Business & Beyond Mein Mörder, mein Interview

Mein Mörder, mein Interview

Wie ein türkischer Journalist seinen Mörder interviewt

Can Dündar war Chefredakteur einer türkischen Traditionszeitung, die einen illegalen Waffenschmuggel aufdeckte, der unter Erdogan gelaufen ist. Dafür hätte Dündar ermordet werden sollen, doch der Anschlag scheiterte. Jetzt hat der Journalist seinen Beinahe-Mörder getroffen und ein Buch darüber geschrieben.

Der türkische Journalist und in Berlin lebende Autor Can Dündar (64) hat in seinem jüngsten Buch etwas aufgeschrieben, was wohl kaum jemandem bisher widerfahren ist: Er traf sich mit seinem Mörder. Oder besser gesagt, demjenigen, der den Auftrag hatte, ihn umzubringen. Einige fast unglaubliche Schicksalswendungen brachten den im Exil in Berlin lebenden Journalisten mit dem Kriminellen zusammen. Der sitzt zurzeit in einem argentinischen Gefängnis und fürchtet, eine Auslieferung an die Türkei, die er vermutlich nicht überleben würde. Denn für die Machthaber in Ankara und „ihre Freunde der türkischen Mafia“, berichtet Dündar, gehe es um viel zu viel. (Can Dündar: „Ich traf meinen Mörder: Ein Journalist und die dunklen Seiten der Macht“ Verlag Kiepenheuer & Witsch)

Wir haben mit Dündar gesprochen. Sein Blick auf die türkische Republik ist der eines intimen Kenners. Er war viele Jahre Chefredakteur von „Cumhuriyet“, mit 100 Jahren eine der traditionsreichsten Zeitungen in der Türkei. Doch 102 Jahre nach der Gründung der Republik durch Kemal Atatürk sieht Dündar seine Heimat tief verfangen in einer sich krakenartig verästelnden Autokratie – mit Recep Erdoğan an der Spitze. Für Oppositionelle gebe es da Platz im Exil oder im Gefängnis, wie es dem populären Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu geschehen ist.

Im Gespräch stellt Dündar es so dar: „Stellen Sie sich vor, wie einfach es für einen Autokraten ist, ein Land zu regieren. Man muss nur seine Rivalen ins Gefängnis stecken, dann das Land regieren und die Wahlen gewinnen“. Auf welche Weise auch immer. Aber: „Sie müssen sehen, dass in der Türkei jede Woche die wichtigste Oppositionspartei die Menschen auf die Straße ruft und Zehntausende gegen Erdogan protestieren. Das ist nicht einfach in einem Land, in dem man für alles, was gegen die Regierung gerichtet ist, ins Gefängnis kommen oder bedroht werden kann.”

Can Dündar erwarten, sollte er zurückkehren, mehr als 27 Jahre Gefängnis. Dieses Urteil geht zurück auf einen journalistischen Coup, den er 2014 landete. Dündar erhielt aus Geheimdienstkreisen die Information, dass die türkische Regierung Waffen an Islamisten in Syrien lieferte. „Damals war es eine geheime Operation, und die Obama-Regierung (Vizepräsident Joe Biden) kritisierte Erdogan. Putin kritisierte Erdogan – also versteckten sie ihre Unterstützung für die Dschihadisten in Syrien. Es war natürlich auch eine illegale Operation, weil der türkische Geheimdienst gesetzlich nicht befugt war, Waffen in andere Länder zu liefern. Sie haben also etwas völlig Illegales getan. Dann haben sie das Gesetz geändert, nachdem meine Berichte veröffentlicht wurden. So gaben sie dem Geheimdienst die Befugnis, Waffen in andere Länder zu schmuggeln.” Dündar konnte die Waffen, versteckt unter Lebensmittellieferungen, per Video in Augenschein nehmen: Maschinengewehre, Granaten, Minen, was auch immer. Sein Bericht führte sofort zur Verhaftung. Ein erstes Urteil – fünf Jahre und zehn Monate wegen Geheimnisverrats – wurde von der obrigkeitlich kontrollierten Staatsanwaltschaft angefochten, das nächste Urteil erging dann 2016 auch wegen Spionage und dem in der Türkei vielseitig verwendbaren Tatvorwurf der „Terrorunterstützung”: Insgesamt 27 Jahre Gefängnis.

Aber da war der Autor schon außer Landes geflohen. Nach Deutschland. Und dort erreichte ihn die fast unglaubliche Nachricht seines „Mörders”. Der Mann, der sich da aus einem argentinischen Gefängnis meldete, von wo er auf Ersuchen der Türkei ausgeliefert werden soll, versprach dem Journalisten Insiderinformationen über die kriminellen Geflechte von Regierung, Geheimdiensten und türkischer Mafia. Und bekannte, dass er den Auftrag hatte, ihn zu töten. Und dies glaubhaft – schon 2016 hatte ein gedungener Attentäter versucht, Can Dündar vor dem Gericht in Istanbul zu erschießen. Der Geistesgegenwart seiner Frau, die den Mann anrempelte, verdankte er es, dass der Schuss nicht traf. Dann aber, 2020, Jahre später, offenbarte sich ein weiterer Auftragskiller, Serkan Kurtuluş, der seinen Auftrag eben nicht ausführte. Auch er war in die Waffenlieferungen involviert. Kurtuluş geriet selbst ins Fadenkreuz der Geheimdienste: „Ein Whistleblower ist natürlich sehr wichtig. Deshalb versuchen sie, ihn zu fassen, zu bestrafen und zum Schweigen zu bringen. Und deshalb versuche ich, ihn herauszuholen, ihn zu schützen und aufzuzeichnen, was er bereits weiß”, sagt Can Dündar.

„Ehrlich gesagt, mich hat das umgehauen, 2023. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass jemand bereit ist, alle Geheimnisse hinter dem Anschlag zu enthüllen. Aber wir haben fast vermutet, dass es eine Art Kombination aus Erdogans Palast, dem Geheimdienst und der Mafia war. Diese Zusammenarbeit hat das Land in den letzten zwei Jahrzehnten regiert. Und das ist nichts Neues in der türkischen Politik. Ich meine, die rechten Regierungen arbeiten immer mit Mafiabossen zusammen, und der türkische Geheimdienst hat sie immer für schmutzige Operationen benutzt. Das ist also nichts Neues. Aber was außergewöhnlich ist, ist, jemanden zu finden, der bereit ist, über all diese Themen zu sprechen”. Es entwickelte sich ein Briefwechsel, und dann der Plan zu einem Treffen.

Can Dündar eruierte, wie er nach Buenos Aires reisen könnte, ohne seinerseits in Auslieferungshaft genommen zu werden. Nach langen diplomatischen Verwicklungen reiste der Journalist zu seinem Fast-Mörder. Das Treffen im Gefängnis bestätigte viele Zusammenhänge, die der Autor bereits ahnte, aber auch neue Verbindungen. Und die Gefahr, in der der Häftling schwebt, hat die ungleichen Gesprächspartner nun auf eigentümliche Weise zusammengekettet. Ob Dündars Schicksal nun mit seinem verflochten bleiben wird? „Ich fürchte ja. Ja, das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe gerade vor einer Stunde seine neueste Sprachnachricht gehört. Er hat mir gesagt, dass seine Auslieferung jetzt bevorsteht und dass es sehr ernst ist. Und seit kurzem sind alle gerichtlichen Verfahren und Einsprüche erschöpft, und es gibt keinen anderen Weg. Anstatt in Buenos Aires politischen Druck auf die Regierung auszuüben, sind sie rechtlich bereit, ihn von Argentinien in die Türkei auszuliefern. Und wenn er in die Türkei überstellt wird, kann er nicht überleben. Deshalb möchte er wirklich seine letzte Chance nutzen, um freigelassen zu werden oder zumindest in Argentinien bleiben zu können. Oh, und stellen Sie sich meine Situation vor. Wirklich? Ich meine, ich versuche jetzt, jemanden zu schützen, der mich töten soll oder der beauftragt wurde, mich zu töten. Und jetzt, wie Sie sagten, haben sich unsere Schicksale irgendwie gekreuzt.“

Während Can Dündar versucht, den Ex-Kriminellen vor der Auslieferung in Erdogans Machtbereich zu bewahren, ist er selbst auch in Berlin keineswegs sicher. „Ich meine, natürlich wissen sie, dass es sogar in Deutschland eine Art Bedrohung gibt. Die deutschen Behörden versuchen also, mich zu schützen und mögliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn ich etwas in der Öffentlichkeit mache. Sie wollen keinen Ärger. Natürlich wissen sie in Deutschland, dass Erdogan absolut bereit ist, seine Gegner zu bestrafen, wo immer sie sich befinden. Sie versuchen, zumindest in Deutschland Ärger fernzuhalten. Aber natürlich kann man den Vereinbarungen oder Vorsichtsmaßnahmen nicht trauen, wenn man es mit Führern wie Erdogan zu tun hat”.

„Ich traf meinen Mörder“, Galiani Verlag, Berlin 2025.

Bleibt er dennoch Optimist, was die Zukunft seines Heimatlandes angeht? „Ja, das bin ich. Um ehrlich zu sein, bin ich es ein bisschen leid, Optimist zu sein, aber ich bin immer noch Optimist, weil ich irgendwie an die Widerstandsfähigkeit der Menschen glaube. Der türkischen Menschen. Stellen Sie sich ein Land vor, das seit zweieinhalb Jahrzehnten unter dieser autoritären Herrschaft lebt. Und es gibt immer noch einen sehr starken Widerstand. Und alle Meinungsumfragen zeigen, dass Erdogan bei einer heutigen Wahl verlieren würde.“

Die Hoffnung auf eine Annäherung an Europa allerdings hat Dündar aufgegeben – daran ändern auch die schönen Worte des deutschen Bundeskanzlers bei seinem jüngsten Besuch in der Türkei nichts: „Er hätte Zeichen setzen können, sich mit der Opposition treffen, womöglich Imamoglu im Gefängnis besuchen. Ja, es ist wohl nur Show. Ich glaube nicht, dass dieser Besuch etwas Positives für das türkische Volk bringen könnte: Europa neigt dazu, die Türkei als Puffer zu sehen, als Pufferzone, um zu verhindern, dass neue Flüchtlinge nach Europa kommen. Und zweitens als profitablen Markt für Waffenverkäufe. Waffenverkäufe. Sonst nichts, wirklich. Und ich glaube nicht, dass er (Merz) sich noch um Menschenrechtsfragen in der Türkei kümmert.”

Für die Türkei ist Europa, so wie die Dinge liegen, ein ferner Traum geworden: „Leider entfernt sich das Land Jahrzehnt für Jahrzehnt von Europa, anstatt sich ihm anzunähern. Und ich denke, dass dies jetzt die schlimmste Zeit in der 100-jährigen Geschichte der Republik ist. Die Türkei hat sich zu einer Autokratie im Nahen Osten entwickelt, anstatt zu einer westlichen Demokratie”.