Tech & Trends Experteninterview: „KI wird zur Marke, ob wir wollen oder nicht.“

Experteninterview: „KI wird zur Marke, ob wir wollen oder nicht.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christian Chlupsa über emotionale Maschinen, Markenvertrauen ohne Transparenz – und warum ChatGPT das neue Tempo ist.

Künstliche Intelligenz ist längst mehr als Technologie. Sie spricht mit uns, berät uns, begleitet unseren Alltag – und beginnt damit, wie eine Marke zu wirken. Doch wie entsteht eine Markenpersönlichkeit in einem System aus reinem Code? Und warum reagieren Nutzer:innen emotional auf Tools, die eigentlich neutral bleiben sollten?

Antworten darauf hat Prof. Dr. Christian Chlupsa, Verhaltensökonom, Marketingprofessor an der FOM München und Gründer des BRANDING CODE® Instituts für implizite Kommunikation. Er erforscht, wie Marken Gefühle auslösen, Entscheidungen lenken und zu echten „Lovebrands“ werden. Auf Social Media ist er längst selbst eine feste Größe – als der „Lovebrand-Macher“.

Für Business Punk ordnet Chlupsa ein, wie KI-Systeme wie ChatGPT, Gemini oder Copilot schon heute Markenlogiken verändern – und warum ihre Wirkung näher an menschlichen Emotionen liegt, als vielen bewusst ist.

Das Interview führte Günther Suchy, Redaktion Business Punk. Ein Gespräch über Markenpersönlichkeiten aus Daten, Vertrauen trotz Intransparenz – und darüber, warum am Ende immer die Lieblingsmarke gewinnt.

1. Werden KI-Systeme zu echten Marken mit Persönlichkeit – oder bleiben sie smarte Maschinen?

Chlupsa:
Ich denke schon, dass KI-Systeme eine echte Markenpersönlichkeit entwickeln können. Ein Freund von mir hat das zufällig herausgefunden: Seine Freundin nutzt ChatGPT völlig nüchtern – wie eine Kaffeemaschine. Er dagegen begrüßt das System morgens freundlich und sagt abends „Gute Nacht“. Dann haben die beiden dieselben Prompts auf ihren Geräten getestet:

Ihre Antworten – kurz, sachlich, technisch.
Seine Antworten – freundlich, ausführlich, fast schon warmherzig.

Auch meine Studierenden berichten Ähnliches: Eine Studentin bekommt von ihrer KI zum Abschied sogar Herzchen geschickt. Klar, dass das emotional etwas mit uns macht – KI spricht ja direkt mit uns.


Fazit: „Behandle KI wie einen Mitarbeiter – und sie wird gut zu dir sein.“

2. Wie kann eine KI-Marke Vertrauen aufbauen, wenn Algorithmen intransparent und ständig im Wandel sind?

Chlupsa:
Wir überschätzen total, wie wichtig den meisten Menschen Transparenz ist. Ein Teil der Nutzer will Kontrolle, ja – aber der Mehrheit ist egal, was im Hintergrund passiert.

Mich schockiert das immer wieder, gerade bei Social Media und KI. Die Mechanismen verstehen viele nicht – und wollen sie vielleicht auch gar nicht verstehen. Für manche wäre „Wahrheit“ sogar belastend, weil sie die Illusion zerstören würde.

Ein Beispiel: Der Freund einer Studentin hat eine hübsche „KI-Lady“ auf Instagram erschaffen. Der Account ist klar als KI gekennzeichnet. Trotzdem schreiben ihr Männer täglich Nachrichten. Die Illusion funktioniert – und das reicht den meisten.

KI plus Social Media schafft bereits heute perfekte Illusionen – und Vertrauen entsteht dort nicht über Technik, sondern über Gefühl.

3. Spielt das Herkunftsland einer KI – USA, Europa, China – überhaupt eine Rolle in der Markenwahrnehmung?

Chlupsa:
Ehrlich gesagt: Nein. Wir haben dazu Forschungen im Bereich Handelsmarken gemacht. Ergebnis: Es ist den Leuten schlicht egal, ob der „französische Käse“ eigentlich aus dem Allgäu kommt. Übertragen auf KI heißt das:
Wenn Menschen eine Marke mögen und nutzen, ist ihnen egal, woher sie kommt.

Und: ChatGPT hat heute eine Dominanz wie Google früher bei Suchmaschinen.
Im Zweifel greifen Nutzer zur Marke, die sie kennen.

4. Wie verändert sich Markenkommunikation, wenn Nutzer direkt mit einer KI interagieren – live, im Dialog?

Chlupsa:
Dazu gab es gerade ein krasses Experiment: Ein Forschungsteam hat über vier Monate mehr als 1.000 KI-generierte Kommentare in eine Reddit-Community eingeschleust – perfekt personalisiert, emotional, argumentativ stark.

Die KI bekam sogar ausgedachte Identitäten: ein Trauma-Therapeut, ein Missbrauchsüberlebender, ein gescheiterter Reddit-Junkie …

Das Ergebnis:
Die KI war überzeugender als echte Menschen. Ihre Kommentare bekamen mehr Zustimmung, mehr Einfluss, mehr Sichtbarkeit. Als das Projekt aufflog, war das ein Schock für die Community – ein massiver Vertrauensbruch. Einige Forscher erhielten sogar Drohungen.

Die Lehre: KI muss nicht genial sein, um gefährlich überzeugend zu wirken.

5. Werden ChatGPT & Co. die neuen „Tempo-Marken“ der KI – Systeme, die wir automatisch nutzen, weil sie am bekanntesten sind?

Chlupsa:
Absolut. Ich sage gern: ChatGPT ist das neue Tempo. Im Alltag verschwimmen Funktionsbegriffe und Markennamen ja ständig: „Google das mal.“ „Gib mir dein iPhone.“ Im Zweifel greifen wir zur bekannten Marke. Das konnte man schon in den 90ern bei Suchmaschinen sehen: Viele, gleiche Funktion – aber Google gewann durch klaren Auftritt und reduzierte Komplexität. Bei Smartphones das Gleiche mit Apple.

Im Zweifel gewinnt immer die Marke – genauer gesagt: unsere Lieblingsmarke. Deshalb ist Markenführung im KI-Zeitalter so entscheidend.


Über den Experten

Christian Chlupsa ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in München. Mit seinem BRANDING CODE® Institut für implizite Kommunikation berät der Verhaltensökonom renommierte Unternehmen in den Bereichen Marke, Marketing und Kommunikation. Als „Lovebrand-Macher“ ist er zudem auf zahlreichen Social-Media-Plattformen aktiv und erklärt dort, wie starke Marken entstehen und warum unbewusste Motive unser Entscheidungsverhalten prägen.

Buchtipp:
Chlupsa, C. (2022). Der Einfluss unbewusster Motive auf den Entscheidungsprozess – Wie implizite Codes Managemententscheidungen steuern. Wiesbaden: Springer Gabler. ISBN: 978-3-658-37229-3