Tech & Trends From Excel to Exit – wie man Industrial-AI-Startups wirtschaftlich denkt

From Excel to Exit – wie man Industrial-AI-Startups wirtschaftlich denkt

Ein Gespräch mit Dr. Sascha Haggenmüller, Co-Founder von Radial

Alle reden über KI. Aber kaum jemand über Kapitalflussrechnungen.
Alle reden über skalierbare Modelle. Aber niemand über ihre Marge.
Alle schauen auf GPUs. Aber kaum einer auf Excel.

Excel?

Ja, Excel. Leider. Ich weiß.

Nicht gerade das Tool, das man auf einer AI-Keynote sehen will – aber genau das, was oft entscheidet, ob ein Startup von der Idee zur Wirkung kommt. Oder im Pilotprojekt versandet.

„Die Wahrheit steht nicht in der Präsentation, sondern im Monatsreport.“

Sagt einer, der’s wissen muss: Dr. Sascha Haggenmüller.

Er hat über ein Jahrzehnt Transaktionen und Restrukturierungen bei EY, Porsche Consulting und Deloitte begleitet – heute ist er Mitgründer von Radial, einer Financial-Excellence-Boutique mit Sitz in München. Keine PowerPoint-Firma, sondern: Reports, Strukturen, und belastbare Zahlen. Dort, wo andere Vision schreiben, rechnet er Amortisation.

„Hands-on heißt: Keine Folien für die Schublade – sondern Reporting-Strukturen, die ab Tag eins laufen.“

Was ihn antreibt? Eine Mischung aus Frust und Faszination.
Frust, weil zu viele Firmen auf dem Papier skalieren – und beim Reporting scheitern.
Faszination, weil gute Technologie oft daran scheitert, dass sie niemand betriebswirtschaftlich denkt.

„Viele rechnen sich Recurring Revenue aus Projektgeschäft. Und wundern sich dann, wenn sie auf Investoren treffen, die auch Excel lesen können.“

Für Haggenmüller sind die entscheidenden Fragen:
Läuft der Revenue durch – oder wird er jede Woche neu verhandelt?
Gibt es ein funktionierendes BI-System – oder nur Hoffnung auf Series B?
Und was ist eigentlich „Net Retention“, wenn der Kunde nach dem ersten Jahr abspringt?

Industrial AI ≠ Investable AI

Wir sprechen über Industrial AI. Was auf dem Shopfloor Reibung reduziert, erhöht nicht automatisch den Unternehmenswert. Predictive Maintenance ist super – wenn sie dauerhaft Umsatz generiert. Ein schlaues Modell, das keinen Wiederkauf erzeugt, ist: nett. Aber nicht skalierbar.

„Was mich stört, ist die Gleichsetzung von Technologie und Tragfähigkeit.“

Gerade im industriellen Kontext passiert das oft. Es gibt einen gut definierten Use Case. Der CIO ist begeistert. Die IT will’s umsetzen. Der Pilot läuft. Und dann?

Der Rollout scheitert. Weil niemand nachgerechnet hat, ob das Projekt sich trägt. Oder ob es nur mit externer Förderung und interner Überzeugung überhaupt überlebt.

Sascha berichtet von einem konkreten Fall: Ein AI-Startup hatte ein 3-Millionen-Euro-Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt. Technologisch funktionierte alles, der Kunde war zufrieden. Doch bei der anschließenden Series-A-Runde kam das Aus.
Der Grund: keine skalierbare Vertriebsstruktur, keine belastbare Kostenrechnung, keine Planung über den Piloten hinaus. Für Sascha sind das keine Einzelfälle, sondern Muster:

„Technologischer Erfolg ist kein Ersatz für ein tragfähiges Geschäftsmodell.“

Sascha kennt den Markt. Viele Geschäftsmodelle wirken auf dem Papier stark – aber ihre Wirtschaftlichkeit ist oft eng an politische Programme gekoppelt. Das sei nicht zwingend schlecht, aber:

„Substanz bleibt – wenn ein Geschäftsmodell auch ohne Kapitalzufluss funktioniert.“

Ich frage ihn, wie er die aktuellen Bewertungen im AI-Bereich einschätzt – gerade bei Early-Stage-Runden. Seine Antwort ist klar:

„Natürlich gibt es Ausreißer – aber generell ist das AI-Fenster nicht überhitzt, sondern selektiv. Gute Teams mit belastbarem Geschäftsmodell finden auch heute Investoren. Aber: Wer nur mit Technologiedichte argumentiert und keine Business-Klarheit mitbringt, wird kein Vertrauen aufbauen – weder im Mittelstand noch bei VC-Fonds.“

Die Formel, die er immer wieder nutzt, klingt simpel – ist aber das, was viele übersehen:
Runway vor Run Rate. Finanzierung vor Vision. Struktur vor Storytelling.

Aber jetzt mal ehrlich: Wie sieht echte Wirkung aus?

Ich will’s genau wissen. Was wäre eigentlich ein realistischer Benchmark für ein AI-Unternehmen in Europa, das wirtschaftlich funktioniert?

Sascha zählt, angelehnt an SaaS-Modelle, auf: Positives EBITDA ab 10–15 Mio. Euro Umsatz, nachhaltig und ohne Sondereffekte. Net Dollar Retention im Subscription-Geschäft seit zwölf Monaten stabil über mindestens 115 %. Wiederkaufsrate im projektbasierten Geschäft, gemessen am Umsatz, konstant über 60 %.

„Wenn du heute nicht weißt, ob deine Technologie in drei Jahren noch zu denselben Margen verkauft werden kann – ist es kein Geschäftsmodell. Sondern ein teures Pilotprojekt.“

Fazit?

Wer über Industrial AI redet, muss auch über industrielle Realität sprechen.

Technologie ist nur der erste Schritt – aber kein Geschäftsmodell.

Wert entsteht nicht im Pilotprojekt, sondern im Rollout.

Nicht im Pitchdeck, sondern im Monatsbericht.

Nicht im Buzzword, sondern im Business Case.

Sascha bringt es auf den Punkt:

„Ohne Struktur kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kein Kapital. Und ohne Kapital keine Wirkung.“

Vielleicht ist das die unbequemste Wahrheit im KI-Zeitalter:

Nicht hinter jedem guten KI-Modell steckt ein belastbares Geschäftsmodell.