Finance & Freedom EU macht Schluss mit dem Gehaltsgeheimnis – was auf Arbeitnehmer zukommt

EU macht Schluss mit dem Gehaltsgeheimnis – was auf Arbeitnehmer zukommt

Ab 2026 müssen Unternehmen Gehälter offenlegen. Die EU-Lohntransparenzrichtlinie beendet das Tabu und verpflichtet zur Fairness. Was das für Arbeitnehmer bedeutet und warum Deutschland es nicht allein geschafft hat.

Das Gehaltsgeheimnis fällt. Ab Juni 2026 müssen Unternehmen in der gesamten EU offenlegen, wie und warum sie bezahlen. Die neue Lohntransparenzrichtlinie verpflichtet Arbeitgeber, ihre Vergütungsstrukturen transparent zu machen – ein Kulturwandel für die deutsche Wirtschaft. Während in skandinavischen Ländern Steuerdaten ohnehin öffentlich einsehbar sind, galt hierzulande bisher das ungeschriebene Gesetz: Über Geld spricht man nicht. Laut „focus.de“ dürfen Arbeitnehmer künftig offen über ihr Gehalt sprechen – und der Arbeitgeber kann das nicht mehr verbieten.

Warum Deutschland es nicht allein geschafft hat

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Frauen verdienen in Deutschland immer noch 16 Prozent weniger als Männer – unbereinigt. Bei gleicher Qualifikation und Position bleiben laut „focus.de“ immer noch rund 6 Prozent Unterschied. Das bedeutet: Eine Frau arbeitet im Schnitt bis Anfang März kostenlos, bevor sie das gleiche Jahresgehalt wie ihr männlicher Kollege erreicht.

Das bisherige deutsche Entgelttransparenzgesetz von 2017 hat daran wenig geändert. Wie „fr.de“ berichtet, wurde die Regelung zwar eingeführt, doch erst jetzt wird die EU-Richtlinie für Unternehmen zur Pflicht. Das Problem: Deutschland ist ein Land der Debatten, nicht der Entscheidungen. Während in Arbeitskreisen über „Transparenzkultur“ diskutiert wurde, blieb die tatsächliche Ungleichheit bestehen.

Was konkret auf Arbeitgeber zukommt

Die Neuregelung bringt tiefgreifende Veränderungen für Unternehmen. Liegt die Bezahlung von Männern und Frauen in gleicher Position mehr als fünf Prozent auseinander, muss das Unternehmen den Unterschied erklären oder korrigieren. Schweigeklauseln in Arbeitsverträgen werden ungültig. Bewerber haben das Recht, vor der Einstellung zu erfahren, in welcher Gehaltsspanne sie landen werden.

Für Unternehmen bedeutet das zunächst Mehraufwand. Besonders kleine und mittlere Firmen, die bislang keine standardisierten Gehaltsstrukturen hatten, müssen nachrüsten. Wie „focus.de“ erläutert, brauchen Arbeitgeber, die bisher nach „Gefühl“ oder „Verhandlungsgeschick“ bezahlt haben, künftig eine objektive Grundlage – sonst drohen Klagen und Korrekturen.

Vorteile für Arbeitnehmer

Für Beschäftigte bringt die neue Offenheit zahlreiche Vorteile. Laut einer Umfrage, die „focus.de“ zitiert, empfinden 58 Prozent der Arbeitnehmer das Thema Gehalt bislang als zu intransparent. Die neue Regelung könnte nicht nur die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern verringern, sondern auch die Unternehmenskultur nachhaltig verändern.

Konkret dürfen Arbeitgeber künftig keine Fragen mehr nach dem bisherigen Einkommen stellen. Beschäftigte bekommen das Recht, Auskunft darüber zu verlangen, wie ihr eigenes Gehalt im Vergleich zu anderen Beschäftigten in gleicher oder gleichwertiger Position ausfällt. Das stärkt die Verhandlungsposition erheblich und ermöglicht eine aktivere Karriereplanung.

Hürden und Kritik

Doch Expertinnen und Experten sehen auch Probleme. Wie „fr.de“ berichtet, äußerte sich die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, skeptisch: Das bisherige Entgelttransparenzgesetz bringe „den meisten Frauen nichts“. Ein Hauptproblem: Der Auskunftsanspruch gilt nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten und nur, wenn mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts eine vergleichbare Position innehaben.

Diese Einschränkungen schließen viele Beschäftigte aus – besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen, wo ein Großteil der Arbeitnehmerinnen tätig ist. Sozialwissenschaftler fordern daher, diese Hürden zu senken. Um die EU-Richtlinie wirksam umzusetzen, hat das Bundesgleichstellungsministerium eine Expertenkommission eingesetzt, die bis Oktober 2025 Vorschläge erarbeiten soll.

Kulturwandel in der Arbeitswelt

Die Abschaffung des Gehaltsgeheimnisses markiert einen Kulturwandel. „Über Geld spricht man nicht“ – dieser Satz hat Generationen geprägt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass Ungleichheit unbemerkt wachsen konnte. Mit der neuen Transparenz müssen Führungskräfte begründbar führen, nicht mehr nach Bauch oder Sympathie entscheiden.

Für die Unternehmenskultur bedeutet das eine Professionalisierung: Wer klare Kriterien für Gehälter schafft, verhindert Neid, Missgunst und Fluktuation. Fairness ist nicht nur moralisch richtig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Wie „focus.de“ betont: Transparenz schafft Vertrauen, Vertrauen schafft Motivation, und Motivation kostet weniger als Ungerechtigkeit.

Business Punk Check

Die EU-Lohntransparenzrichtlinie ist kein Wohlfühlgesetz, sondern ein Machtkorrektiv. Während Deutschland jahrelang auf freiwillige Selbstverpflichtungen setzte, zieht Brüssel jetzt die Reißleine. Der wahre Grund für den Widerstand: Intransparenz ist ein Machtinstrument. Wer nicht weiß, was andere verdienen, kann schwerer argumentieren, warum er mehr wert ist.

Die Realität ist: Viele Unternehmen fürchten nicht den Bürokratieaufwand, sondern die unbequemen Fragen, wenn plötzlich klar wird, dass der Kollege mit identischer Qualifikation 20 % mehr verdient. Die Ausnahmeregelungen für kleinere Unternehmen schaffen zudem eine Zweiklassengesellschaft bei der Transparenz. Für Early Adopters liegt hier die Chance: Wer jetzt proaktiv transparente, faire Gehaltsstrukturen schafft, positioniert sich als attraktiver Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels – und spart sich später teure Nachbesserungen.

Häufig gestellte Fragen

  • Welche Unternehmen sind von der EU-Lohntransparenzrichtlinie betroffen?
    Die Regelung gilt grundsätzlich für alle Unternehmen in der EU. Allerdings gibt es Abstufungen: Der individuelle Auskunftsanspruch gilt nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten, während umfassendere Berichtspflichten erst ab 500 Mitarbeitenden greifen. Kleine Unternehmen sollten dennoch proaktiv Gehaltsstrukturen überprüfen, da sie langfristig nicht von der Transparenzentwicklung ausgenommen bleiben werden.
  • Wie können Mittelständler die Gehaltstransparenz ohne großen Bürokratieaufwand umsetzen?
    Mittelständische Unternehmen sollten jetzt schon mit der Implementierung beginnen: Erstens durch die Einführung klarer Gehaltsbänder basierend auf objektiven Kriterien wie Qualifikation, Erfahrung und Verantwortung. Zweitens durch die Nutzung digitaler HR-Tools, die Gehaltsstrukturen automatisiert dokumentieren. Drittens durch die Schulung von Führungskräften in objektiver Leistungsbewertung. Diese schrittweise Umsetzung vermeidet den Bürokratieschock 2026.
  • Welche Branchen werden besonders von der Lohntransparenz profitieren?
    Besonders stark werden Branchen mit traditionell hoher Gender Pay Gap wie Finanzdienstleistungen, Technologie und Management betroffen sein. Hier können Frauen mit Gehaltsanstiegen rechnen. Auch Kreativbranchen, in denen Gehälter oft intransparent und verhandlungsbasiert sind, werden einen Kulturwandel erleben. Unternehmen mit bereits fairen Gehaltsstrukturen können die Transparenz als Recruiting-Vorteil nutzen und sich als progressive Arbeitgeber positionieren.
  • Was sollten Arbeitnehmer bis 2026 konkret tun, um von der neuen Regelung zu profitieren?
    Arbeitnehmer sollten nicht bis 2026 warten: Jetzt schon Gehaltsdaten auf Plattformen wie Kununu oder Glassdoor recherchieren, in Netzwerken offen über Gehälter sprechen und bei Bewerbungsgesprächen nach Gehaltsbändern fragen. Wer bereits in einem Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten arbeitet, sollte den bestehenden Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz nutzen. Dokumentieren Sie systematisch Ihre Leistungen und Qualifikationen, um bei künftigen Gehaltsverhandlungen objektive Argumente zu haben.

Quellen: „focus.de“, „anwalt.de“, „fr.de“