Work & Winning Freie Fallhöhe: Jeder Fünfte Selbstständige steht vor dem Aus – und keiner schaut hin

Freie Fallhöhe: Jeder Fünfte Selbstständige steht vor dem Aus – und keiner schaut hin

Jeder fünfte Selbstständige in Deutschland steht vor dem Aus, während die Großwirtschaft auf Erholung hofft. Die Politik verschärft die Krise noch – und ignoriert dabei 90% aller Unternehmen im Land.

Die Zahlen sind alarmierend: 19 Prozent der Selbstständigen in Deutschland erwägen die Geschäftsaufgabe. Während Konzerne bereits den nächsten Aufschwung wittern, kämpfen Freiberufler und Kleinstunternehmer mit existenzbedrohenden Auftragslücken. Der Jimdo-ifo Geschäftsklimaindex stürzte im Oktober auf minus 23,7 Punkte – ein deutliches Signal, dass die Krise der Selbstständigen sich verschärft, statt abzuklingen.

Auftragsflaute trifft Kleinunternehmer härter als den Rest der Wirtschaft

Fast der Hälfte aller Selbstständigen fehlen aktuell die Aufträge. Konkret beklagen laut „n-tv“ 46,6 Prozent der Befragten mangelnde Aufträge – deutlich mehr als in der Gesamtwirtschaft mit 36,9 Prozent. Besonders betroffen sind Baubetriebe und das verarbeitende Gewerbe, wo die Geschäftsklimaindizes am stärksten sinken. Die Unsicherheit wächst parallel: Einem Drittel der Selbstständigen fällt es inzwischen schwer, ihre Geschäftsentwicklung überhaupt noch einzuschätzen.

„Der wirtschaftliche Druck auf Selbständige ist weiterhin hoch, viele warten noch immer auf den erhofften wirtschaftlichen Aufschwung“, erklärt Ifo-Expertin Katrin Demmelhuber laut „br.de“. Diese Stagnation steht in krassem Gegensatz zur Gesamtwirtschaft, wo die Geschäftserwartungen zwischen September und Oktober um 3,9 Punkte stiegen. „Die deutsche Wirtschaft hofft weiter auf eine Belebung der Konjunktur im kommenden Jahr“, so Demmelhuber.

Politische Ignoranz verschärft die Krise

Besonders bitter für die betroffenen Unternehmer: Die Politik ignoriert ihre Lage systematisch. Das jüngste Beispiel ist die geplante Aktivrente, die Selbstständige komplett ausschließt. Ab 2026 sollen Rentner bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen können – aber nur, wenn sie angestellt sind.

„Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind so hart wie seit Jahren nicht und anstatt gegenzusteuern, verschärft die Politik die Lage vieler Selbstständiger noch“, kritisiert Jimdo-CEO Matthias Henze laut „n-tv“. Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) hat bereits eine Petition gegen diese Ungleichbehandlung gestartet.

Die unterschätzte Wirtschaftsmacht

Dabei repräsentieren Selbstständige und Kleinstunternehmen laut „Zeit“ fast 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland und beschäftigen rund acht Millionen Menschen – zehnmal mehr als die Automobilindustrie. Trotzdem werden sie politisch systematisch übersehen.

„Die Enttäuschung darüber, bei der Einführung der Aktivrente übergangen worden zu sein und von der Regierung erneut nicht gesehen zu werden, dürfte maßgeblich zur Verschlechterung der Erwartungen beigetragen haben“, sagt VGSD-Vorstandsvorsitzender Andreas Lutz laut „br.de“. Die Konsequenz: Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Trotz Rekordbeschäftigung sinkt die Zahl der Selbstständigen seit Jahren. Die meisten Gründungen erfolgen nur noch im Nebenerwerb – das unternehmerische Risiko erscheint vielen zu hoch.

Business Punk Check

Der systematische Blindflug der Politik gegenüber Selbstständigen ist kein Zufall, sondern Programm. Während Industriekonzerne bei jeder Konjunkturdelle mit Milliardenhilfen rechnen können, müssen die eigentlichen Leistungsträger der Wirtschaft – Selbstständige und Kleinstunternehmer – die Krise allein durchstehen. Die Aktivrente ist dabei nur das jüngste Beispiel für die strukturelle Diskriminierung.

Wer heute gründet, braucht nicht nur eine brillante Geschäftsidee, sondern auch einen Plan B für den Fall, dass die Politik wieder einmal die 90 Prozent der Wirtschaft übersieht, die nicht an der Börse notiert sind. Für Entscheider bedeutet das: Diversifizieren, Rücklagen bilden und politische Interessenvertretung stärken. Der Mittelstand muss endlich lernen, so laut zu schreien wie die Großindustrie.

Häufig gestellte Fragen

  • Wie können Selbstständige der aktuellen Auftragsflaute begegnen?
    Diversifizierung ist jetzt entscheidend: Erschließen Sie neue Kundengruppen, entwickeln Sie digitale Zusatzangebote und prüfen Sie Kooperationen mit anderen Selbstständigen. Gleichzeitig sollten Fixkosten kritisch geprüft und Rücklagen für mindestens sechs Monate aufgebaut werden.
  • Welche Branchen sind von der Krise der Selbstständigen besonders betroffen?
    Am härtesten trifft es aktuell das verarbeitende Gewerbe und die Baubranche. Beide Sektoren leiden unter der Kombination aus hohen Energiekosten, Materialengpässen und zurückhaltenden Investitionen. Besser positioniert sind Selbstständige in den Bereichen IT-Sicherheit, Energieeffizienz und Gesundheitsdienstleistungen.
  • Wie können Selbstständige politisch mehr Gehör finden?
    Der Einzelkampf bringt wenig – organisieren Sie sich in Branchenverbänden wie dem VGSD oder regionalen Wirtschaftsvereinigungen. Unterstützen Sie aktiv Petitionen wie die zur Aktivrente und nutzen Sie soziale Medien, um auf die systematische Benachteiligung aufmerksam zu machen. Wichtig: Vernetzen Sie sich mit Journalisten und politischen Entscheidern in Ihrer Region.
  • Was bedeutet die Krise der Selbstständigen für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
    Die sinkende Gründungsbereitschaft führt mittelfristig zu weniger Innovation, geringerer Wettbewerbsfähigkeit und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Wenn die Politik nicht gegensteuert, droht Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückzufallen – gerade in zukunftsträchtigen Branchen, wo agile Kleinunternehmen oft die Innovationstreiber sind.
  • Welche konkreten politischen Maßnahmen könnten Selbstständigen jetzt helfen?
    Neben der Einbeziehung in die Aktivrente wären Bürokratieabbau, vereinfachte Steuerregeln und ein Belastungsmoratorium dringend nötig. Zudem sollten öffentliche Aufträge verstärkt an kleine Unternehmen vergeben werden – mit vereinfachten Vergabeverfahren und schnelleren Zahlungsfristen.

Quellen: „n-tv.de“, „br.de“, „Zeit“