Work & Winning Das kann weg: Umweltbilanz von Pflastersteinen? Da kapituliert der tapferste Mittelständler 

Das kann weg: Umweltbilanz von Pflastersteinen? Da kapituliert der tapferste Mittelständler 

Heute ist Bürokratie-FREI-tag. Gisela Meister-Scheufelen, „Miss Bürokratieabbau“ von der Stiftung Familienunternehmen und Politik, stellt absurde bürokratische Hemmnisse vor, die Zeit, Nerven und Geld kosten. In dieser Folge geht es um die vielen Regeln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. 

Der Auftrag klingt einfach: Vor dem Rathaus in einem pfälzischen Kleinstädtchen soll der Vorplatz neu gepflastert werden. Für eine kleine Mittelstandsfirma aus dem Nachbarort wäre das kein Problem – seit drei Generationen pflastern sie Straßen, Plätze und Wege in der Region. Doch diesmal winkt der Inhaber ab. „Das schaffen wir nicht“, sagt er. Gemeint ist nicht die Pflasterarbeit, sondern der Papierkram drumherum.

Denn um überhaupt ein Angebot abgeben zu dürfen, müsste er eine dicke Mappe voller Nachweise zusammenstellen: zur Umweltbilanz der Pflastersteine, zu den Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette, zur Ausbildungsquote seines Betriebs. „Wir haben zehn Leute im Einsatz vor Ort und kein Verwaltungspersonal für solche Anträge“, sagt er. Also bleibt der Auftrag liegen – oder geht an größere Bieter mit entsprechenden Fachabteilungen.

Das ist tägliche Praxis bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand. Die Dimension ist enorm: 123,5 Milliarden Euro an öffentlichen Aufträgen wurden 2023 vergeben – fast 196.000 Verfahren, vom Bleistiftkauf bis zum Brückenbau. Die Bundesregierung plant nun einen Investitionsbooster. Soll der Erfolg haben, ist ein einfacheres Vergaberecht unabdingbar. 

Oft nur ein Bewerber 

Es dient dazu, dass sich die öffentliche Hand für eine wirtschaftlich Lösung entscheidet, die Vergabe eines öffentlichen Auftrags transparent ist und einen fairen Wettbewerb ermöglicht. Gleichzeitig beugt es der Korruption vor. Da die Vergabeverfahren inzwischen so umständlich, unübersichtlich und aufwendig geworden sind, werden Ziele konterkariert. Mittelständische Unternehmen winken ab – also kein fairer Wettbewerb. Bei ca. einem Drittel der Ausschreibungen meldet sich nur noch ein Bewerber – also gar kein Wettbewerb. 

2014 wurde das europäische Vergaberecht umfassend modernisiert.  Ab regelmäßig angepasster Schwellenwerte müssen Kommunen und alle anderen öffentlichen Auftraggeber EU-weit ausschreiben. Rund 90 Prozent der öffentlichen Aufträge bleiben unterhalb dieser Grenzen und unterliegen den Regelungen des Bundes und der Länder.

Unterschiedliche Vergaberegelungen 

Hier besteht ein wildes Durcheinander, unterschiedliche Tariftreuegesetze, unterschiedliche soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Anforderungen, unterschiedliche Schwellenwerte für die Direktvergabe oder freihändige Vergabe. Der Rechtsanwalt für Vergaberecht, Matthias Krist, bringt es auf den Punkt: „Gerade bei kleineren und mittelgroßen Aufträgen sind die bürokratischen Anforderungen unverhältnismäßig. Wir sind hier im frühen 20. Jahrhundert stehen geblieben.“

Auftrag nur bei Recyclingpapier

Wenn das Bauunternehmen, das die Pflastersteine vor dem Rathaus verlegen soll, nachweisen soll, dass sämtliche Materialien unter Einhaltung von sozialen, umweltgerechten und humanitären Aspekten hergestellt worden sind, dann hat dies mit der direkten Ausführung des Auftrags nichts zu tun. Das Vergaberecht wird quasi als Hebel genutzt, um die Einhaltung anderer Fachgesetze, wie z.B. des Lieferkettengesetzen durchzusetzen. Das Gleiche gilt, wenn ein wissenschaftliches Institut nur dann einen Forschungsauftrag erhält, wenn es nachweist, dass es ausschließlich Recyclingpapiere im Institut einsetzt. Vergabestellen werden zum zusätzlichen Arm dieser Aufsichtsbehörden, zu einer Art „Superordnungsbehörden“.

Die Erklärung kann eigentlich nur sein, dass der Gesetzgeber zum einen ein tiefes Misstrauen gegenüber den Unternehmen hat, dass sie Gesetze nicht einhalten und jede sich bietende Gelegenheit nutzt, um die Einhaltung von Regeln durchzusetzen. Zum zweiten zeigt sich hier ein missionarischer Machtanspruch. Wo bleibt Maß und Mitte? Eine liberale Demokratie, die auf Eigenverantwortung, Eigeninitiative und unternehmerische Freiheit setzt, sieht anders aus. 

Die psychologischen Kosten 

Für Unternehmen fallen die eigentlichen Kosten vor allem bei der Angebotserstellung an (Preisvergleiche, Kalkulationen). Es entstehen aber auch psychologischen Belastungen dort, wo der bürokratische Aufwand vermeintlich gering zu sein scheint – etwa bei der Zusammenstellung von Formalien und Nachweisen.

Gerade das Einholen von Eignungs- und Leistungsnachweisen sorgt für Unverständnis und Ärger. Während große Unternehmen finanzielle Kosten besser abfedern können als Kleinbetriebe, sind die psychologischen Belastungen überall gleich hoch – ob bei einem großen Mittelständer oder beim Handwerksbetrieb. Und auch für große Familienunternehmen ist der Bürokratiedschungel kaum mehr zu bewältigen. 

Neue Versprechen, alte Probleme

Der Koalitionsvertrag 2025 von Union und SPD macht Hoffnung. Das Vergaberecht soll vereinfacht, digitalisiert und mittelstandsfreundlicher werden. Weniger Nachweispflichten, weniger Bürokratie, mehr Chancen für kleine und mittlere Unternehmen. Allerdings sollen auch neue Hürden geben: Das von Union und SPD geplante Bundestariftreuegesetz würde alles konterkarieren. Es sieht vor, dass öffentliche Aufträge ab einer bestimmten Höhe künftig nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Also noch mehr Nachweise. 

Was ist zu tun?

Erster Schritt: Bund und Länder müssen sich auf ein bundesweit einheitliches Vergaberecht einigen, z.B. mit einheitlichen Schwellenwerten für die einzelnen Vergabearten.

Das Vergaberecht muss von vergabefremden Anforderungen, die nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Ausführung des Auftrags stehen, befreit werden. 

Auf Daten für notwendige Nachweise, die den Behörden bereits vorliegen, muss die Vergabestelle mit Einwilligung des Dateninhabers zurückgreifen, ohne dass sie erneut angegeben werden müssen (z.B. Angaben im Handelsregister).

Eine wesentliche Erleichterung wäre eine bundesweite E-Vergabeplattform mit einheitlicher Oberfläche und digitalen Standards. Schlanke Verfahren sind überfällig. Auch hier gilt: Einfach mal machen.