Brand & Brilliance Virtuelle Kunden-Panels für Marken:Wie experial die Marktforschung mit KI neu denkt

Virtuelle Kunden-Panels für Marken:Wie experial die Marktforschung mit KI neu denkt

Marktforschung galt lange als schwerfällig, teuer und oft unflexibel. Das Wuppertaler Startup experial, gegründet von Dr. Tobias Klinke und Nader Fadl, will genau das ändern. Mit Hilfe von KI-generierten Zielgruppen-Simulationen ermöglicht experial Unternehmen, in kürzester Zeit belastbare Insights zu gewinnen – ohne monatelange Marktforschungs-Panels und mit Antworten, die näher am echten Konsumentenverhalten liegen sollen. Für Marken und Werbetreibende könnte das ein Gamechanger sein: Kampagnen lassen sich schneller testen, Hypothesen sofort validieren und Budgets effizienter einsetzen. Business Punk hat mit den Gründern über ihr Modell, die Rolle von KI in der MaFo und die Auswirkungen auf Branding und Advertising gesprochen.


Tobi, Nader – wie kam es zur Idee, experial zu gründen? Gab es einen Schlüsselmoment, an dem ihr gemerkt habt: Klassische Marktforschung reicht nicht mehr aus?
Tobias: Danke für die Einladung, freut uns. Während meiner Promotion habe ich gesehen, wie langwierig und teuer klassische Marktforschung oft ist und wie stark Ergebnisse darunter leiden, wenn Teilnehmer unmotiviert sind und dann schlechte Daten hinterlassen. Der Schlüsselmoment war, als uns klar wurde: KI ist inzwischen so weit, dass man Zielgruppen digital simulieren kann.
Nader: Genau. Wir wollten einen Weg finden, der Unternehmen erlaubt, schneller und günstiger, aber trotzdem valide an Erkenntnisse zu kommen. Schnell war uns klar: Das ist die Zukunft der Marktforschung.

Viele sprechen davon, dass KI ganze Branchen auf den Kopf stellt, es gibt hier also viele Gründungsmöglichkeiten. Warum gerade Marktforschung?
Nader: Wir haben uns in unserer Zeit an der Uni intensiv mit Konsumentenforschung beschäftigt und danach in der Praxis erlebt, dass Marktforschung so oft das Bottleneck ist. Marketing- oder Produktentwicklungsteams haben Ideen, wollen Hypothesen testen und dann dauert es Wochen oder Monate, bis Ergebnisse vorliegen. Das passt nicht mehr in die heutige Geschwindigkeit. Gleichzeitig war für uns entscheidend: Wir können mit KI Verhalten und Präferenzen simulieren, ohne personenbezogene Daten zu nutzen. Also schnell, ethisch sauber und mit hoher Genauigkeit.
Ihr arbeitet mit „virtuellen Paneln“. Könnt ihr erklären, wie diese virtuellen Panel erstellt werden und worin sie sich von herkömmlichen Paneln unterscheiden?
Tobias: Unsere virtuellen Panels basieren auf unserem Audience Simulation Model, das unter Rückgriff auf tatsächliche Zielgruppendaten mit Hilfe von Large Language Modellen Konsumentenpräferenzen in ihrer repräsentativen Verteilung simuliert. Wir greifen dabei nicht auf reale personenbezogene Daten zu. Der Unterschied zu herkömmlichen Panels ist, dass klassische Panels aus echten Menschen bestehen, die Fragebögen ausfüllen. Das dauert, ist teuer und anfällig für Verzerrungen. Mit unseren virtuellen Panels lassen sich
Szenarien simulieren. Das ist schnell, skalierbar und ohne die typischen Qualitätsprobleme bei Online-Paneln.

Wie stellt ihr sicher, dass eure Ergebnisse valide und nicht nur „KI-Fantasien“ sind? Gibt es Vergleiche zu klassischen Studien?
Tobias: Da wir alle einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, ist die Validität der Ergebnisse für uns ein zentraler Fokus. So machen wir beispielweise mit jedem neuen Kunden, mit dem wir starten, eine Benchmarking-Studie, in der wir die Übereinstimmung der Antworten eines virtuellen Panels mit denen echter Menschen aus der Zielgruppe vergleichen: Dieser sogenannte Recall liegt üblicherweise bei etwa 90 Prozent, was die hohe Übereinstimmung mit echten Menschen und damit die Validität unserer Simulationen belegt.
Nader: Und wenn wir unsere Modelle darüber hinaus mit repräsentativen Statistiken über die Zielgruppe anreichern , kann der Wert durchaus noch etwas höher werden.

Welche Rolle spielt Geschwindigkeit? Wie verändert es den Prozess, wenn ein Brand Manager in Minuten statt in Monaten Antworten bekommt?
Nader: Geschwindigkeit ist ein zentrales Element und der echte Gamechanger unseres Produkts. Plötzlich wird Marktforschung nicht mehr zum Bremsklotz, sondern zum Enabler.
Tobias: Wenn ich in Echtzeit Feedback auf Kampagnen oder zu Produktideen bekomme, kann ich viel schneller iterieren, Botschaften und Features testen und Budgets effizienter einsetzen. Das verändert die ganze Dynamik im Arbeitsprozess, Teams arbeiten wieder kreativer und trauen sich mehr, weil sie vorher testen können.

Welche typischen Fragestellungen aus Advertising, Kampagnenplanung und Produktentwicklung lassen sich mit experial besonders gut beantworten?
Tobias: Zum Beispiel: Wie wird ein Werbemotiv wahrgenommen? Welche Botschaft kommt glaubhaft rüber? Oder wie reagiert eine Zielgruppe auf eine neue Verpackung oder eine neue Produktvariante? Auch Kampagnenvarianten, Claims oder Social-Media-Posts lassen sich testen, bevor sie überhaupt live gehen. Gerade für Marketer ist das extrem wertvoll. Keine Kampagne oder Innovation muss auch nur einen Cent kosten, bis nicht klar ist, ob sie die Zielgruppe wirklich anspricht.

Könnt ihr ein Beispiel nennen, wie eine Marke durch eure Plattform ihre Kommunikationsstrategie optimiert hat?
Nader: Ein Case mit einem Versicherungsanbieter zeigt es gut: Statt acht Wochen hat das Team unmittelbar die Präferenzen einer Zielgruppe hinsichtlich eines neuen Produkts im Bereich der Lebensversicherung verstanden und darauf aufbauend das Produktkonzept iteriert. Diese Geschwindigkeit verändert, wie Unternehmen Entscheidungen treffen.

Viele Marketer fürchten, dass KI zu „Einheits-Insights“ führt. Wie stellt ihr Individualität sicher, gerade bei differenzierten Markenwelten?
Tobias: Wir modellieren unsere virtuellen Panels so, dass Vielfalt erhalten bleibt, demografisch, in Meinungen und Präferenzen. Wir können üblicherweise Zielgruppen viel diverser abbilden, als das klassische MaFo Institut jemals könnte. So ist es mit uns z.B. auch möglich, die in klassischen Panels unterrepräsentierten Zielgruppen wie z.B. Luxus-Käufer in ihrer Vielfalt abzubilden.
Nader: Zudem können Unternehmen spezifische Zielgruppen definieren und ihre eigenen Stimuli, also Ads oder Designs, einbringen. So bleiben die Insights hochgradig individuell.

Der Markt für Marktforschung ist groß und etabliert. Wie positioniert ihr euch gegenüber Playern wie YouGov, Nielsen oder GfK?
Nader: Wir sehen uns nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung. Die Großen machen hervorragende Arbeit, aber sie arbeiten oft noch langsam durch ihre Abhängigkeit von menschlichen Panels.
Tobias: Unser Ansatz ist schneller, kosteneffizienter und flexibler. Und wir haben bereits Teams wie Fressnapf, ERGO oder Wertgarantie überzeugt. Das zeigt, dass auch große Marken bereit sind, neue Wege zu gehen und dass wir uns auch im Wettbewerb mit etablierten Playern behaupten können.

Ihr habt kürzlich eine €2 Mio. Pre-Seed-Finanzierung abgeschlossen. Wie wollt ihr dieses Kapital konkret einsetzen? Produktentwicklung, Internationalisierung, Sales?
Nader: Wir investieren stark in die Weiterentwicklung unserer Technologie – etwa Validitätsscores, die Unternehmen mehr Sicherheit geben, und die Analyse von visuellen Stimuli. Dadurch können wir die Plattform noch praxisnäher für Werbetreibende machen.
Tobias: Gleichzeitig bauen wir unser Team aus, um stärker in Marketing und Vertrieb zu gehen. Ziel ist es, die Plattform für noch mehr Unternehmen zugänglich zu machen. In den nächsten 24 Monaten wollen wir zeigen, dass experial den globalen Marktforschungsmarkt nachhaltig verändern wird.

Und zum Abschluss: Wo steht experial in fünf Jahren – und welche Rolle wollt ihr im internationalen Wettbewerb spielen?
Tobias: In fünf Jahren wollen wir eine Plattform sein, die weltweit genutzt wird, um bei allen Mitarbeitern in einem Unternehmen die Wünsche der eigenen Zielgruppen jeder Zeit zugänglich zu machen. Wir glauben, dass sich Marktforschung von einem projektbasierten Kontrollinstrument zu einem täglichen Sparringspartner entwickeln wird.
Nader: Unsere Vision ist, dass kein Marketer mehr Monate auf Insights warten muss. Wir wollen der Standard dafür sein, wie Marken ihre Zielgruppen verstehen und Kampagnen und Produkte testen. Und wenn es nach uns geht, wird Deutschland nicht nur bei KI-Forschung vorne mitspielen, sondern auch bei der Anwendung im Marketing.