Tech & Trends „Ein Sensor, der versteht, ist kein Bauteil mehr.“

„Ein Sensor, der versteht, ist kein Bauteil mehr.“

Ein Gespräch mit Bernd Buxbaum über Industrial AI, operative Verantwortung – und die Intelligenz im Detail.

Wenn Prof. Dr. Bernd Buxbaum über Sensorik spricht, geht es nicht um Bauteile. Es geht um Systeme. Um Intelligenz, die an der Maschine entsteht – nicht in der Cloud. Seit 2002 leitet er die pmdtechnologies ag, ein Deep-Tech-Spin-off der Universität Siegen, das sich auf 3D-Time-of-Flight-Sensorik spezialisiert hat – eine Technologie, die Tiefeninformationen in Echtzeit erfasst und interpretiert. Was Buxbaum und sein Team entwickeln, steckt heute in Smartphones, Robotern, Industrieanlagen – und verändert die Art, wie Maschinen ihre Umwelt wahrnehmen.

Mit über 450 Patenten zählt pmd zu den technologischen Vorreitern im Bereich der optischen Sensorik. Die Firma ist Teil der weltweit tätigen ifm-Unternehmensgruppe, die über 9.000 Mitarbeitende beschäftigt und jährlich mehr als 1,5 Milliarden Euro umsetzt. Die Kombination aus Forschungstiefe und industrieller Breite macht pmd zu einem Beispiel dafür, wie Deep Tech aus Deutschland funktioniert – und was Industrial AI konkret bedeutet, wenn sie nicht auf Konferenzen, sondern auf Produktionslinien trifft.

Ich habe mit Bernd über den Unterschied zwischen Buzzword und Wirkung gesprochen – und darüber, warum ein Sensor heute kein Bauteil mehr ist, sondern ein Systempartner.

Simon Sack: Bernd, du bist seit über 20 Jahren in diesem Feld unterwegs. Was war dein ursprünglicher Antrieb – und was motiviert dich heute?
Bernd Buxbaum: Als wir pmd gegründet haben, war das Ziel nie, einfach Sensoren zu bauen. Es ging darum, einer Maschine ein besseres „Verstehen“ ihrer Umgebung zu ermöglichen und damit die Fähigkeit mit dieser zu interagieren – damit sie nicht mehr nur blind funktioniert. Heute motiviert mich, wie sehr diese Vision Realität geworden ist: Unsere Sensoren sind längst keine reinen Bauteile mehr – sie denken mit.

Simon Sack: Warum bleibst du so eng an einem „unpopulären“ Thema wie Sensorik?Bernd Buxbaum: Weil Sensorik das Unsichtbare sichtbar macht. In einer Welt, die über Cloud, Plattformen und KI spricht, vergessen viele: Ohne präzise, verlässliche Wahrnehmung gibt es keine Daten und dann auch keine künstliche Intelligenz. Die Daten – insbesondere gute Daten – sind die Basis für alles, was folgt.

Simon Sack: Was reizt dich mehr – technische Tiefe oder systemische Wirkung?
Bernd Buxbaum: Beides. Technische Tiefe ist wie ein gutes Instrument. Aber systemische Wirkung ist die Symphonie. Ich will kein Tüftler im Elfenbeinturm sein – mich interessiert, was unsere Technologie verändert, wenn sie in der echten Welt ankommt. Nichts ist cooler, als wenn man die eigene Entwicklung als Nutzer positiv erleben kann.
Simon Sack: Spannend, wie stark deine Motivation mit echter Anwendung verknüpft ist. Lass uns mal in die Technik eintauchen – genauer gesagt: in das, was ihr mit Sensorik eigentlich möglich macht. Denn das ist ja längst mehr als nur „Daten liefern“, oder? Wie hat sich der Sensor in den letzten Jahren verändert – vor allem durch KI?
Bernd Buxbaum: Der Sensor ist vom reinen Datensammler zum Vorversteher geworden. Früher war er das Auge, heute ist er schon das Sehzentrum. KI hilft uns, Signale nicht nur zu messen, sondern zu interpretieren – direkt am Ort des Geschehens. Das reduziert den nachfolgenden Aufwand und ermöglicht schnelle, günstige und robuste Systeme.

Simon Sack: Wann wird aus einem Sensor ein intelligentes System?
Bernd Buxbaum: Wenn er nicht mehr nur Rohdaten liefert, sondern eine Einschätzung: Was sehe ich? Was bedeutet das? Und was folgt daraus? In dem Moment ist er kein Bauteil mehr – sondern ein Teil der Lösung.

Simon Sack: Werden Sensoren zu Architekturelementen?
Bernd Buxbaum: Ja, ganz klar. Früher hat man Sensoren an ein System „angedockt“. Heute planen wir sie als zentrale Elemente mit – weil sie die erste Stufe der Intelligenz sind. Das verändert auch das Verhältnis zu Kunden und die Geschäftsmodelle – wir sind nicht mehr nur Lieferant, sondern gestalten die Lösungen mit.

Simon Sack: Jetzt klingt das alles natürlich beeindruckend – technologisch sauber, visionär, skalierbar. Aber wie sieht das im Maschinenraum aus? Was passiert, wenn diese Ideen auf reale Produktionsbedingungen und Mittelstandsprozesse treffen? Was bedeutet Industrial AI für dich konkret?
Bernd Buxbaum: AI, die funktioniert. Keine Science-Fiction, kein Buzzword. Sondern ein Tool, das mitten im Maschinenraum echten und messbaren Mehrwert schafft – verlässlich, reproduzierbar, effizient. Am besten so integriert, dass man sie gar nicht mehr „als KI“ wahrnimmt.

Simon Sack: Was ist die größte Illusion über KI in der Industrie?
Bernd Buxbaum: Dass man KI einfach „draufschalten“ kann. Ohne gute Daten, klares Ziel und strukturiertes Deployment ist jede KI ein Luftschloss. Viele unterschätzen, wie hart das Fundament sein muss. Und KI ist kein Selbstzweck, sondern nutzt nur da, wo analytische Lösungen nicht mehr effizient sind, weil die Lösungsbeschreibung durch die Komplexität zu aufwändig wird oder gänzlich scheitert.

Simon Sack: Ein Beispiel, wo KI bei euch heute operativ notwendig ist?
Bernd Buxbaum: Die Echtzeit-Tiefenerkennung bei uns im Sensor, die in komplexen Umgebungen wie Produktionslinien oder autonomen Geräten zuverlässig funktioniert. Ohne KI würde das weder die Präzision und die Robustheit noch die Geschwindigkeit erreichen, die notwendig ist.

Simon Sack: Erlebst du auch den Bruch zwischen Infrastruktur und Anwendung?
Bernd Buxbaum: Ja – leider zu oft. Es gibt Sensoren mit Output, KI-Modelle in der Cloud, Datenbanken und Dashboards. Aber das Zusammenspiel hakt. Wir müssen den Bruch zwischen OT und IT ernst nehmen und in Lösungen denken, nicht in formalen Zuständigkeiten.

Simon Sack: Was du beschreibst, zeigt ja ziemlich deutlich, dass Technik allein nicht reicht. Es geht auch um Vertrauen, Entscheidungskultur, Zusammenarbeit. Was braucht es deiner Meinung nach, damit diese Technologie überhaupt den Weg in die Praxis findet? Wie weit ist Deutschland bei KI auf Sensorik-Ebene?
Bernd Buxbaum: Technologisch? Sehr weit. In der Breite? Noch nicht. Wir haben exzellente Köpfe und Unternehmen – aber zu wenig Skalierung. Da fehlt manchmal der Mut zur Priorisierung und in der Politik die Entschlossenheit, das Thema jetzt auch wirklich in Deutschland und Europa zu verankern.

Simon Sack: Best Practices?
Bernd Buxbaum: Kooperationen zwischen Mittelstand, Hochschule und Tech – wie bei uns in Siegen. Wenn Entwickler, Forscher und Anwender zusammen iterieren dürfen, passiert echtes Lernen. Kein Pilotenfriedhof, sondern echter Fortschritt mit Nutzen für den Lösungsanbieter und dessen Kunden.

Simon Sack: Was bremst den Mittelstand?
Bernd Buxbaum: Oft der Wunsch nach Perfektion vor dem ersten Schritt. Und die Angst, sich auf neue Partner einzulassen. Dabei geht es nicht um Kontrolle, sondern um Vertrauen – in Technologie, in Menschen und in die eigene Wandlungsfähigkeit. Da kommt uns manchmal unsere Zögerlichkeit was Innovationen angeht, in die Quere.

Simon Sack: Was brauchen wir wirklich mehr?
Bernd Buxbaum: Mut zur Lücke. Ohne eine gewisse Unschärfe in der Planung kommt keine Innovation in die Umsetzung. Qualität ist natürlich wichtig – aber sie darf nicht lähmen.

Simon Sack: Du hast eben den Punkt Verantwortung angesprochen – und das bringt mich zu einem Thema, das oft untergeht, aber immer wichtiger wird: ethische Fragestellungen. Wie gehst du in deiner Rolle – auch als Professor – mit dieser Verantwortung um? Wie stark ist der Transfer zwischen Forschung und Produkt?
Bernd Buxbaum: Sehr direkt. Ich sehe Forschung nicht als Elfenbeinturm, sondern als Ideenlieferant – und Sparringspartner. Bei uns fließen Erkenntnisse aus der Uni direkt in die Roadmap ein. Umgekehrt inspirieren unsere Projekte die Lehre. Das hilft beiden Seiten.

Simon Sack: Wie diskutierst du über Ethik in der Lehre?
Bernd Buxbaum: Nicht abstrakt. Sondern anhand echter praktischer Probleme: Wo beginnt Verantwortung? Wer trägt sie – der Entwickler, der Nutzer oder gar der Sensor selbst? Wichtig ist, die Studierenden zu befähigen, Technologie nicht nur zu bauen, sondern auch zu hinterfragen.

Simon Sack: Wo ist die Grenze für sensorische Entscheidungen?
Bernd Buxbaum: Immer da, wo eine Bewertung mit Konsequenzen für Menschen erfolgt. Ein Sensor kann entscheiden, ob ein Objekt vorhanden ist. Aber ob eine Handlung richtig ist – das bleibt bis auf Weiteres eine menschliche Aufgabe oder muss zumindest über ausreichende Redundanzen abgefangen werden.

Simon Sack: Apropos Verantwortung und Haltung – ich hab da neulich was über einen SUMMIT in Siegen gelesen, den du mit aus dem Boden gestampft hast. Ich dachte erst: Event im Siegerland? Was steckt da dahinter?Was ist der SUMMIT – und warum im Siegerland?
Bernd Buxbaum: Der SUMMIT ist unser Zeichen für den lokalen Strukturwandel in der Region: Hightech geht auch jenseits der Ballungsräume. Wir wollen zeigen, dass es auch hier möglich ist technologische Impulse zu setzen – ohne nach Berlin oder München schielen zu müssen.

Simon Sack: Warum engagierst du dich so aktiv?
Bernd Buxbaum: Weil Innovation nicht nur Technik ist, sondern Haltung.. und auch eine kulturelle Frage. Wir müssen als Gesellschaft verstehen, dass der Wohlstand in Europa durch die technischen Innovationen und die daraus resultierende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesichert wird. Andere gesellschaftliche Aspekte, wie z.B. Kultur, Kunst oder Sport brauchen wir natürlich auch – sonst blutet eine Gesellschaft auch aus, aber der Treiber für das alles ist die technische Innovation, die dann auch die anderen Bereiche stützt. Nicht anders herum, das muss man ganz klar sehen. Da sind andere Länder uns voraus, technische Leader sind da echte Superstars und bekommen so ziemlich alles was es braucht, um erfolgreich zu sein.

Simon Sack: Strukturwandel von innen heraus – wie wichtig ist das?
Bernd Buxbaum: Extrem wichtig. Wir können nicht auf Förderprogramme warten. Wir müssen selbst zeigen, dass Wandel möglich ist – und zwar mit dem, was hier gewachsen ist: Ingenieurskunst, Machermentalität, Netzwerke und Fleiß. Alles das haben wir hier in ausreichendem Maße.

Simon Sack: Was soll der Summit signalisieren?
Bernd Buxbaum: Dass Zukunft nicht irgendwo passiert – sondern da, wo Menschen sie wollen und sich engagieren.

Simon Sack: Okay, das klingt nach einem echten Impuls – nicht nur regional, sondern strukturell. Zum Schluss interessiert mich noch deine persönliche Perspektive: Was braucht es jetzt wirklich, damit Industrial AI in Europa nicht nur gebaut, sondern genutzt wird? Wann ist Industrial AI wirklich angekommen?
Bernd Buxbaum: Wenn niemand mehr fragt, ob das KI ist – sondern nur, ob es funktioniert. Wenn der Sensor mitdenkt, die Anlage sich selbst kalibriert, und wir das alles als selbstverständlich empfinden. Ähnlich wie es z.B. bei GPS war… keiner hinterfragt heute noch die technischen Rahmenbedingungen, die aufzubauen eine enorme Herausforderung war… man nutzt es einfach und es ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Simon Sack: Was braucht Europa dringender: mehr Infrastruktur oder operative Anschlussfähigkeit?
Bernd Buxbaum: Eindeutig Anschlussfähigkeit. Wir haben viele Fördergelder, viele Plattformen – aber zu wenig Umsetzung. KI darf kein politisches Projekt sein, sondern ein industrielles. Europa braucht jetzt Macher, keine Strategiepapiere – sonst verlieren wir – trotz einer guten Position im Moment – wieder schnell den Anschluss.