Business & Beyond Nachfolge-Krise: Jeder zehnte Betrieb ohne Führungsperspektive

Nachfolge-Krise: Jeder zehnte Betrieb ohne Führungsperspektive

Der deutsche Mittelstand steht vor einem massiven Generationenwechsel – doch für viele Unternehmen fehlt jede Spur eines Nachfolgers. Die Konsequenzen könnten die Wirtschaftskraft des Landes nachhaltig schwächen.

Die Zahlen sind alarmierend: Rund 231.000 mittelständische Betriebe in Deutschland planen bis Jahresende ihre Geschäftstätigkeit einzustellen. Nicht etwa wegen mangelnder Aufträge oder finanzieller Schwierigkeiten – sondern weil schlicht niemand bereit ist, das Steuer zu übernehmen. Eine stille Massenflucht, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft zu brechen droht.

Die demografische Zeitbombe tickt

Der demografische Wandel schlägt mit voller Wucht zu. Während vor einem Jahrzehnt nur etwa 20 Prozent der Mittelstandsführungen die 55-Jahre-Marke überschritten hatten, sind es heute mehr als die Hälfte. Gleichzeitig fehlt es an qualifizierten Fachkräften, die Führungspositionen übernehmen könnten. Die Folge: Betriebe ohne Zukunftsperspektive halten Investitionen zurück – trotz staatlicher Anreizprogramme.

Wirtschaftliche Schockwellen vorprogrammiert

Die Konsequenzen dieser Entwicklung könnten verheerend sein. „Dies bedroht nicht nur Arbeitsplätze, sondern schwächt auch die wirtschaftliche Position Deutschlands insgesamt“, warnt Marc S. Tenbieg, Chef des Deutschen Mittelstands-Bunds gegenüber „Focus“. Kein Wunder: Der Mittelstand verantwortet rund 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung und sichert Millionen Arbeitsplätze. Kritiker bemängeln, dass die Bundesregierung in ihren Fördermaßnahmen das Nachfolgeproblem bislang ignoriert.

Zwischen Emotionen und Sicherheitsdenken

Die Problematik hat auch psychologische Dimensionen. „Für viele Unternehmer ist ihr Unternehmen wie ein Körperteil – es zu verkaufen kann sich anfühlen, als würde man einen Arm verlieren“, erklärt Experte Holger Wassermann. Auf der anderen Seite steht eine jüngere Generation, die zunehmend auf Jobsicherheit setzt und das unternehmerische Risiko scheut. Selbst in klassischen Familienunternehmen ist die Nachfolge längst keine Selbstverständlichkeit mehr: Laut ifo-Institut planen etwa 42 Prozent der Familienunternehmen ohne Nachfolger aus den eigenen Reihen.

Die Nachfolgekrise könnte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Ohne gezielte Gegenmaßnahmen droht ein schleichender Substanzverlust der deutschen Wirtschaftsstruktur. Innovative Nachfolgemodelle wie geteilte Führungsverantwortung oder schrittweise Übergaben könnten Lösungsansätze bieten. Auch steuerliche Erleichterungen bei Betriebsübergaben und spezielle Förderprogramme für Nachfolger wären denkbare Instrumente.

Entscheidend wird sein, ob es gelingt, das unternehmerische Denken in der jüngeren Generation wieder zu stärken – denn ohne neue Impulse droht dem deutschen Mittelstand ein beispielloser Kahlschlag mit langfristigen Folgen für den Wirtschaftsstandort.

Quelle: Focus