Brand & Brilliance Der inszenierte Shitstorm: Pop’it vs. Super Pop und Pamela Reif

Der inszenierte Shitstorm: Pop’it vs. Super Pop und Pamela Reif

Wie das Startup Pop’it mit falschen Behauptungen gegen Pamela Reifs neues Getränk zum Social Media Hit wurde.

Es ist das perfekte Social-Media-Narrativ: Ein junges Startup wird von einem großen Konzern dreist kopiert. Millionen empörter Userinnen sehen und teilen die Videos, eine reichweitenstarke Meinungsbloggerin springt auf den Zug auf, ein Shitstorm entsteht. Doch Dokumente, die der Business-Punk-Redaktion vorliegen, zeichnen ein anderes Bild: Nicht spontane Empörung, sondern ein gezielt aufgebautes Narrativ trieb die Welle an.

Die Wahrheit liegt in den Mails

Interne E-Mails, WhatsApp-Verläufe, Lieferscheine und Markenregister-Einträge belegen: UniBev, Mutter von Super Pop, arbeitete bereits seit April 2023 an Apfelessig-Limonaden – mehr als ein Jahr, bevor Pop’it überhaupt gegründet wurde. Am 14. April 2023 sichtete UniBev erste US-Trendstudien. Im August 2023 lagen Produktmuster vor. Im September wurde die Rezeptur um Apfelessig ergänzt. Von Pop’it war zu diesem Zeitpunkt keine Spur zu sehen.

Dazu kommt: Noch im Frühjahr 2025 standen UniBev und Pop’it im partnerschaftlichen Kontakt. WhatsApp-Chats zeigen, wie Pop’it-Gründerin Nour Idelbi bei UniBev-Chef Fabian Huber um eine Investition bat. Huber lehnte höflich ab mit dem Hinweis, man arbeite bereits an einem eigenen Projekt. Das Gespräch verlief konstruktiv, man tauschte sogar Designs aus. Von Kopiervorwürfen war keine Rede. Pop’it bestätigt: „Wir baten UniBev um Mentoring; ein Investment-Vorschlag stand im Raum – wurde nicht verfolgt. Das ist nicht unüblich unter Gründern.“

Kommunikationsstrategie und Investoren-Claims

In Erstgesprächen mit möglichen Partnern erwähnte Idelbi eine Riege prominenter Investoreninnen: Rewe Co-CEO Jan Kunath sei „an Bord“, ebenso Tina Müller (Ex-Douglas, heute Weleda CEO) und die Fußball-Weltmeister Mario Götze und Ilkay Gündogan. Die Namen wurden genutzt, um Glaubwürdigkeit bei Kooperationspartnerinnen aufzubauen.

Ob diese Beteiligungen in der kommunizierten Form existierten, bleibt unklar. Die Behauptungen wurden teilweise über Kreuz kommuniziert – verschiedenen Influencerinnen wurde suggeriert, jeweils andere Promis seien bereits dabei. Für eine 20-jährige Gründerin in der Aufbauphase ihres ersten Startups mag dies als üblicher Networking-Ansatz erschienen sein, erfahrene Branchenakteurinnen dürften solche Praktiken kritisch bewerten.

Pamela Reif: Der Wendepunkt?

Der Konflikt eskalierte über Pamela Reif. Im April fragte Idelbi die Fitness-Influencerin per Mail für eine Kooperation an. Doch Reif war bereits bei Super Pop involviert – ein Umstand, den ihr Manager Houssein Ali Jaber Idelbi in einem Telefonat mitteilte. Für Pop’it ein PR-Problem, für Super Pop ein wertvoller Testimonial.

Was dann im Rahmen des Launches beider Produkte Mitte August geschah, entwickelte sich zu einer komplexen Social-Media-Dynamik. TikTok-Creator Lowkeytimur, Teil der Pop’it-Community, machte den Anfang mit kritischen Videos. Meinungsbloggerin Alicia Joe folgte mit inszeniert investigativen Analysen, die allein auf TikTok über 1,1 Millionen Views generierten. Joes Video war weniger Analyse als eine David-gegen-Goliath-Erzählung: emotional, parteiisch, polarisierend – und damit perfekter Social-Media-Stoff. Super Pop, UniBev oder Pamela Reif kontaktierte sie vor Veröffentlichung nicht. Was im Journalismus Pflicht wäre, ersetzt die Creator-Szene durch Viralität.

Pop’it teilte zudem die kritischen Videos von Lowkeytimur und Alicia Joe über die eigenen Kanäle. „Reposts sind keine Absegnung jeder Formulierung und keine Vorverurteilung“, verteidigt Nour dieses Vorgehen. Die juristische Perspektive dürfte womöglich anders aussehen: Das Teilen von Inhalten ist ein „sich zu eigen machen“ und könnte so gewertet werden wie ein eigener Post. Zur Rolle von Lowkeytimur betont Nour: „LowkeyTimur ist ein unabhängiger Creator aus der Community: keine Bezahlung, keine Briefings, keine Upload-Absprachen. Wir können Menschen nicht steuern.“ Unsere Recherche ergab, dass sich beide gut zu kennen scheinen: So bedankte sich Timur öffentlich bei Idelbi auf LinkedIn, auch traten beide mehrfach gemeinsam in TikTok-Livestreams und Facetime-Meetings von Pop’it auf. Eigene Videos von Pop’it befeuerten das Plagiatsnarrativ und verhalfen den Social-Media-Kanälen zum exponentiellen Wachstum. Laut Analysen des Tools influData verdoppelte sich die Followerzahl seit Beginn des Shitstorms Mitte August von 8.000 auf heute 16.700.

Das Poppi-Problem

Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Pop’it, das Super Pop des Kopierens bezichtigt, orientiert sich selbst auffallend stark am US-Erfolgsprodukt Poppi, das im März für 2 Milliarden Dollar von Pepsi akquiriert wurde. Name, Design, Konzept – die Ähnlichkeiten sind frappierend. Die Markenregistrierungen beim Deutschen Patent- und Markenamt zeigen: Poppi wurde am 6. November 2024 eingetragen, Pop’it erst zwei Tage später am 8. November.

Gründerin in der Lernkurve

Unsere Recherche zeigt handwerkliche Herausforderungen bei Pop’it in verschiedenen Bereichen:

Rechnungsstellung: Pop’it weist in seinen Rechnungen weder Mehrwertsteuer noch den Kleinunternehmervermerk aus.

Pfandpflicht: Auf den Rechnungen an Kunden fehlt der in Deutschland obligatorische Pfandhinweis von 25 Cent.

Urheberrechte: Mehrfach nutzte das Startup auf TikTok Musik ohne die nötigen Nutzungsrechte. „Um einen Song von Justin Bieber zu verwenden, bräuchte Pop’it sowohl die Verlags- als auch die Masterrechte. Ohne diese drohen Klagen von Label und Verlag, die schnell sechsstellige Summen erreichen können“, erklärt Branchenexperte Magnus Folten (Managing Director 9:16 by WeCreate).

Gründerin Nour Idelbi ist erst 20 Jahre alt und befindet sich in einer steilen Lernkurve. „Wir sind zwei Gründer ohne FTE, arbeiten lean sehr nah an unserer Community. Ein Frühphasen-Investor ändert daran nichts – er ermöglicht lediglich die erste Produktion“, erklärt sie ihre Situation. Unerfahrenheit und fehlendes Bewusstsein für rechtliche Fallstricke sind in der Frühphase von Startups nicht ungewöhnlich – können aber kostspielige Konsequenzen haben. Pop’it betont auch: „Skandal-Reichweite ist kein Plan, sondern kostet Zeit und Vertrauen. Unsere Aufmerksamkeit kommt aus Produkt und Community – nicht aus kalkuliertem Drama.“

Die Kosten des konstruierten Skandals

Der Konflikt blieb nicht ohne Konsequenzen:

Für Super Pop: Die Online-Shop-Umsätze brachen zeitweise ein, kritische Nachfragen aus dem Handel häuften sich, das Markenimage litt. UniBev zog juristische Beratung hinzu, verzichtete jedoch bislang auf Klagen – aus Sorge, das „David-gegen-Goliath“-Märchen weiter zu befeuern.

Für Pamela Reif: Die Influencerin (10 Millionen Follower auf YouTube und 9 Millionen auf Instagram) erhielt in den ersten Tagen des Shitstorms Tausende Anfeindungen in Form von Kommentaren und Direktnachrichten auf allen Kanälen. Gegenüber Business-Punk äußerte sie sich ernüchtert über das Vorgehen der Konkurrenz: „Der seitens Pop’it mit unsauberen Mitteln befeuerte Shitstorm hat mich in meiner initialen Entscheidung für UniBev und Super Pop bestätigt.“ Auf unsere Frage, warum sie sich initial für Super Pop und gegen Pop’it entschied, sagt sie: „Für mich sind die Integrität meiner Geschäftspartner und die Stärke des Produktes die entscheidenden Faktoren in der Partnerauswahl.“

Für Pop’it: Mittlerweile schlägt die Empörung auch auf das Startup selbst zurück. In einer Instagram-Story distanzierte sich Pop’it vom initial mit ausgelösten Shitstorm. Das Startup betont: „Creator handeln redaktionell unabhängig; niemand steuert ihre Recherche. Wir wussten nicht, wen sie kontaktieren.“ Die negative Publicity belastet auch die Beziehung zu Investorinnen wie Food Labs (u.a. investiert in Getir und LAP Coffee) und macht die Handelsanbahnung schwieriger. Thomas Wurm, geschäftsführender Gesellschafter mehrerer REWE-Märkte, schrieb auf LinkedIn: „Was wir persönlich davon halten, erkennt man, wenn man durch unseren Markt spaziert: Super Pop ist dort prominent platziert und Pop’it nicht vorhanden. Das wird auch so bleiben. Qualität und Wahrheit währte schon immer länger als der größte Shitstorm.“

Empörungsmarketing hat kurze Beine

Der Fall Pop’it gegen Super Pop ist mehr als ein Streit zwischen zwei Getränkemarken. Er zeigt exemplarisch, wie in der Social-Media-Ära Narrative konstruiert werden, wie Halbwahrheiten zu viralen Wahrheiten mutieren und wie geschickt mit Emotionen gespielt wird, um Reichweite zu generieren.

Das ist grundsätzlich nicht neu: So haben wir in den letzten Wochen beispielsweise erlebt, wie American Eagle mit dem Wortspiel „Genes/Jeans“ und Milram für sein diversitätsfreundliches Verpackungsdesign jeweils massive öffentliche Kritik erhielten. Doch in beiden Fällen gewannen am Ende die Marken nicht nur Bekanntheit und Sympathien, sondern auch das Narrativ der öffentlichen Debatte zurück. Es bleibt abzuwarten, ob Pop’it das hier auch gelingt.