Drive & Dreams „Deutschland muss um Talente kämpfen – nicht umgekehrt“

„Deutschland muss um Talente kämpfen – nicht umgekehrt“

Gülsah Wilke ist Co-Founderin des Tech-Netzwerks Two Hearts und Partnerin beim Venture Capital-Fonds DN Capital. Als Investorin und Brückenbauerin für internationale Gründer:innen erklärt sie, wie Deutschland Talente anzieht, Kapital hierbehält und Bürokratie radikal entschlackt – damit die nächsten Biontechs nicht nach New York auswandern.

Carsten: Gülsah, das Expat-Ranking listet Deutschland nur noch auf Platz 50 von 53. Was ist deiner Meinung nach das größte Alarmsignal?
Gülsah: Wir leben von Köpfen, nicht von Bodenschätzen. Wenn Hochqualifizierte sagen, sie fühlten sich hier unwillkommen – wegen Sprache, Bürokratie und rauem Klima – verlieren wir unseren wichtigsten Rohstoff: Talent.

Carsten: 20 Millionen Babyboomer gehen bald in Rente. Was brauchen wir sofort?
Gülsah: 1) Sichtbare Vorbilder – „You can’t be what you can’t see“. 2) Safe Spaces wie Two Hearts, die Newcomer praktisch durch den Behörden-Dschungel lotsen. 3) Englisch als zweite Amtssprache; selbst ich stolpere über Formulardeutsch.

Carsten: Wachstumskapital fließt oft aus dem Ausland. Wo hakt es?
Gülsah: Seed-Geld gibt es; ab 30–40 Mio. € wird’s dünn. Wir brauchen größere heimische Fonds, Pensionskassen-Geld im Tech-Ökosystem und attraktivere Börsenplätze – sonst klingeln unsere Einhörner weiter an der Nasdaq.

Carsten: Bürokratie killt Tempo. Deine drei Quick Wins?
Gülsah: Erstens ein FDA-ähnlicher Fast-Track für Low-Risk-Med- und Fin-Techs. Zweitens durchdigitalisierte Gründungs- und Visa-Prozesse nach estnischem Vorbild. Drittens ein One-Stop-Portal à la Türkei, wo kein Papier mehr angenommen wird.

Carsten: Du hast Ada Health geführt. Wie drastisch bremst Regulierung?
Gülsah: Wir beschäftigten fast 200 Leute ein Jahr lang für die MDR-Zertifizierung. In den USA dauerte das Formular zwei Stunden. Am Ende verlagerten wir wesentliche Teile des Geschäfts dorthin.

Carsten: Jedes zweite Kind unter zehn hat Migrationsgeschichte. Chance oder Risiko?
Gülsah: Riesenchance – wenn wir einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen: klare Angebote (Teilhabe, Sicherheit) und klare Erwartungen (Sprache, Mitgestaltung). „Made in Germany“ ist längst „Made by Diversity“.

Carsten: Visa digitalisieren oder Kapitalmarkt liberalisieren – was zuerst?
Gülsah: Kein Entweder-oder: Erst Talente reinholen, dann hierhalten.

Carsten: Dein 3-Punkte-Plan als fiktive Ministerin?
Gülsah: 1) Milliarden aus Pensionskassen in Tech lenken. 2) Deutschland als Talent-Magnet vermarkten – flankiert von digitalen Behörden. 3) Zertifizierungen und Verwaltung auf Startup-Tempo trimmen.

Carsten: Danke für den Deep Dive!
Gülsah: Danke dir – jetzt lasst uns Deutschland gemeinsam wieder nach vorn bringen.