roberta und Ken der Chronik ihres Erfolges jetzt ein weiteres Kapitel hinzu, wollen es mit dem epischen Höhlenabenteuer „Colossal Cave“, ihrer Hommage an ein berühmtes Text-only-Spiel von 1977, noch einmal wissen. Selbst entwickelt, finanziert und vermarktet, für sämtliche Plattformen, inklusive VR-Versionen für Meta Quest. Ein riskantes Projekt, schließlich setzt das Paar nicht bloß viel Geld, sondern auch seinen Ruf aufs Spiel.

Eine faszinierende Erfolgsstory, eigentlich wie geschaffen für eine Streamingserie. Zwei Pionier:innen der Computerbranche, wie Gates und Allen, Jobs und Wozniak – nur mit 50 Prozent höherem Frauenanteil. Eine visionäre Frau, die sich in einer Männerdomäne durchsetzte, und der nicht weniger begabte Gatte, der ihr vertraut und den Rücken stärkt. Und ein Paar, dessen Abenteuer nach dem Exit 1998 erst so richtig begann: im Kampf mit haushohen Wellen auf der Beringsee und in geheimen Museumskellern, auf der Suche nach einem sagenhaften Sarkophag. Spielen wir also eine Runde „Roberta’s Quest for Adventure“, und zwar ganz von Anfang an.

„Ich wusste aber, dass ich recht hatte. Weil mir so viele Mädchen und Frauen Fanpost schrieben“

Roberta Williams

In einem Märchenwald sei sie leider nicht aufgewachsen, sagt Williams lachend, wohl aber dörflich. In Südkalifornien, ein paar Meilen von den Reißbrett-Vororten des Molochs Los Angeles entfernt. „Ich war ein richtiger Bücherwurm und wollte schon früh eigene Kinderbücher schreiben.“ Als Teenagerin tauschte sie diesen Traumjob gegen die Archäologie. Ägyptische Grabmale erkunden und mit dem Pinsel Skelette freilegen, das klang großartig. Oder lieber Drehbücher schreiben?, denkt Roberta einige Jahre später. Schließlich ist Hollywood nicht weit entfernt. Computer lassen sie kalt. Diese Ungetüme, die in Universitäten und Behörden ganze Räume füllten. Wie langweilig. 

Ab in die Matrix

1972 heiratet sie. Ken Williams ist 18, ernst und verantwortungsbewusst, interessiert sich für Physik und Informatik. Roberta, 19, fühlt sich etwas verloren und tagträumt gern. Gegensätze, die sich bis heute anziehen. 1979 jobbt Roberta, inzwischen Mutter zweier Söhne, als Programmiererin, Kens Idee. Sie hasst es. Das ändert sich schlagartig mit „Colossal Cave Adventure“, einem Textspiel, das Ken im selben Jahr mitbringt. Ohne Monitor müssen die zwei auf dem Drucker lesen, welche Folgen ihre Tasteneingabe für ihr Abenteuer im unterirdischen Labyrinth hat. Roberta ist fasziniert, tippt, bis sie jeden Winkel der Höhlen erkundet und die perfekte Punktzahl erreicht hat. 

Und das ist der Startschuss. Ein Jahr später schreibt sie „Mystery House“, das erste Computerspiel mit (einfacher Strich-)Grafik und einer Gruselvilla im Mittelpunkt. Niemand will es vertreiben, also schalten Roberta und Ken selbst verfasste Anzeigen in Magazinen und verkaufen mit ihrem neu gegründeten Unternehmen On-Line Systems über 10 000 Exemplare. „Kaum jemand hatte damals eine Ahnung, was ein Game sein könnte. Für die meisten Programmierer klang das zudem wie der Karriere-Exitus“, sagt Ken im Interview. Das Ehepaar verbindet sein Erzähltalent mit einer Begabung fürs Coden, entwickelt weitere Spiele und tauft die Firma 1982 in Sierra On-Line um. Der Sitz: nicht im Silicon Valley, sondern in Oakhurst, um die Ecke vom Yosemite-Nationalpark, einem riesigen Märchenwald. 

Der Durchbruch gelingt 1984 mit der Veröffentlichung von „King’s Quest I: Quest for the Crown“. Neben der von den Gebrüdern Grimm inspirierten Handlung begeistern die Massen technische Neuerungen wie Pseudo-3D-Landschaften in 16 Farben, durch die der Protagonist erstmals per Tastenklick bewegt wird. Doch Roberta geht das nicht weit genug, vor allem die Steuerung über Textbefehle nervt sie. „Ich wollte meinen Eltern zeigen, woran wir so hart arbeiteten. Aber ihnen sagen zu müssen: ‚Du musst jetzt dies oder jenes eingeben‘, war keine große Freude.“ Ein Gesamtkunstwerk aus Story, Bildern und Sound, das wünschte sie sich vom wachsenden Entwicklerteam. 

Wüste Fantasie: In ihrem Haus in der Nähe von Palm Desert tüftelt das Ehepaar Williams an neuen Games. ©Matthew Scott

1988 war es endlich so weit: Mit „King’s Quest IV: The Perils of Rosella“ erschien eines der wichtigsten Spiele der Gaming-Historie. Es ließ sich über die Maus steuern, unterstützte Soundkarten und besaß eine weibliche Hauptfigur. Innovationen, für die Roberta intern hart kämpfen musste. „Die User lieben ihr Textfeld, und eine Heldin vergrault die männlichen Fans“, wiederholt Williams die Skepsis in Marketing und Vertrieb. „Ich wusste aber, dass ich recht hatte. Weil mir so viele Mädchen und Frauen Fanpost schrieben.“ In den ersten zwei Wochen verkauft sich „King’s Quest IV“ stolze 100 000-mal und untermauerte den Ruf von Sierra als Hitgarant: mit 1 000 Mitarbeitenden sowie Listung an der Nasdaq. Und Roberta galt als geniale Spieleschöpferin. 

Wie einst HBO mit „The Wire“, „Sex and the City“ oder „The Sopranos“ trieb Sierra die Konkurrenz mit frischen Ideen und hoher Qualität vor sich her. Ken Williams: „Ich habe niemanden eingestellt, der für Mitbewerber gearbeitet hat. Wir wollten nichts wiederholen.“ Währenddessen ärgerte sich Roberta darüber, dass mancher Kollege sie weder als Autorin, Entwicklerin noch Grafikerin ernst nahm. Trotz Millionenverkäufen. „Stimmt, ich kann nicht alles, was andere können. Aber was ich kann, das kann nur ich“, sagt sie. „Und ich weiß, wenn ich richtig liege. Intuition, Hybris oder Egozentrik? Egal, ich kann nur auf meine Art erfolgreich arbeiten.“ Außerdem: Ohne mitreißende Geschichte und das Ringen um deren perfekte Umsetzung fehlen jedem kreativen Unterfangen Richtung und Motor. 

Auch thematisch wollte sie raus aus der Komfortzone. Etwa mit den Krimispielen um Hobbydetektivin Laura Bow, die einzige Figur, mit der sie gern den Platz tauschen würde. Und mit „Phantasmagoria“, einem mit gigantischem Aufwand im Studio mit Schauspielern inszenierten Schocker, für das die begeisterte Stephen-King-Leserin ein 550 Seiten starkes Drehbuch schrieb. „Ich wollte nicht die Märchentante bleiben, sondern ins Bösewicht-Fach wechseln.“ Die Resonanz fiel 1995 zwar durchwachsen aus, aber Williams hatte nie wieder so viel Spaß an einem Projekt.

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