AnlagePunk Nach D-Mark, Euro und Bitcoin – die nächste Revolution krempelt unser Geldsystem um

Nach D-Mark, Euro und Bitcoin – die nächste Revolution krempelt unser Geldsystem um

Bisher war der Stablecoin ein belächeltes Projekt, das weder bei den Anhängern der reinen Kryptolehre und Fans des Bitcoin, noch bei den traditionellen Währungshütern des Euro oder Dollar hoch im Kurs stand. Doch seit drei Monaten hat sich das geändert. Die technologische Revolution auf dem Geldmarkt hat begonnen. Sie wird kein Portemonnaie auslassen.

Vor rund 2700 Jahre prägte das Volk der Lyder in Kleinasien, also der heutigen Türkei, die ersten Geldmünzen und gilt seither als Erfinder des Geldes. Seit dem 18. Juli dieses Jahres hat Donald Trump den GENIUS Act in Kraft gesetzt. GENIUS steht für „Guiding and Establishing National Innovation for U.S. Stablecoins“ – und möglicherweise sind sich beide Erfindungen durchaus ebenbürtig. Doch während die kleinasischen Lyder heute in Vergessenheit geraten sind, unternimmt Trump alles dafür, dass der Stable Coin auf Dauer als amerikanische Innovation in die Geldgeschichte eingeht.

Der Begriff Stablecoin klingt harmlos: Es soll eine Kryptowährung sein, deren größter Fehler behoben sein wird: Sie schwankt nicht wild, sondern bleibt stabil, in dem sie an eine „normale“ Währung wie den US-Dollar gekoppelt ist. Doch in Wahrheit handelt es sich um ein Experiment, das die bisherige Weltordnung des Geldes in Frage stellt – und bei dem die USA dahinterstehen, weil sie nicht tatenlos zusehen wollen, wie der Dollar durch Kryptowährungen an Dominanz verliert. Ulli Spankowski, Chief Digital Officer der Börse Stuttgart Group, sieht Stablecoins als Dreh- und Angelpunkt. Er schwärmt von „digitalem Geld, das sich 24/7 durch die Welt transferieren lässt“.  

Ein Stablecoin ist ein digitaler Token, der über eine technische Infrastruktur – meist Blockchain oder die sogenannte Distributed Ledger Technology – abgebildet wird und zugleich durch Realwertreserven gedeckt ist: etwa US-Dollar, US-Staatsanleihen oder andere liquide Anlagen. Während pure Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum keinen festen Wert haben und von Angebot und Nachfrage bestimmt sind, agiert ein Stablecoin als Brücke zwischen traditionellen durch Zentralbanken gesteuerten Währungen und der Welt der Kryptos. Er soll die Vorteile digitaler Transaktionen ermöglichen – Effizienz, schnelle Abwicklung rund um die Uhr, globale Übertragbarkeit – ohne die Schwankungsanfälligkeit der klassischen Kryptowährungen. Im Unterschied zu Euro, Dollar, Rubel oder Renminbi, die von Zentralbanken ausgegeben und kontrolliert werden, war ein Stablecoin bislang in privater Hand. Jetzt greift Trump zu.

Digitales Dollar-Imperium

Wer tiefer einsteigt, erkennt, dass Blockchain eine Art digitales Register darstellt, das Transaktionen in Blöcken speichert, die unveränderbar aneinandergekettet sind – wie Glieder einer Kette: Jedes Geschäft hinterlässt damit einen ewigen Fußabdruck. Jeder Block enthält eine Prüfsumme des vorherigen Blocks, sodass Manipulationen sofort auffallen würden. Das macht das Blockchain-System transparent, fälschungssicher und unabhängig von einer zentralen Instanz. Die Distributed Ledger Technology ist das Netzwerk dahinter: Ein verteiltes Kassenbuch, das von vielen Rechnern gleichzeitig geführt wird. Jeder Teilnehmer besitzt eine Kopie, und Änderungen werden nur akzeptiert, wenn die Mehrheit im Netzwerk sie bestätigt. Diese Architektur macht Stablecoins global übertragbar und technisch vertrauenswürdig – auch ohne klassische Bank. Aber sie birgt auch Risiken: Wer garantiert, dass die hinter den Stablecoins liegenden Reserven wirklich existieren und ausreichend liquide sind? Was, wenn viele Anleger gleichzeitig ihr Geld zurückfordern, also eine Art „Bank Run“ in digitaler Form? Wie sehen Aufsichtsregeln aus? Und was passiert, wenn Stable Coins und nationale Währungen plötzlich nebeneinander existieren und die Geldmenge erodiert?

Davor genau warnen Bundesbank und Europäische Zentralbank (EZB): Die Bundesbank hat mehrfach betont, dass privat ausgegebene Stablecoins das Potential bergen, die geldpolitische Steuerung zu verwässern und die Rolle des Zentralbankgeldes zu schwächen. In einem Diskurs mit anderen Notenbanken warnte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel eindrücklich: „Viele Dinge können schiefgehen. Wir können Innovation nicht um der Innovation willen unterstützen.“ Auch die EZB äußert sich: In einem Blogbeitrag schreibt sie, Stablecoins würden „die globale Finanzwelt verändern – mit dem US-Dollar am Steuer“. Sie warnt davor, dass Europas monetäre Souveränität schwindet, wenn im digitalen Raum der Dollar dominiert. Sie sieht im Stablecoin eine strategische Herausforderung und in ihrem Projekt des digitalen Euro eine Antwort: Wenn der Euro eine digitale Form bekommt – ein sogenanntes CBDC (Central Bank Digital Currency) – dann könnte Europa wenigstens im eigenen Raum eine digitale Währung anbieten, die nicht von privaten Anbietern und fremden Interessen dominiert wird. Der digitale Euro soll den Euro ergänzen, nicht ersetzen, und als digitales Zentralbankgeld fungieren.

Europas Notenbanker in Alarmbereitschaft

Die Sorge der Notenbanker hat einen handfesten Hintergrund. Sie steuern bislang die Geldmenge durch Instrumente wie An- und Verkäufe von Staatsanleihen, Leitzinsen oder Mindestreservepflichten. Wen. Sie ihren Job gut erledigen und nicht zu sehr unter politischen Einfluss geraten, bleibt der Geldwert so annähernd stabil. Wenn nun aber im parallelen Universum ein Stablecoin mit großem Marktanteil existiert – wie steuert man dann die Geldmenge effizient? Könnte die EZB oder die Bundesbank überhaupt noch Einfluss nehmen, wenn ein beträchtlicher Teil des Zahlungsverkehrs sich ins Stablecoin-System verlagert hat?

In einem solchen Szenario droht die traditionelle Geldpolitik unterzugehen. Wenn Menschen und Unternehmen zunehmend Transaktionen in Stablecoins abwickeln, wird der Einfluss der Zentralbank auf Märkte und Wirtschaft geschwächt. Zentralbanken könnten dann versuchen, über Regulierungsmaßnahmen wie Vorschriften zur Reservequalität, Einlösungsrechte oder Lizenzanforderungen einzugreifen, aber solche Vorschriften sind allenfalls national, nicht global durchzusetzen. Mit anderen Worten: Wenn eine parallele Weltwährung mit globaler Verbreitung existiert, ist die traditionelle geldpolitische Kontrolle unter Druck.

Genau diese Konstellation – und das ist die eigentliche Revolution – zeichnet sich jetzt ab, und zwar angetrieben von den USA. Die Vereinigten Staaten verfolgen unter Trump eine Strategie, den Dollar auch in digitaler Form global zu sichern. Der GENIUS Act zwingt seit Juli Stablecoin-Herausgeber, ihre Token durch US-Dollar und US-Staatsanleihen zu decken. In der offiziellen Mitteilung heißt es: Ziel sei es, „die Nachfrage nach US-Staatsanleihen zu steigern und den Status des Dollar als globale Reservewährung zu festigen“. Der US-Präsident argumentiert, digitale Assets und Stablecoins seien das nächste große Innovationsfeld, das den US-Finanzplatz stärken müsse.

Damit sehen Experten wie Spankowski von der Börse Stuttgart den „Wettlauf um die klügste Regulierung“ eröffnet. Während die USA voranpreschten, „schauen die Europäer erstmal, dass nichts Negatives passiert“. Für Spankowski ist das zu wenig: „Der Kryptomarkt ist global und kein europäisches oder amerikanisches oder asiatisches Thema. Wir müssen diese Finanzmarktarchitektur mitgestalten.“ Heiko Beck, Managing Director beim Fintech-Dienstleister Avaloq zieht den Vergleich zur gebeutelten Auto-Industrie: „Das ist wie der Verbrennermotor, den du noch baust, während du den Elektroantrieb schon hochfährst.“ Die Banken seien zögerlich, weil der Aufbau neuer Infrastrukturen gewaltige Investitionen erfordere.

Und gewaltige Verdienstmöglichkeiten eröffnet: Dass jedenfalls haben Trump und seine Familie erkannt: Sie halten Beteiligungen an Fonds, Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien, die an der Etablierung und Absicherung von Stablecoin-Projekten arbeiten, was dem Clan zusätzliche Einnahmen beschert. In Washington heißt es offen, dass Ivanka Trump und Schwiegersohn Jared Kushner enge Kontakte zu den großen Stablecoin-Herausgebern wie Circle pflegen. Damit wird deutlich: Mit jedem Schritt, den die USA in Richtung digitaler Dollar gehen, wird nicht nur der Staat mächtiger – auch die Familie im Weißen Haus wird reicher, was eine übliche Nebenwirkung in der derzeitigen US-Administration ist.