Brand & Brilliance Der unsichtbare Milliardär: Sheins Phantom-CEO im EU-Kreuzfeuer

Der unsichtbare Milliardär: Sheins Phantom-CEO im EU-Kreuzfeuer

Xu Yangtian baute ein 19-Milliarden-Imperium, ohne dass ihn jemand kennt. Während Europa Sheins Geschäftsmodell bekämpft, muss der scheue Gründer nun aus dem Schatten treten.

Er führt ein Unternehmen mit Milliardenumsatz, doch nicht einmal seine eigenen Mitarbeiter erkennen ihn. Xu Yangtian, Gründer des Fast-Fashion-Giganten Shein, hat das Unsichtbarsein zur Kunst erhoben. Keine Interviews, keine Fotos, keine öffentlichen Auftritte. Der 40-jährige Chinese verkörpert das Gegenteil seines Unternehmens: Während Shein laut, grell und omnipräsent ist, bleibt sein Schöpfer ein Phantom. Doch jetzt, wo Europa den Kampf gegen das umstrittene Geschäftsmodell aufnimmt, könnte Xus Zeit im Verborgenen enden.

Der Meister des Versteckspiels

Als eine amerikanische Unternehmensberaterin Xu durch die Firmenzentrale in Guangzhou begleitet, passiert etwas Bemerkenswertes: Niemand beachtet den Mann, der das milliardenschwere Imperium erschaffen hat. „Das ist nicht unsere Kultur“, erklärt er ihr schlicht, wie sie später dem „Wall Street Journal“ berichtet.

Laut „n-tv“ beschreibt der chinesische Unternehmensberater Hu Jianlong den Shein-Gründer als „extrem zurückhaltend“ – jemand, der lieber inkognito in der Firmenkantine isst als im Rampenlicht zu stehen. Diese Strategie der Unsichtbarkeit ist kein Zufall. In China sind in den vergangenen Jahren mehrere prominente Unternehmer in Ungnade gefallen. Alibaba-Gründer Jack Ma verschwand monatelang aus der Öffentlichkeit, nachdem er die Regierung kritisiert hatte. 2022 verlegte Xu den Shein-Hauptsitz nach Singapur – geografisch näher an westlichen Investoren, politisch weiter weg von Peking.

Die Lieferkette als Waffe

Vom Sohn einfacher Fabrikarbeiter zum Milliardär – Xus Aufstieg ist beeindruckend. Geboren 1984 in der Industriestadt Zibo, studierte er internationalen Handel und verkaufte bereits während des Studiums alles, was sich online vertreiben ließ. Sein Prinzip: erst die Nachfrage analysieren, dann produzieren. Was Zara-Gründer Amancio Ortega mit stationärem Handel begann, perfektionierte Xu digital.

Sein System analysiert Millionen Social-Media-Posts, kopiert Designs blitzschnell und lässt sie über tausende kleinere Fabriken produzieren. „Xu hat die Agilität der Lieferkette zur strategischen Waffe gemacht“, zitiert „Financial Times“ den ehemaligen Amazon-Berater Brittain Ladd. Heute nutzen Hunderte Millionen Menschen weltweit die Shein-App. Bloomberg schätzt Xus Vermögen auf 19,5 Milliarden Dollar – eine Zahl, die Shein bestreitet, ohne eine andere zu nennen.

Europas Gegenangriff

Während Xu schweigt, geht Europa in die Offensive. Frankreich hat laut „bild.de“ gerade eine Pauschalabgabe von zwei Euro auf Kleinsendungen aus Nicht-EU-Ländern beschlossen, die jährlich rund 500 Millionen Euro einbringen soll. Die EU-Kommission plant, die Zollfreiheit für Billigimporte unter 150 Euro bereits 2026 abzuschaffen – zwei Jahre früher als ursprünglich geplant. Gleichzeitig ermittelt die französische Justiz gegen Shein wegen des Verkaufs von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen.

Bei einer 24-stündigen Großkontrolle beschlagnahmte der Zoll am Pariser Flughafen 200.000 Shein-Pakete. Das Ergebnis: Acht von zehn Artikeln erwiesen sich als nicht konform mit EU-Standards. Hinzu kommt eine Sammelklage von etwa 100 französischen Modemarken, darunter Monoprix und Promod. Sie fordern Schadenersatz für die ihnen entstandenen Schäden, wie „n-tv“ berichtet. Der Vorwurf: unlauterer Wettbewerb durch Missachtung europäischer Vorschriften. Shein weist die Anschuldigungen zurück und spricht von einem Boykottaufruf.

Der Börsengang als Wendepunkt

Für Xu könnte ein geplanter Börsengang in Hongkong zum Wendepunkt werden. Nach gescheiterten Plänen in London und den USA liegt nun laut „web.de“ bereits ein offizieller Antrag in der chinesischen Sonderverwaltungszone vor. Doch ein Börsengang verlangt Transparenz – und einen Gründer, der Verantwortung sichtbar trägt.

Die Frage ist: Kann ein Mann, der ein globales Milliardenimperium aufgebaut hat, weiterhin unsichtbar bleiben? Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Meister des Versteckspiels seine Maske fallen lassen muss.

Business Punk Check

Der Shein-Fall zeigt die Grenzen des Hyperwachstums im Schatten. Während europäische Unternehmen unter strengen Regularien ächzen, hat Xu ein System geschaffen, das genau diese Lücken ausnutzt: Keine Lagerhaltung, keine Läden, minimale Steuern, maximale Skalierung. Die EU-Offensive gegen Billigimporte ist kein Protektionismus, sondern überfällige Regulierung.

Der wahre Wettbewerbsvorteil liegt nicht in der Lieferkette, sondern in der Regulierungsarbitrage – dem gezielten Ausnutzen unterschiedlicher Rechtsräume. Für europäische Unternehmen heißt das: Statt Sheins Modell zu kopieren, sollten sie auf Transparenz, Nachhaltigkeit und lokale Wertschöpfung setzen. Die Zukunft gehört nicht dem billigsten, sondern dem ehrlichsten Anbieter. Die Frage ist nicht, ob Xu aus dem Schatten treten muss, sondern wann die EU endlich ein Level Playing Field schafft.

Häufig gestellte Fragen

  • Warum geht die EU jetzt so entschlossen gegen Billig-Plattformen wie Shein vor?
    Die EU reagiert auf die massive Regulierungsarbitrage dieser Plattformen. Mit der Abschaffung der 150-Euro-Zollfreigrenze und Pauschalabgaben auf Kleinsendungen schafft sie fairere Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen, die höhere Standards einhalten müssen.
  • Welche Strategien können europäische Modemarken gegen die Billig-Konkurrenz entwickeln?
    Statt den Preiskampf mitzumachen, sollten europäische Marken auf Transparenz, lokale Produktion und nachhaltige Materialien setzen. Die Kommunikation der eigenen Wertschöpfungskette wird zum Wettbewerbsvorteil, wenn Kunden verstehen, wofür sie mehr bezahlen.
  • Wie wirkt sich die verschärfte EU-Regulierung auf den Mittelstand aus?
    Mittelständische Unternehmen profitieren von faireren Wettbewerbsbedingungen durch die EU-Maßnahmen. Sie sollten jetzt in digitale Vertriebskanäle investieren und gleichzeitig ihre Stärken – Qualität, Kundennähe und Flexibilität – ausspielen, statt mit Billiganbietern um den niedrigsten Preis zu konkurrieren.
  • Welche Branchen könnten nach der Mode als nächstes von ähnlichen Billig-Plattformen bedroht werden?
    Nach der Mode sind besonders Elektronik, Haushaltsgeräte und Möbel gefährdet. Mittelständische Anbieter dieser Branchen sollten proaktiv auf Qualitätsstandards und Transparenz setzen, bevor sie in denselben ruinösen Preiskampf geraten wie die Modeindustrie.
  • Was bedeutet Sheins Hongkong-Börsengang für europäische Investoren?
    Europäische Investoren sollten bei Shein genau hinschauen: Der Hongkong-Börsengang bedeutet weniger Transparenzpflichten als in London oder New York. Zudem könnten die verschärften EU-Regularien das Wachstum in Europa bremsen. Die Abhängigkeit von chinesischen Lieferketten bleibt ein Risikofaktor.

Quellen: „n-tv.de“, „web.de“, „bild.de“