Brand & Brilliance Filter-Fata Morgana auf TikTok: Wenn Marketing mit der Bahn fährt, aber nicht ankommt

Filter-Fata Morgana auf TikTok: Wenn Marketing mit der Bahn fährt, aber nicht ankommt

TikTok und Bahnfahren – zwei Universen, die selten dieselbe Haltestelle teilen. Die eine lebt von Memes, Chaos und Spontaneität, die andere von Gleiswechseln, Sitzplatzreservierungen und PR-Krisen. Jetzt sollen sie zusammenfinden – mit einer neuen Kampagne der Deutschen Bahn unter dem Claim: „Posten. Sparen. Fahren.“

Die Idee: Wer ein TikTok-Video mit speziellem DB-Filter postet, bekommt 50 % Rabatt auf ein Fernzugticket. Viralität gegen Fahrpreisnachlass. In der Theorie clever. In der Praxis? Durchwachsen.

Filter? Sind wir ehrlich: 2022 hat angerufen

Sechs eigens entwickelte TikTok-Filter für die Kampagne sollen den Entertainment-Faktor bringen. Doch wer TikTok kennt, weiß: Filter sind heute kein viraler Hebel mehr, sondern oft digitale Staffage. Kreativteams mögen sie lieben – aber der Feed verzeiht selten Dinge, die offensichtlich von Marken stammen.

Das Problem ist nicht der Filter selbst. Es ist das Vertrauen in einen Mechanismus, der längst keine Zugkraft mehr hat. TikTok belohnt Originalität, Absurdität, kulturellen Nerv – keine vorgegebenen Rahmen.

Nano und Micro sind skalierbar – aber eben nicht gleich Community

Mehr als 500 Creator:innen sollen die Kampagne mittragen. Von Nano bis Macro. Das ist klassisch durchgeplant, effizient, skalierbar – aber es bleibt oft einseitig.

Denn ein Video zu posten, bedeutet nicht, dass eine Community auch interagiert. Und genau da beginnt die Baustelle. Schaut man in die Kommentare unter vielen dieser Posts, zeigt sich: wenig Substanz, kaum Diskussion, selten echte Begeisterung. Ein paar Emojis, vielleicht ein „lol“, dann wird weitergescrollt.

Und dabei sind Kommentare das neue Gold im Social – viel mehr als Views oder Likes. Sie zeigen, ob ein Inhalt wirklich etwas auslöst, ob eine Zielgruppe sich angesprochen fühlt. Wenn es da still bleibt, helfen auch Rabattcodes nicht weiter.

Das Konzept: durchdacht, aber überplant

Die ausführende Agentur – GUD Berlin – ist absolut solide, kreativ, digital erfahren. Daran liegt es nicht. Die Kampagne ist strukturell sauber, handwerklich gut gemacht. Doch der Ansatz wirkt: zu glatt, zu kontrolliert. Fast schon wie ein cleverer Case fürs New-Business-Deck, aber nicht wie ein lebendiger Moment im Feed.

Und dann noch das: Die ganze Mechanik (Filter + Rabatt) trägt den Charme einer cleveren Rabattaktion. Kein Movement, kein Moment. Nur Mechanik.

TikTok Bahn Filter

Auch TikTok bewertet die Kampagne Posten. Sparen. Fahren. als gelungenen Case moderner Markenkommunikation. David Roland, Head of Global Business Solutions DACH, sagt dazu:
„Die Deutsche Bahn zeigt mit dieser Aktion, wie durch kreative Nutzung von TikTok-Mechaniken – insbesondere mit Filtern und Community-Aktivierung – virales Potenzial entfesselt werden kann. Markenkommunikation wird so spielerisch, partizipativ und belohnt Kreativität. Wir freuen uns, dass TikTok hier als Plattform für authentische Markenerlebnisse genutzt wird.“

Trotzdem bleibt ein Nachgeschmack: Das Ganze wirkt an vielen Stellen wie ein klassisches Reichweitenpaket aus der Creator-Schublade von ENKIME – mit Filter-Momenten, Hero-Creators und einem Aktivierungsmechanismus, der zwar gut skaliert, aber weniger nach nachhaltiger Markenbindung aussieht als nach kurzfristigem UGC-Sprint.

Zwar war mit GUD.berlin ein starkes Design-Team an Bord, unterstützt von Dentsu Creative, Carat und Basilicomm GmbH – aber am Ende bleibt die Frage: Geht es hier wirklich um langfristigen Community-Aufbau oder doch eher um eine clevere Rabatt-Kampagne mit Viral-Ambitionen?

Warum TikTok keine Rabattplattform ist

TikTok ist kein Couponheft. Es ist ein pulsierender Kulturraum. Wer dort auffallen will, muss Teil der Unterhaltung werden, nicht ihr Produzent. Statt Filter mit Verkaufsfunktion braucht es mutige Ideen mit Relevanz.

Denn im Zeitalter der Content-Überflutung sind es nicht die Mediabudgets, die den Unterschied machen – sondern Resonanz. Und Resonanz entsteht dort, wo etwas Unerwartetes, Ungeplantes passiert.

Fazit: Mit Vollgas in den Mittelwert

Diese Kampagne ist kein Unfall. Aber auch kein ICE Richtung Social-Innovation. Eher ein Regionalexpress mit WLAN-Ausfall: kommt an, aber keiner spricht drüber.

Was man daraus lernen kann? Wer auf TikTok fährt, braucht mehr als eine Rabattlogik. Man braucht Haltung. Humor. Mut zur Lücke.

Und ein Blick in die Kommentare schadet nie. Denn wenn da nichts passiert, ist der virale Zug längst abgefahren.