Green & Generation Investitionen in Longevity ist Hochrisikokapital

Investitionen in Longevity ist Hochrisikokapital

Nina Ruge hat ihr Leben radikal geändert: Sie sich nicht nur von der TV-Moderatorin zur Bestseller-Autorin zum Thema Jungbleiben entwickelt, sondern sie lebt selbst, was sie in ihren Büchern predigt. Worauf es bei ihr ankommt, erklärt die 68-Jährige im Interview.

Frau Ruge, was hat sie dazu bewegt, sich so intensiv mit dem Thema Altern auseinanderzusetzen?

Das ist eine sehr persönliche Geschichte. Ich habe im Alter von circa 40 Jahren Ermüdungserscheinungen und Schwächephasen erlebt, ganz einfach, weil ich so viel gearbeitet habe. Frühstücksfernsehen parallel zum ZDF heute journal, morgens um 2 Uhr aufstehen, mal in Mainz, mal in Berlin. Ich bin sehr viel geflogen und habe wenig geschlafen. Ein sehr guter Internist in München hat mir dann gesagt: Ihre Blutwerte sind nicht günstig. Stellen sie ihr Leben um.

Und das haben Sie gemacht?

Ich habe vieles von dem realisiert, was wir heute empfehlen. Ich habe meine Ernährung umgestellt: kein Zucker, keine Süßigkeiten, das Fleisch habe ich weggelassen, habe mich wirklich mit Salat und Gemüse hauptsächlich ernährt, eher Tiefkühlkost übrigens, aber in guter Qualität. Und: Hoch lebe das Vollkornbrot!

Ernährung spielt eine Rolle, was noch?

Dann habe ich jeden Tag Sport gemacht. Anschließend habe ich mit besagtem Internisten Doktor Erich Knobloch, der heute über 90 ist und gesund, das erste Longevity-Buch geschrieben. Da ging es schon um vieles, was wir heute noch viel besser erforscht haben. Das Interesse am Thema Gesundheit ist riesengroß. Es kamen dann weitere Bestseller wie „Verjüngung ist möglich“ und jetzt eben „Ab morgen jünger“ hinzu. Der jüngste Titel war schon nach einer Woche auf der Bestseller-Liste. Ich habe mich in den vergangenen sieben Jahren komplett in dieses Thema eingegraben.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten wissenschaftlich gesicherten Faktoren, die das Altern beeinflussen?

Auf solche  Fragen antworte  ich meistens: Es tut mir leid, ich habe keine Antwort, denn jeder ist anders. Wir müssen den individuellen Gesundheitsstatus kennen, wir müssen den Lebensstil des Menschen kennen.  

Also gut: Welche Faktoren verlängern unsere Lebensspanne und unsere Gesundheitsspanne?

Auf das Thema Gesundheitsspanne kann ich antworten, bei der Lebensspanne ist die Forschung auf absehbare Zeit noch nicht so weit. Die neuesten Zahlen zeigen uns, dass in Deutschland die Menschen am Ende ihres Lebens im Schnitt elf Jahre chronisch krank sind, das heißt sie haben meistens 3 bis 4 Krankheiten gleichzeitig, also Demenz, Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose und vieles mehr. Wir wollen diese elf Jahre des Leidens verkürzen, in dem wir die Gesundheitsspanne verlängern. Da sind die wichtigsten Faktoren Bewegung, Ernährung, Schlaf und mentale Gesundheit.

Das kann ja eigentlich jeder umsetzen.

Ja, es ist eben das, was Oma immer schon sagte. Geh vor Mitternacht ins Bett, iss mehr Gemüse, runter vom Sofa und reg dich nicht so auf. Zu jedem dieser Punkte könnte ich jetzt über die zellbiologischen Hintergründe eine halbe Stunde referieren, aber letztlich geht es genau darum.

Reg Dich nicht auf – Sie meinen: kein Stress?

Stress ist ein unterschätztes Thema. Stress haben wir gesellschaftlich extrem negativ besetzt. Dabei gibt es guten Stress, etwa bei einer sportlichen Leistung, oder einem beruflichen Ziel, das man sich gesetzt und das man erreichen will. Da sprudeln die Stresshormone, das Gehirn läuft auf Hochtouren. Irgendwann muss dieser Stress aber wieder absinken, sonst wird er chronisch, und dann kommt die Gefahr von Kreislauferkrankungen, das Immunsystem macht schlapp. Es entstehen Risiken, die genetisch gar nicht angelegt sind. Bei mir war der Lebensstil meine Achilles-Verse, und das gilt für viele, die sich massiv belasten: im Beruf, in toxischen Beziehungen oder auch als alleinerziehende Frau.

Aber durch weniger Stress lässt sich doch die Zellalterung nicht aufhalten.

Die zellbiologische Altersforschung ist, wenn es hochkommt, 20 Jahre alt. Klar ist aber, dass Umwelt- also Lebensstilfaktoren den Alterungsprozess forcieren oder eben verlangsamen. Wenn wir durch ungesunden Lebensstil das biologische Alter verkürzt haben, dann kann mit einer Lebensstilumstellung tatsächlich eine Verjüngung des biologischen Alters nachgewiesen werden.  Aber auch bestimmte Therapien können helfen.

Welche?

Viele Menschen denken sofort an Hightech-Therapien und Medikamente. Aber es gibt vergleichsweise einfache Vorgehensweisen. Nehmen Sie zum Beispiel die Hormonersatztherapie bei der Frau. Bei uns Frauen beginnt erst das Progesteron und dann das Östrogen abzusinken. Irgendwann geht es ziemlich schnell, dann ist das Östrogen bei quasi null, und das beschleunigt den Alterungsprozess massiv. Östrogen ist ein Schlüsselhormon für die Frau, nicht nur für die Fruchtbarkeit, sondern für viele Organsysteme. Studien zeigen, dass Frauen mit Hormonersatztherapie eine geringere Sterblichkeit bei der COVID-Pandemie aufwiesen als ohne Hormonersatztherapie, weil das Immunsystem stärker bleibt. Ich bin deswegen eine große Verfechterin dieser Therapie. Ich mache das auch selbst seit über 15 Jahren.

Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach der Einfluss genetischer Veränderungen auf den Alterungsprozess? Lassen sich Gene umschreiben?

Nein bisher nicht. Dass Gentherapien wirklich große Langlebigkeits-Erfolge feiern, ist weniger wahrscheinlich als ein Lottogewinn.  Was ich aber für enorm wichtig halte, ist, dass jeder einmal in seinem Leben einen polygenetischen Test macht. Damit lassen sich bestimmte Risikothemen auslesen, etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Diabetes, Stoffwechsel., Osteoporose. Diese Tests waren bis vor wenigen Jahren sauteuer, jetzt gibt es seriöse Varianten schon für unter 300 Euro. Ich würde dann noch etwas drauflegen für einen Profi, der mir die Ergebnisse dann erläutert.

Haben Sie das gemacht?

Ja klar. Bei mir hat sich zum Beispiel ergeben, dass für Herz-Kreislauf, Zucker- und Fettstoffwechsel keine höheren Risiken bestehen. Aber der Risikofaktor, eine altersbedingte Makuladegeneration, also eine Sehschwäche zu bekommen, liegt bei mir 60-fach höher. Ein Augenarzt bestätigte mir das dann im Frühstadium. Ich nehme seither bestimmte antioxidative Nahrungsergänzungsmittel, die den Verlauf der Krankheit verlangsamen und trage bei Sonnenschein eine Art Mafia-Sonnenbrille mit sehr hohem UV-Filter. Ich finde es sehr wichtig, dass man schon jedes Baby analysiert, wo Risikofaktoren sein könnten, dann kann man frühzeitig beginnen, gezielt vorzubeugen. Damit beginnt lebenslange Prävention.

Wie kann man das biologische Alter zuverlässig messen?

Es gibt die epigenetische Uhr. Das ist ein algorhithmenbasiertes  Modell, das anhand von Methylierungs-Muster auf der DNA das biologische Alter einer Person schätzt. Methylierungs-Muster sind epigenetische Marker, sind Stopp-Schilder auf der DNA, die sich lebensstil- und altersabhängig verschieben. Man muss sich aber bewusst sein, dass dabei nicht alle Alterungsmarker ausgelesen werden. Dazu müsste man viel genauer analysieren, zum Beispiel die 20.000 Proteine analysieren, die in unserem Blut kreisen. Deren Muster verrät, wie alt die einzelnen Organe sind. Bei manchen ist das Herz das biologisch älteste Organ, bei anderen ist es die Niere, aber es kann auch das Gehirn sein.

Die Altersforschung und ihre Ergebnisse sind eine Chance für die Menschen, aber natürlich auch für die Unternehmen, die daran forschen. Welche Bereiche der Longevity- Forschung halten Sie aus Sicht eines Investors aktuell für besonders zukunftsträchtig?

Ich durfte vor anderthalb Jahren einen vermögenden Investor in die Bay-Area für eine Woche begleiten. Wir haben jeden Tag acht Startups und Instituts-Ausgründungen besucht und jedes hatte ungefähr eine Stunde Zeit mit uns. Mein Resümee: Ich würde nie in Einzelunternehmen investieren, weil all das, was im Augenblick in der Entwicklung ist, und was dann tatsächlich die Alterungsprozesse nachhaltig aufhalten könnte, noch in Frühphasen steckt. Da es sich um Medikamente handelt, müssen sie extrem teure Prüf-Verfahren durchlaufen und mit dem Risiko, dass das Ganze am Ende dann doch noch kippt und Hunderte von Millionen Euro weg sind. Also Hochrisikokapital in einzelne Unternehmen investieren? Eher nicht. Es gibt allerdings einige Longevity-Fonds, die machen einen Superjob.

Zum Beispiel?

Maximon ist zwar kein Fonds, sondern ein Company-Builder und investiert nur in down to Earth umsetzbare Themen, beispielsweise eine Klinikkette für Longevity, auch in Langlebigkeits-Nahrungsergänzungsmittel, die gut laufen. Und es gibt Plattformen, die die Daten für den ärztlichen Bereich zusammentragen und auswerten, was auch eine Investition sein kann. Es gibt natürlich auch mutige Investoren. Jeff Bezos investierte mit weiteren Partnern über drei Milliarden Dollar in Altos Labs und kauft die besten Leute weltweit zusammen mit Jahresgehältern, die so hoch sind, dass die Wissenschaftler natürlich sofort mit fliegenden Fahnen die Unis verlassen und auch Top-Pharma-Jobs. Das ist schon interessant. Dort beschäftigen sie sich mit der epigenetischen Reprogrammierung. Das heißt: Wie können wir die Stoppschilder auf unserer DNA gezielt auf Rückwärtsgang programmieren. Das ist natürlich faszinierend, aber gesicherte Ergebnisse dringen bisher nicht nach außen.

Gibt es Startups oder Forscherteams, die die Chance haben, in den nächsten 5 bis 10 Jahren, den Markt grundlegend zu verändern?

Viele. Da sind die erwähnten Langlebigkeits-Kliniken. Einige bieten den  Blutplasmaaustausch an – dessen Effekte für eine gesunde Langlebigkeit noch nicht valide nachgewiesen sind. Interessant ist auch die Entwicklung von Senolytika. Das sind Medikamente, die selektiv seneszente Zellen eliminieren sollen. Also Zellen, die sich nicht mehr teilen, aber jede Menge entzündungsfördernde Stoffe ausschütten und damit zu altersbedingten Krankheiten beitragen. Auch andere Startups machen ihren Weg. Da wird was kommen.

Wenn wir tatsächlich länger gesund leben: Wie verändern sich dann unsere Vorstellung von Arbeit, Ruhestand und Bildung im Laufe des Lebens?

Da sollten wir vielleicht nach Japan schauen, nach Singapur – oder jetzt auch nach China. Dort werden auch von Seiten der Regierungen Programme entwickelt, um die gesunde Lebensspanne zu verlängern. In einigen Ländern mit einigen Erfolgen.  

Mit welchen Folgen?

Japan antwortet auf die längere Gesundheitsspanne der Menschen mit „Silver Economy“. Starre Renteneintrittsalter werden abgeschafft und flexibles Arbeiten im Alter ermöglicht, entsprechend dem Gesundheitszustand möglich. Die Politik schafft Anreize, das dann auch zu tun. Wichtig ist natürlich, steuerlich keine Nachteile zu erleiden, wenn man im Rentenalter zusätzlich noch arbeitet – wie bei uns.  Sondern das Gegenteil wird angestrebt:  Unterstützung zu leisten für diejenigen, die altersbedingt in einen körperlich leichteren Job wechseln wollen oder eine neue Ausbildung absolvieren wollen. Das eröffnet enorme Spielräume, um erfahrene, gut ausgebildete Arbeitnehmer lange im Arbeitsleben zu halten, je nach Fitness im Alter auch in Teilzeit. Die Studienlage zu „angemessener Arbeit im Alter“ ist im Übrigen eindeutig:  Angemessene Arbeit fördert die Kognition, senkt soziale Isolation und schützt vor manchen chronischen Erkrankungen.

Frau Ruge, danke für dieses Gespräch.