Brand & Brilliance Kolumne: What the ad? Die neuen, alten Probleme der Branche.

Kolumne: What the ad? Die neuen, alten Probleme der Branche.

Hätte ich gedacht, dass meine neue Kolumne mit einer Sportmetapher startet? Vielleicht. Aber here we go – um den aktuellen Elefanten im Raum, das Hot Topic der Branche, einzuleiten, fällt mir spontan „Du bist nur so stark wie dein schwächstes Glied“ ein.

Aber zuerst, für alle, die nicht chronically online sind und LinkedIn (zurecht) meiden – eine kurze Zusammenfassung:
Vor wenigen Wochen trat eine branchenbekannte Managing Directorin zurück – offiziell wegen „unüberwindbarer Differenzen in Werte und Haltung“. Übersetzt: Man war sich nicht einmal mehr im Ansatz einig. Parallel dazu der Gossip: Bei einer Workation in Griechenland habe es Übergriffe gegeben. Letzte Woche dann die Bestätigung: Ein Fall wurde nach juristischer Prüfung als Fehlverhalten eingestuft. Eine unangemessene Berührung im alkoholisierten Zustand. Die Folge? Bis zu zehn Mitarbeitende haben das Unternehmen verlassen, und Maßnahmen „am oberen Rand des arbeitsrechtlich Möglichen“ wurden umgesetzt. Wer sich mit der Gesetzeslage auskennt, weiß aber: Das klingt härter, als es ist. Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. 

Und der Aufschrei der Branche spiegelte genau das wider. Es ging viel weniger um ein „OMG, Sexismus in der Werbebranche“ und viel mehr um ein „Meinen die das gerade ernst?“. Der eigentliche Skandal war nicht der Übergriff, sondern das wirklich miserable Management der Situation: Floskeln, PR-Textbausteine und beschwichtigende Pseudo-Statements. Wer glaubt, ein „wir haben unsere Werte prüfen lassen“ sei ein starkes Signal, während gleichzeitig zahlreiche Mitarbeitende in dieser Wirtschaftslage kündigen, beweist nur, dass er gar nichts verstanden hat.

Noch schlimmer ist der Versuch, Gesetz mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Nach dem Recht handeln heißt in solchen Fällen oft: nicht wirklich durchgreifen. § 184i StGB erfasst nur körperliche Belästigungen – alles andere fällt durchs Raster. Das AGG geht zwar weiter und schützt Beschäftigte sogar schon vor anzüglichen Blicken oder Sprüchen, aber am Ende scheitert es meist an der Nachweisbarkeit. Und genau deshalb wird das Recht in der Praxis schnell zum Schutzschild für Täter*innen – und zum Schlag ins Gesicht für Betroffene. Und glaubt mir, aus jahrelanger Erfahrung: Solche Übergriffe nachzuweisen ist ungefähr so schwer, wie Markus Söder eine vegane Wurst schmackhaft zu machen.

Und eigentlich möchte ich über diesen speziellen Fall gar nicht weiter schreiben. Denn es geht nicht um diesen einen Vorfall. Es ging schon 2020, beim ersten großen Sexismus-„Shitstorm“, nicht um einzelne Arschlöcher, die sich nicht benehmen können. Damals wie heute war niemand überrascht, dass es Sexismus gibt. Die Wut kam nicht, weil die Branche plötzlich aufgewacht ist, sondern weil viele endlich das Gefühl hatten: Wir sind nicht allein. Weil jede*r wusste: Das ist kein Ausrutscher, das ist die Struktur. Ein Fall von ganz, ganz, ganz vielen.

Am Ende bleibt Frust. Frust bei Betroffenen, die erleben, dass verursachende Personen besser geschützt werden als sie. Frust bei allen, die sehen, dass Haltung in dieser Branche oft nur ein Buzzword ist – solange sie nichts kostet. Frust, weil die Wahrheit ist: Konsequenzen sind keine Frage des Fehlverhaltens, sondern eine Frage der Macht. Meine Wahrnehmung der letzten fünf Jahre: Je höher die Position, desto öfter gab es statt echter Konsequenzen „supernützliche“ Coachings. Lol – und das wird dann auch noch als Fortschritt verkauft.

Und um endlich zurück zur Einstiegsmetapher zu kommen: Viele Agenturen reagieren, indem sie das schwächste Glied auf die Bank setzen. Klingt nach einer Lösung, ist es aber nicht. Denn diese Personen sitzen weiter in der Kabine, trainieren mit, bleiben Teil des Teams. Bequem fürs Unternehmen und für die verursachende Person, sehr unbequem für alle anderen Mitarbeitenden.

Dabei ist Null Toleranz die einzige Lösung – und Null Toleranz heißt: Jede Grenzüberschreitung hat eine Folge. Eine echte. Und diese Folge darf sich nicht an juristischen Spitzfindigkeiten messen lassen, sondern an der Frage: Fühlen sich Mitarbeitende noch sicher? Ist eine Zusammenarbeit noch zumutbar? Wenn die Antwort Nein lautet, dann ist das Nein. Eine rote Karte. Punkt. Und wenn man Verursachende nur auf die Bank setzt, muss sich die Agentur noch immer an genau diesen Spielenden messen lassen.

Deshalb muss die Macht die Seite wechseln. Weg von den Netzwerken, den Budgets und den Titeln, die Täterinnen schützen, hin zu den betroffenen Personen. Solange sie mehr Angst um ihre Karriere haben müssen als Täterinnen um ihre Zukunft, ist alles Gerede über „Werte“ nichts als heiße Luft.

Und genau deswegen ist Wut nicht das Problem, sondern der Beweis. Schon vor fünf Jahren war Wut das zentrale Thema – und sie ist nie verschwunden, weil die Strukturen nie verschwunden sind. Wer heute über „zu laute Wut“ klagt, zeigt nur, wie bequem er*sie es sich gemacht hat. Wut muss nicht brav sein. Sie darf unbequem sein. Sie soll laut sein. Denn solange sich mehr Menschen darüber aufregen, dass vielleicht die Falschen getroffen werden, als darüber, dass die Richtigen immer noch ungeschoren davonkommen, ist klar: Diese Branche hat ihre Lektion bis heute nicht gelernt.

Und was mir besonders wichtig ist zu betonen: Wer findet, es sei jetzt der richtige Zeitpunkt für Häme oder Schadenfreude, darf die Krallen bitte wieder einfahren. Was jetzt wirklich hilft ist die Umverteilung von Macht. Machst du mit?