Work & Winning Wenn Sechsjährige in die Rente einzahlen – wohin fließt dann das Geld?

Wenn Sechsjährige in die Rente einzahlen – wohin fließt dann das Geld?

Das Finanzministerium tüftelt an den Bedingungen für die Frühstart-Rente. Der CDU nahe Wirtschaftsrat befürchtet politischen Einfluss auf die Anlageentscheidungen und schlägt Alarm. Er will nicht, dass Unternehmen über dieses Instrument „erzogen“ werden.

Gerade erst hat die Bundesregierung ihre Pläne zur Rente verabschiedet, da schlägt sie den nächsten politischen Haken: Die sogenannte Frühstart-Rente könnte vom Finanzministerium unter SPD-Chef Lars Klingbeil genutzt werden, um politische Ziele, die völlig außerhalb der Rentenpolitik liegen, durchzusetzen. Der Wirtschaftsrat der CDU jedenfalls befürchtet, dass Klingbeil die Auswahl der Fonds und Wertpapiere, in die für die Frühstart-Rente investiert werden kann, einschränkt und die Kandidaten, die infrage kommen, politisch aussucht. Klingbeil bestätigt das nicht, weist es aber auch nicht zurück. Ein Sprecher seines Hauses wollte auf Nachfrage noch „keine Details“ nennen.

Das Regierungsbündnis aus Union und SPD hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, Anfang nächsten Jahres die Frühstart-Rente einzuführen. Für jedes Schulkind will der Staat dann vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro in ein „individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot“ einzahlen. Das angesparte Kapital soll „vor staatlichem Zugriff geschützt“ sein und erst mit Erreichen des regulären Renteneintrittsalters ausgezahlt werden.

Für die Frühstart-Rente kämen jährlich etwa 700.000 Kinder infrage, die in Deutschland geboren werden. Ein Geburtsjahrgang schlägt bei 10 Euro monatlich pro Kind mit 120 Euro jährlich und damit mit deutlich unter 100 Millionen Euro zu Buche. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren würden Kosten von rund einer Milliarde für einen Jahrgang entstehen. Zahlen die Kandidaten nach dem Schulabschluss nichts weiter ein, so stehen am 67. Geburtstag bei einer Rendite von sechs Prozent 36.320 Euro zur Verfügung – diese setzen sich zusammen aus 1.440 Euro, die eingezahlt wurden, und 34.880 Euro an wahrscheinlichen Erträgen. Dem gegenüber stehen 374.520 Euro, wenn mit 100 Euro pro Monat weiter gespart wird.

Das Projekt ist ein weiterer Versuch, die Rente auf solidere Beine zu stellen. Die gesetzliche Rentenversicherung stößt angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung an ihre Grenzen: Wenn in der umlagefinanzierten ersten Säule der Alterssicherung bald immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner aufkommen müssen, wird daneben eine stabile, kapitalgedeckte Altersvorsorge umso wichtiger. Dazu dient die „Frühstart-Rente“ und sei deswegen „grundsätzlich sinnvoll“, heißt es in einem bisher unveröffentlichten Positionspapier des Wirtschaftsrats. Dabei müsse jedoch „jedwede Form staatlicher Kontrolle über Unternehmensbeteiligungen zur Altersvorsorge oder eines Vorsorgeproduktes mit staatlichem Siegel unbedingt verhindert werden“.

Ansonsten sieht der Wirtschaftsrat erhebliche Risiken: Bei einem staatlichen Produkt komme typischerweise der Steuerzahler für die Entwicklung und die Anlaufkosten auf. Zudem dürften die Einzahler darauf hoffen, dass im Falle eines Kurseinbruchs der Staat als Garant einspringt. „Wenn die öffentliche Hand in einem Aktiencrash einspringt und den Vorsorgefonds stützt, würde es zugleich extrem teuer für den Steuerzahler“, warnen die Autoren in dem Papier. Noch dazu seien staatliche Rentenkassen immer wieder von der Politik zweckentfremdet worden, um Geld auszugeben. Der Rat zitiert den Ökonomen Alois Schumpeter: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine Regierung eine Geldreserve.“  

Obendrein würde der öffentliche Sektor durch so einen kontrollierten Alterssicherungsfonds maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmen gewinnen, in die investiert wird. Der Wirtschaftsrat befürchtet, dass die Regierung so auf eine „politisch-ideologisch motivierte unternehmerische Corporate Governance“ hinzuwirken will – also direkt, über die Wahrnehmung von Stimmrechten in Aufsichtsräten oder auf Hauptversammlungen, oder indirekt über bestimmte Anlagerichtlinien zur „Erziehung“ der Unternehmen in ihrem Sinne beitragen will. So könnte der Staat beispielsweise versuchen, über seine Beteiligungen an Unternehmen bestimmte Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten, betriebliche Mindestlöhne, geringere Vergütungsstrukturen oder den Erhalt unrentabler Standorte durchzusetzen.

Das Projekt ist nicht nur beim Wirtschaftsrat umstritten. Auch Ökonomen haben Fragen. Marlene Haupt zum Beispiel, Professorin für Sozialwirtschaft und Sozialpolitik an der RWU Hochschule Ravensburg-Weingarten und Martin Kerkhoff, Doktorand an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben das Ganze in einer Studie jetzt durchgerechnet und stoßen auf offene Punkte: Soll für jedes Kind ein Depot durch den Staat eröffnet werden und zahlt dieser dann automatisch auf ein Konto oder in ein bestimmtes Produkt ein? Erfolgt die staatliche Einzahlung nur auf Antrag? Werden auch Depots für ältere Kinder eröffnet? Können nur Fonds oder auch Exchange Traded Funds (ETF’s) oder auch Aktien oder gar Derivate infrage kommen? Sollen Kinder oder deren Eltern Anlageentscheidungen treffen oder soll wie in Schweden das Geld bei Nichtauswahl automatisch in ein bestimmtes Basisprodukt fließen? „Nicht zuletzt braucht es auch eine Strategie, mit der Menschen motiviert werden, über das 18. Lebensjahr hinaus selbstständig weiter zu sparen“, schreiben die Wissenschaftler.

An Antworten darauf tüfteln derzeit die Beamten im Hause Klingbeil. Von dort heißt es einstweilen: Man befinde sich in der Konzeptionsphase, wolle aber die Frühstart-Rente „prioritär umsetzen“.