Tech & Trends China macht Industrial AI zur Chefsache – und wir?

China macht Industrial AI zur Chefsache – und wir?

Was China schon standardisiert, bleibt bei uns oft ein Pilotprojekt – mit Ansage.

In meiner letzten Kolumne fragte ich: Was soll der Mittelstand mit 10.000 GPUs anfangen? Heute weite ich den Blick: Was macht China damit? Die Antwort ist ernüchternd: Sie machen. Ohne Diskussionsrunden. Ohne Förder-Pingpong. Ohne Zögern.

China plant derzeit 39 KI-Rechenzentren, mit insgesamt 115.000 Nvidia H100- und H200-GPUs. Rund 70 Prozent davon in Regionen wie Xinjiang und Qinghai. Allein ein Cluster in Xinjiang soll über 80.000 GPUs umfassen. Möglich macht das eine staatlich koordinierte Strategie: Rund 98 Milliarden US-Dollar fließen in Chinas nationale KI-Offensive, davon 56 Milliarden direkt aus öffentlichen Mitteln – flankiert von einem 8,2-Milliarden-Fonds speziell für industrielle Anwendungen.

Ganz schön viele Zahlen, aber da steckt eine starke Botschaft hinter:

Der Unterschied des technologischen Wachstums Chinas gegenüber Europas liegt nicht in der Technik, sondern im Willen der Durchsetzungskraft.

Lass mich dir ein paar Beispiele geben:

Während der EU-AI Act 2020 vorgestellt und frühestens 2026 wirksam wird, setzt China längst um.

Das Sprachmodell DeepSeek? Im Januar 2025 angekündigt – wenige Wochen später im produktiven Einsatz. Auf über 50.000 GPUs.

Und die Industrie? Ist schon längst eingebunden. Über 400 offiziell gelistete Pilotfabriken setzen KI in der Fläche ein: Predictive Maintenance, visuelle Qualitätskontrolle, autonome Robotik. Xiaomi steuert mit 700 KI-Robotern seine Produktion. Dongfeng Motors arbeitet mit digitalen Zwillingen. Bei Midea, einem der größten Haushaltsgerätehersteller Chinas, steuert KI die Kühlschrank-Montage in Echtzeit. Mensch, Sensorik, ERP – alles verzahnt. Kein Showcase. Einfach produktiv. Das chinesische Industrieministerium hat 151 typische KI-Use Cases veröffentlicht – mit Kennzahlen und Handlungsempfehlung.

Und dann war da noch ein Event in Shanghai. Präsident Xi Jinping ließ sich kürzlich mit humanoiden Robotern des Unternehmens AgiBot ablichten, wie sie sich durch Sport- und Montageroutinen bewegen. Seine Botschaft dazu: „Wir müssen KI entwickeln, beherrschen und anwenden – nicht darüber diskutieren.“

Wenn ich dann nach Europa blicke, wird es wieder karg. Laut IW Köln nutzen nur 37 Prozent der deutschen Industrieunternehmen überhaupt KI – viele davon in der Testphase. Im Mittelstand liegt die Quote noch darunter. Während China standardisiert, steckt Europa oft im Pilotmodus. Zwischen Ankündigung und Anwendung liegen hier: Anträge, Ausschüsse, Bedenken. In China: Regierung, Mandat, Umsetzung.

Das ist kein Lobgesang auf Autokratie –verstehe mich nicht falsch – aber ein Realitätscheck.

China behandelt KI nicht als Debatte, sondern als Werkzeug. Sie fördern, integrieren, skalieren. Im Gegensatz zu uns.
Vorne bauen wir Giga-Factories – und hinten feiert der Mittelstand den Abschied vom Faxgerät.

Was wäre, wenn China nicht besser ist – sondern einfach schneller entscheidet? Hast du schon einmal darüber nachgedacht?

Vielleicht liegt genau darin der Unterschied: Während wir uns zwischen Förderlogik und Richtlinientexten bewegen, hat China KI längst in den Alltag seiner Industrien gebracht – als operativen Erfolgsfaktor, nicht als Experiment.

Die unbequeme Wahrheit ist: Uns fehlt nicht die Technologie. Uns fehlt der Wille.


Industrial AI ist keine Vision. Sie ist Realität. Nur nicht bei uns.

Und Realität belohnt keine Zögerer.

Europe, copy that?

Quellen: „Table.Media“ (06.07.2025), „Tom’s Hardware“ (04.07.2025), „Reuters“ (23.06.2025), „DataCenterDynamics“ (11.07.2025), „IW Köln Studie“ (Juni 2025), „EU-Kommission“, „EU AI Act“ (Stand Juli 2025)