Person
Interview icon Interview Gast:
Nico Hribernik
  Gründer:

- Nico Hribernik

- Co-Founder Wellster Healthtech Group

- Healthtech Entrepreneur & CEO

- Background: Marketing Leader bei Procter & Gamble und Unternehmensberatung

- Mission: Gesundheitsversorgung einfacher und zugänglicher machen.


Unternehmen:

- Name: Wellster Healthtech Group

- Gründung: 2018

- Sitz: München

- Branche: Healthtech / Digital Health


www.wellsterhealth.com
30. Oktober 2025

Nico Hribernik

Von der Konzern-Karriere zum Healthtech-Rebell: Nico Hribernik denkt digitale Medizin neu.

Nico Hribernik hat den klassischen Karrierepfad einmal durchgespielt – Studium, Konzern, Beratung – und sich dann bewusst dagegen entschieden. Heute ist er Mitgründer und CEO von Wellster Healthtech, das digitale Plattformen für Themen wie Haarausfall, Intimgesundheit oder mentale Balance aufbaut. Sein Antrieb: Gesundheitsversorgung zugänglicher machen und gleichzeitig ein skalierbares Business hinstellen.

[André Patrzek]: Nico, wenn du an deine Kindheit denkst und was dich geprägt hat: Was kommt dir da sofort in den Kopf?

[Nico Hribernik]: American Football. Seit ich elf war, drehte sich bei mir alles um diesen Sport, bis zum Ende meines Studiums. Objektiv war früh klar, dass es für eine Profikarriere in den USA nicht reichen würde. Aber ich habe immerhin bei den Vienna Vikings auf höchstem europäischen Niveau gespielt. Diese Zeit hat mich enorm geprägt, in Sachen Leadership, Resilienz, Wettkampfgeist und Teamdynamik. Ehrlich gesagt habe ich dort vermutlich mehr über Verantwortung und Commitment gelernt als in Seminar- oder Meetingräumen.

[AP]: Und wurde dir der Unternehmergeist schon in die Wiege gelegt? Oder gab es da andere Mentoren?

[NH]: In der Familie gibt es einige Unternehmer, die mich sicherlich auch als Vorbilder beeinflusst haben. Mich haben dabei aber immer mehr die Freiheit und die Gestaltungsmöglichkeiten beeindruckt als der rein wirtschaftliche Erfolg. Und dass man sich als Unternehmer auch eher auf seine Stärken fokussieren kann als in anderen beruflichen Engagements.

[AP]: Gab es einen Moment, in dem du gemerkt hast, dass du vielleicht ein bisschen “anders” denkst oder an Dinge herangehst als viele andere?

[NH]: Ja, und ich habe das lange Zeit als Schwäche empfunden. Ich habe mich oft gefragt, warum ich komplexe Themen intuitiv „einfach“ sehe, während andere sich in jeder Kleinigkeit verlieren. In meinen ersten Jahren im Job saß ich in Meetings, umgeben von hochintelligenten Leuten mit perfekten Excel-Modellen – und hatte das Gefühl, nichts Substanzielles beitragen zu können.

Heute weiß ich: Komplexität zu sehen ist wichtig, aber sie zu durchdringen und ins Machbare zu übersetzen, ist eine eigene Stärke. Und genau das braucht Unternehmertum.

[AP]: Dein Karriereweg hat nach dem Studium eher klassisch begonnen, und hat dich zum Marketing Leader bei Procter & Gamble geführt. Warum wolltest du diesen sicheren Hafen verlassen und selbst gründen?

[NH]: Ich bin P&G sehr dankbar. Kaum irgendwo bekommt man als Berufseinsteiger so viel Verantwortung, so schnell. Ich habe Millionenbudgets verwaltet und an globalen Marken gearbeitet, und viele der Tools aus der Zeit nutzen wir auch heute noch bei Wellster. Aber es gab diesen einen Moment, der mich innerlich umdrehen ließ: Wir hatten gerade grünes Licht für einen großen Produktlaunch bekommen. Ich war euphorisch. Kurz darauf rief mich mein Marketing Director zum Einzelgespräch, und statt Lob bekam ich einen Rüffel, weil in meiner Präsentation ans Management ein Video nicht automatisch abgespielt wurde. „Das fällt auf mich zurück“, sagte er. Da wusste ich: Das ist nicht das Spiel, das ich spielen will.

[AP]: Was hast du aus der Zeit bei P&G mitgenommen – und was bewusst hinter dir gelassen?

[NH]: Die Unternehmenskultur von P&G ist mehr als beeindruckend. Man arbeitet in Teams, in denen fast jede Nationalität dieser Welt oder sonstige individuell vielfältigen Hintergründe vertreten sind. Aber man versteht sich fast immer auf Anhieb sehr gut, teilt ein ähnliches Mindset und arbeitet unabgesprochen auf ein Ziel hin: Den größten Mehrwert für Konsumenten schaffen und die Nummer 1 im jeweiligen Markt zu sein.

Neben all den über Jahrzehnten optimierten Frameworks und Tools, ist es dieses Selbstverständnis und das Leadership-Mindset, das mir viel für meine Zeit danach mitgegeben hat. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich heutzutage in einem beruflichen Umfeld agiere, in dem Ergebnisse direkter spürbar sind, als in einem globalen Großkonzern.

[AP]: Was war die ursprüngliche Idee hinter Wellster, und hat sie sich seither verändert?

[NH]: Die ursprüngliche Idee war fast schon banal: Warum ist es 2018 immer noch so schwer, für alltägliche Gesundheitsprobleme eine gute medizinische Lösung zu bekommen – und das ohne Scham, Wartezeiten oder Umwege?

Wellster ist aus dem Wunsch heraus entstanden, die Gesundheitsversorgung radikal einfacher zu machen, für Themen, über die man eben nicht gern redet: Haarausfall, Intimgesundheit, mentale Balance. Themen, die Millionen betreffen, und doch kaum jemand offen angeht. Wir wollten zeigen: Medizin kann anders sein. Zugänglich, digital und trotzdem ernsthaft.

Heute hat sich daraus ein ganzes Ökosystem entwickelt, mit spezialisierten Plattformen für Männer-, Frauen- und chronische Gesundheit. Die Grundidee ist geblieben. Nur die Schlagkraft ist größer geworden.

[AP]: Viele Gründer sprechen vom Aha-Moment. Wann wusstest du: Telemedizin ist mehr als nur ein Trend?

[NH]: Es war weniger ein Aha-Moment als ein schleichender Realitäts-Check. Ich habe irgendwann realisiert: Wir reden hier nicht nur über ein spannendes Startup-Modell, sondern über ein Gesundheitssystem, das ohne digitale Lösungen einfach nicht mehr funktionieren kann.

Fakt ist: In Deutschland gehen in den nächsten Jahren rund 90.000 Ärzt:innen in den Ruhestand. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, die Zahl chronisch Erkrankter geht durch die Decke, und selbst in Städten warten Menschen oft Monate auf einen Facharzttermin. In ländlichen Regionen? Da gibt’s manchmal nicht mal mehr einen.

Das System ist nicht kaputt, aber es ist auf Kante genäht. Und wenn du dann siehst, wie Telemedizin Menschen sofort und wirksam helfen kann, spürst du: Das ist nicht „nice to have“, das ist absolut notwendig.

Die eigentliche Erkenntnis war also: Telemedizin ist keine Option, sie ist das Backup-System für ein Gesundheitssystem, das ohne digitale Unterstützung überhitzt. Und ja, unser Ziel ist es, daraus kein Notfallaggregat zu machen, sondern eine neue Normalität.

[AP]: Was würdest du sagen, macht Wellster anders als andere Healthtechs? 

[NH]: Erstens: Wir sind kein reiner Vermittler, wir bauen vertikal integrierte Plattformen. Von der digitalen Anamnese über die ärztliche Beratung bis zum Medikament – alles aus einer Hand. Und das auf einem medizinischen Qualitätsniveau, das sich hinter keiner analogen Praxis verstecken muss. Dafür haben wir ein eigenes Medical Board und investieren massiv in evidenzbasierte Standards.

Zweitens: Wir denken in echten Bedürfnissen, nicht in Buzzwords. Bei uns geht’s nicht um „digitale Transformation“, sondern um: Wie kann ein 45-jähriger Mann mit erektiler Dysfunktion Hilfe bekommen, ohne rot zu werden? Wie kann eine Frau mit PMS endlich ernst genommen werden, auch digital?

Und drittens: Wir sind skalierbar. 2 Millionen behandelte Patient:innen, profitabel gewachsen, mit einer Plattform in Deutschland – das zeigt: Wir machen nicht nur Medizin möglich, sondern auch ein nachhaltiges Business daraus.

„Komplexität zu sehen ist wichtig, aber sie ins Machbare zu übersetzen, ist eine eigene Stärke. Genau das braucht Unternehmertum.“
Nico Hribernik
Nico Hribernik

[AP]: Wie baut ihr Vertrauen auf, in einem Umfeld, das so stark von Datenschutz und Regulierung geprägt ist?

[NH]: Vertrauen ist für uns kein Marketingziel, sondern die Grundlage unserer täglichen Arbeit. Unsere Prozesse erfüllen nicht nur die Anforderungen der DSGVO, sondern gehen in vielen Bereichen darüber hinaus. Wir verfügen über ein eigenes medizinisches Qualitätsmanagement, klare Standards und ein mehrstufiges Sicherheitssystem, um den verantwortungsvollen Umgang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu gewährleisten. Verdachtsfälle, etwa bei widersprüchlichen Angaben, werden automatisiert erkannt und zusätzlich manuell überprüft.

Gleichzeitig sehen wir uns nicht als Außenseiter, sondern als aktiven Teil des Gesundheitssystems. Wir stehen im engen Austausch mit politischen Entscheidungsträgern, Fachverbänden und der Ärzteschaft. Unser Ziel ist es, dass digitale Anbieter wie wir sich an klar definierte Spielregeln halten – und dass gleichzeitig die Patient:innen von diesen neuen Versorgungswegen maximal profitieren.

Denn das ist der Unterschied zwischen einer schicken Plattform und echter medizinischer Versorgung: Vertrauen lässt sich nicht einkaufen, man muss es sich verdienen. Jeden Tag aufs Neue.

[AP]: Wann warst du das letzte Mal beim Arzt, und wie bleibst du selbst fit, mental wie körperlich?

[NH]: Ich bin leider ein wandelndes Klischee und gehe nur zum Arzt, wenn ich mir sprichwörtlich etwas gebrochen habe. Das muss ich jetzt in meinen 40ern definitiv ändern. Aber dafür habe ich vor einigen Jahren den Weg zum Kampfsport gefunden und trainiere mehrmals die Woche ‘Muay Thai’. Dieser Sport gibt mir nicht nur einen körperlichen Ausgleich, sondern erfrischt mich auch mental sehr.

[AP]: Als Gründer lernt man schnell eine Fehlerkultur zu etablieren, wie bringst du das eher konservativen Investoren bei?

[NH]: Indem ich ihnen erkläre, dass Fehler keine Schwäche, sondern ein Kostenfaktor sind, und dass man in einem hochregulierten Markt wie dem Gesundheitswesen nur dann langfristig erfolgreich ist, wenn man sie früh erkennt und strukturiert daraus lernt. Fehler, die intern transparent gemacht werden, kosten Zeit. Fehler, die vertuscht werden, kosten Vertrauen – und im schlimmsten Fall Patientengesundheit oder Marktposition.

Die meisten Investoren schätzen das. Weil sie wissen: Wer offen über Fehler spricht, hat seine Risiken im Griff.

[AP]: Welche Werte bei Wellster sind für dich absolut nicht verhandelbar?

[NH]: Verantwortung, Transparenz und medizinische Integrität.

Wir bewegen uns in einem Bereich, der mit der Gesundheit und Würde von Menschen zu tun hat, da gibt es keine Grauzonen. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst, gegenüber den Patient:innen, gegenüber Ärzt:innen, aber auch gegenüber der Gesellschaft, in der wir operieren. Das heißt: kein „Move fast and break things“, sondern lieber „Move smart and fix systems“.

[AP]: Wie gehst du mit Rückschlägen, Kritik oder bürokratischen Hürden um?

[NH]: Mit einer Mischung aus Realitätssinn und Trotz. Wir arbeiten in einem der am stärksten regulierten Märkte Europas, Rückschläge sind Alltag. Du brauchst also zwei Dinge: eine dicke Haut und ein sehr gutes Team.

Was ich mir abgewöhnt habe, ist, mich zu sehr über Hürden zu ärgern. Stattdessen frage ich: Was können wir beeinflussen? Wo müssen wir politisch argumentieren? Wo lohnt es sich, einfach still weiterzumachen, bis wir den Durchbruch schaffen?

[AP]: Welche Rolle spielt KI heute schon bei Wellster, und wie überzeugst du Menschen, die KI im Gesundheitsbereich eher skeptisch sehen?

[NH]: KI hilft uns z. B. bei der strukturierten Auswertung von Anamnesebögen, bei der Priorisierung medizinischer Fälle oder bei der Verbesserung von Patientenrückmeldungen.

Aber: Bei uns entscheidet nie eine Maschine über eine Diagnose oder ein Rezept, das bleibt in ärztlicher Hand. Wir kombinieren KI mit ärztlicher Expertise, um schneller, präziser und sicherer zu arbeiten.

Skeptiker überzeugen wir, indem wir klar sagen, was KI kann – und was nicht. Und indem wir zeigen: Gute digitale Medizin heißt nicht weniger Mensch, sondern mehr Zeit für das, was zählt.

[AP]: Ist Deutschland für dich ein Gründerland? Und falls nicht, was müsste es tun, um eins zu werden?

[NH]: Noch nicht. Zumindest nicht nach dem gegenwärtigen Verständnis. Deutschland ist ein Land der Ideen, aber kein Land, das es Gründer:innen leicht macht, diese Ideen schnell und wirkungsvoll umzusetzen. Gerade im Gesundheitsbereich ist das Spielfeld oft unklar, das Regelwerk voller Widersprüche, und die Umsetzung langsam bis lähmend.

Ein gutes Beispiel ist § 9 des Heilmittelwerbegesetzes. Es erlaubt zwar die ärztliche Fernbehandlung, verbietet aber fast jede Form der Werbung dafür. Wir dürfen also legal telemedizinisch behandeln, dürfen Patient:innen aber nicht wirklich aktiv darauf hinweisen, dass es dieses Angebot überhaupt gibt. Das ist, als würde man Elektroautos zulassen, aber Tankstellen verbieten.

Was es braucht? Mehr Mut zur echten Digitalisierung. Eine konsequente Entbürokratisierung. Und den politischen Willen, Gesundheit nicht nur analog zu denken.

Wer will, dass Gesundheits-Startups in Deutschland bleiben, muss ihnen auch zutrauen, Teil der Lösung zu sein, und ihnen die passenden Rahmenbedingungen geben.

[AP]: Und zum Schluss: Wenn du eine einzige Regel für alle Unternehmen aufstellen könntest – welche wäre das?

[Nico Hribernik]: Handle immer so, dass du auch selbst deinem eigenen Produkt oder deiner eigenen Dienstleistung als Kunde vertrauen würdest, egal ob du CEO bist oder Praktikant.

Das ist der ehrlichste Lackmustest für jedes Unternehmen.

[André Patrzek]: Danke, Nico, für ein Gespräch, das zeigt, dass Innovation im Gesundheitswesen nicht nur Technik, sondern auch Menschlichkeit bedeutet.

Das Interview führte André Patrzek für UnternehmerNEXT von Business Punk.



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  Gründer:

- Nico Hribernik

- Co-Founder Wellster Healthtech Group

- Healthtech Entrepreneur & CEO

- Background: Marketing Leader bei Procter & Gamble und Unternehmensberatung

- Mission: Gesundheitsversorgung einfacher und zugänglicher machen.


Unternehmen:

- Name: Wellster Healthtech Group

- Gründung: 2018

- Sitz: München

- Branche: Healthtech / Digital Health


www.wellsterhealth.com
30. Oktober 2025

Nico Hribernik

Von der Konzern-Karriere zum Healthtech-Rebell: Nico Hribernik denkt digitale Medizin neu.

Nico Hribernik hat den klassischen Karrierepfad einmal durchgespielt – Studium, Konzern, Beratung – und sich dann bewusst dagegen entschieden. Heute ist er Mitgründer und CEO von Wellster Healthtech, das digitale Plattformen für Themen wie Haarausfall, Intimgesundheit oder mentale Balance aufbaut. Sein Antrieb: Gesundheitsversorgung zugänglicher machen und gleichzeitig ein skalierbares Business hinstellen.

[André Patrzek]: Nico, wenn du an deine Kindheit denkst und was dich geprägt hat: Was kommt dir da sofort in den Kopf?

[Nico Hribernik]: American Football. Seit ich elf war, drehte sich bei mir alles um diesen Sport, bis zum Ende meines Studiums. Objektiv war früh klar, dass es für eine Profikarriere in den USA nicht reichen würde. Aber ich habe immerhin bei den Vienna Vikings auf höchstem europäischen Niveau gespielt. Diese Zeit hat mich enorm geprägt, in Sachen Leadership, Resilienz, Wettkampfgeist und Teamdynamik. Ehrlich gesagt habe ich dort vermutlich mehr über Verantwortung und Commitment gelernt als in Seminar- oder Meetingräumen.

[AP]: Und wurde dir der Unternehmergeist schon in die Wiege gelegt? Oder gab es da andere Mentoren?

[NH]: In der Familie gibt es einige Unternehmer, die mich sicherlich auch als Vorbilder beeinflusst haben. Mich haben dabei aber immer mehr die Freiheit und die Gestaltungsmöglichkeiten beeindruckt als der rein wirtschaftliche Erfolg. Und dass man sich als Unternehmer auch eher auf seine Stärken fokussieren kann als in anderen beruflichen Engagements.

[AP]: Gab es einen Moment, in dem du gemerkt hast, dass du vielleicht ein bisschen “anders” denkst oder an Dinge herangehst als viele andere?

[NH]: Ja, und ich habe das lange Zeit als Schwäche empfunden. Ich habe mich oft gefragt, warum ich komplexe Themen intuitiv „einfach“ sehe, während andere sich in jeder Kleinigkeit verlieren. In meinen ersten Jahren im Job saß ich in Meetings, umgeben von hochintelligenten Leuten mit perfekten Excel-Modellen – und hatte das Gefühl, nichts Substanzielles beitragen zu können.

Heute weiß ich: Komplexität zu sehen ist wichtig, aber sie zu durchdringen und ins Machbare zu übersetzen, ist eine eigene Stärke. Und genau das braucht Unternehmertum.

[AP]: Dein Karriereweg hat nach dem Studium eher klassisch begonnen, und hat dich zum Marketing Leader bei Procter & Gamble geführt. Warum wolltest du diesen sicheren Hafen verlassen und selbst gründen?

[NH]: Ich bin P&G sehr dankbar. Kaum irgendwo bekommt man als Berufseinsteiger so viel Verantwortung, so schnell. Ich habe Millionenbudgets verwaltet und an globalen Marken gearbeitet, und viele der Tools aus der Zeit nutzen wir auch heute noch bei Wellster. Aber es gab diesen einen Moment, der mich innerlich umdrehen ließ: Wir hatten gerade grünes Licht für einen großen Produktlaunch bekommen. Ich war euphorisch. Kurz darauf rief mich mein Marketing Director zum Einzelgespräch, und statt Lob bekam ich einen Rüffel, weil in meiner Präsentation ans Management ein Video nicht automatisch abgespielt wurde. „Das fällt auf mich zurück“, sagte er. Da wusste ich: Das ist nicht das Spiel, das ich spielen will.

[AP]: Was hast du aus der Zeit bei P&G mitgenommen – und was bewusst hinter dir gelassen?

[NH]: Die Unternehmenskultur von P&G ist mehr als beeindruckend. Man arbeitet in Teams, in denen fast jede Nationalität dieser Welt oder sonstige individuell vielfältigen Hintergründe vertreten sind. Aber man versteht sich fast immer auf Anhieb sehr gut, teilt ein ähnliches Mindset und arbeitet unabgesprochen auf ein Ziel hin: Den größten Mehrwert für Konsumenten schaffen und die Nummer 1 im jeweiligen Markt zu sein.

Neben all den über Jahrzehnten optimierten Frameworks und Tools, ist es dieses Selbstverständnis und das Leadership-Mindset, das mir viel für meine Zeit danach mitgegeben hat. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich heutzutage in einem beruflichen Umfeld agiere, in dem Ergebnisse direkter spürbar sind, als in einem globalen Großkonzern.

[AP]: Was war die ursprüngliche Idee hinter Wellster, und hat sie sich seither verändert?

[NH]: Die ursprüngliche Idee war fast schon banal: Warum ist es 2018 immer noch so schwer, für alltägliche Gesundheitsprobleme eine gute medizinische Lösung zu bekommen – und das ohne Scham, Wartezeiten oder Umwege?

Wellster ist aus dem Wunsch heraus entstanden, die Gesundheitsversorgung radikal einfacher zu machen, für Themen, über die man eben nicht gern redet: Haarausfall, Intimgesundheit, mentale Balance. Themen, die Millionen betreffen, und doch kaum jemand offen angeht. Wir wollten zeigen: Medizin kann anders sein. Zugänglich, digital und trotzdem ernsthaft.

Heute hat sich daraus ein ganzes Ökosystem entwickelt, mit spezialisierten Plattformen für Männer-, Frauen- und chronische Gesundheit. Die Grundidee ist geblieben. Nur die Schlagkraft ist größer geworden.

[AP]: Viele Gründer sprechen vom Aha-Moment. Wann wusstest du: Telemedizin ist mehr als nur ein Trend?

[NH]: Es war weniger ein Aha-Moment als ein schleichender Realitäts-Check. Ich habe irgendwann realisiert: Wir reden hier nicht nur über ein spannendes Startup-Modell, sondern über ein Gesundheitssystem, das ohne digitale Lösungen einfach nicht mehr funktionieren kann.

Fakt ist: In Deutschland gehen in den nächsten Jahren rund 90.000 Ärzt:innen in den Ruhestand. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, die Zahl chronisch Erkrankter geht durch die Decke, und selbst in Städten warten Menschen oft Monate auf einen Facharzttermin. In ländlichen Regionen? Da gibt’s manchmal nicht mal mehr einen.

Das System ist nicht kaputt, aber es ist auf Kante genäht. Und wenn du dann siehst, wie Telemedizin Menschen sofort und wirksam helfen kann, spürst du: Das ist nicht „nice to have“, das ist absolut notwendig.

Die eigentliche Erkenntnis war also: Telemedizin ist keine Option, sie ist das Backup-System für ein Gesundheitssystem, das ohne digitale Unterstützung überhitzt. Und ja, unser Ziel ist es, daraus kein Notfallaggregat zu machen, sondern eine neue Normalität.

[AP]: Was würdest du sagen, macht Wellster anders als andere Healthtechs? 

[NH]: Erstens: Wir sind kein reiner Vermittler, wir bauen vertikal integrierte Plattformen. Von der digitalen Anamnese über die ärztliche Beratung bis zum Medikament – alles aus einer Hand. Und das auf einem medizinischen Qualitätsniveau, das sich hinter keiner analogen Praxis verstecken muss. Dafür haben wir ein eigenes Medical Board und investieren massiv in evidenzbasierte Standards.

Zweitens: Wir denken in echten Bedürfnissen, nicht in Buzzwords. Bei uns geht’s nicht um „digitale Transformation“, sondern um: Wie kann ein 45-jähriger Mann mit erektiler Dysfunktion Hilfe bekommen, ohne rot zu werden? Wie kann eine Frau mit PMS endlich ernst genommen werden, auch digital?

Und drittens: Wir sind skalierbar. 2 Millionen behandelte Patient:innen, profitabel gewachsen, mit einer Plattform in Deutschland – das zeigt: Wir machen nicht nur Medizin möglich, sondern auch ein nachhaltiges Business daraus.

„Komplexität zu sehen ist wichtig, aber sie ins Machbare zu übersetzen, ist eine eigene Stärke. Genau das braucht Unternehmertum.“
Nico Hribernik
Nico Hribernik

[AP]: Wie baut ihr Vertrauen auf, in einem Umfeld, das so stark von Datenschutz und Regulierung geprägt ist?

[NH]: Vertrauen ist für uns kein Marketingziel, sondern die Grundlage unserer täglichen Arbeit. Unsere Prozesse erfüllen nicht nur die Anforderungen der DSGVO, sondern gehen in vielen Bereichen darüber hinaus. Wir verfügen über ein eigenes medizinisches Qualitätsmanagement, klare Standards und ein mehrstufiges Sicherheitssystem, um den verantwortungsvollen Umgang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu gewährleisten. Verdachtsfälle, etwa bei widersprüchlichen Angaben, werden automatisiert erkannt und zusätzlich manuell überprüft.

Gleichzeitig sehen wir uns nicht als Außenseiter, sondern als aktiven Teil des Gesundheitssystems. Wir stehen im engen Austausch mit politischen Entscheidungsträgern, Fachverbänden und der Ärzteschaft. Unser Ziel ist es, dass digitale Anbieter wie wir sich an klar definierte Spielregeln halten – und dass gleichzeitig die Patient:innen von diesen neuen Versorgungswegen maximal profitieren.

Denn das ist der Unterschied zwischen einer schicken Plattform und echter medizinischer Versorgung: Vertrauen lässt sich nicht einkaufen, man muss es sich verdienen. Jeden Tag aufs Neue.

[AP]: Wann warst du das letzte Mal beim Arzt, und wie bleibst du selbst fit, mental wie körperlich?

[NH]: Ich bin leider ein wandelndes Klischee und gehe nur zum Arzt, wenn ich mir sprichwörtlich etwas gebrochen habe. Das muss ich jetzt in meinen 40ern definitiv ändern. Aber dafür habe ich vor einigen Jahren den Weg zum Kampfsport gefunden und trainiere mehrmals die Woche ‘Muay Thai’. Dieser Sport gibt mir nicht nur einen körperlichen Ausgleich, sondern erfrischt mich auch mental sehr.

[AP]: Als Gründer lernt man schnell eine Fehlerkultur zu etablieren, wie bringst du das eher konservativen Investoren bei?

[NH]: Indem ich ihnen erkläre, dass Fehler keine Schwäche, sondern ein Kostenfaktor sind, und dass man in einem hochregulierten Markt wie dem Gesundheitswesen nur dann langfristig erfolgreich ist, wenn man sie früh erkennt und strukturiert daraus lernt. Fehler, die intern transparent gemacht werden, kosten Zeit. Fehler, die vertuscht werden, kosten Vertrauen – und im schlimmsten Fall Patientengesundheit oder Marktposition.

Die meisten Investoren schätzen das. Weil sie wissen: Wer offen über Fehler spricht, hat seine Risiken im Griff.

[AP]: Welche Werte bei Wellster sind für dich absolut nicht verhandelbar?

[NH]: Verantwortung, Transparenz und medizinische Integrität.

Wir bewegen uns in einem Bereich, der mit der Gesundheit und Würde von Menschen zu tun hat, da gibt es keine Grauzonen. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst, gegenüber den Patient:innen, gegenüber Ärzt:innen, aber auch gegenüber der Gesellschaft, in der wir operieren. Das heißt: kein „Move fast and break things“, sondern lieber „Move smart and fix systems“.

[AP]: Wie gehst du mit Rückschlägen, Kritik oder bürokratischen Hürden um?

[NH]: Mit einer Mischung aus Realitätssinn und Trotz. Wir arbeiten in einem der am stärksten regulierten Märkte Europas, Rückschläge sind Alltag. Du brauchst also zwei Dinge: eine dicke Haut und ein sehr gutes Team.

Was ich mir abgewöhnt habe, ist, mich zu sehr über Hürden zu ärgern. Stattdessen frage ich: Was können wir beeinflussen? Wo müssen wir politisch argumentieren? Wo lohnt es sich, einfach still weiterzumachen, bis wir den Durchbruch schaffen?

[AP]: Welche Rolle spielt KI heute schon bei Wellster, und wie überzeugst du Menschen, die KI im Gesundheitsbereich eher skeptisch sehen?

[NH]: KI hilft uns z. B. bei der strukturierten Auswertung von Anamnesebögen, bei der Priorisierung medizinischer Fälle oder bei der Verbesserung von Patientenrückmeldungen.

Aber: Bei uns entscheidet nie eine Maschine über eine Diagnose oder ein Rezept, das bleibt in ärztlicher Hand. Wir kombinieren KI mit ärztlicher Expertise, um schneller, präziser und sicherer zu arbeiten.

Skeptiker überzeugen wir, indem wir klar sagen, was KI kann – und was nicht. Und indem wir zeigen: Gute digitale Medizin heißt nicht weniger Mensch, sondern mehr Zeit für das, was zählt.

[AP]: Ist Deutschland für dich ein Gründerland? Und falls nicht, was müsste es tun, um eins zu werden?

[NH]: Noch nicht. Zumindest nicht nach dem gegenwärtigen Verständnis. Deutschland ist ein Land der Ideen, aber kein Land, das es Gründer:innen leicht macht, diese Ideen schnell und wirkungsvoll umzusetzen. Gerade im Gesundheitsbereich ist das Spielfeld oft unklar, das Regelwerk voller Widersprüche, und die Umsetzung langsam bis lähmend.

Ein gutes Beispiel ist § 9 des Heilmittelwerbegesetzes. Es erlaubt zwar die ärztliche Fernbehandlung, verbietet aber fast jede Form der Werbung dafür. Wir dürfen also legal telemedizinisch behandeln, dürfen Patient:innen aber nicht wirklich aktiv darauf hinweisen, dass es dieses Angebot überhaupt gibt. Das ist, als würde man Elektroautos zulassen, aber Tankstellen verbieten.

Was es braucht? Mehr Mut zur echten Digitalisierung. Eine konsequente Entbürokratisierung. Und den politischen Willen, Gesundheit nicht nur analog zu denken.

Wer will, dass Gesundheits-Startups in Deutschland bleiben, muss ihnen auch zutrauen, Teil der Lösung zu sein, und ihnen die passenden Rahmenbedingungen geben.

[AP]: Und zum Schluss: Wenn du eine einzige Regel für alle Unternehmen aufstellen könntest – welche wäre das?

[Nico Hribernik]: Handle immer so, dass du auch selbst deinem eigenen Produkt oder deiner eigenen Dienstleistung als Kunde vertrauen würdest, egal ob du CEO bist oder Praktikant.

Das ist der ehrlichste Lackmustest für jedes Unternehmen.

[André Patrzek]: Danke, Nico, für ein Gespräch, das zeigt, dass Innovation im Gesundheitswesen nicht nur Technik, sondern auch Menschlichkeit bedeutet.

Das Interview führte André Patrzek für UnternehmerNEXT von Business Punk.