Brand & Brilliance Kolumne: What the ad? Boah, Werbung!

Kolumne: What the ad? Boah, Werbung!

Na, habt ihr schon die neueste Bahn Kampagne gesehen? Für mich zumindest war es das Thema der Branche.
Und ja, schon der Titel „Boah, Bahn.“ klingt nach genervtem Pendler, wahlweise auch nach ehrlicher Selbsthilfegruppe. In mehreren Folgen spielt Anke Engelke mit prominenter Unterstützung eine Bahnmitarbeiterin, die das zeigt, was wir alle kennen: Chaos, Verspätung, Genervtheit, Realität. Keine Imagepolitur, kein Corporate Gelaber – einfach Alltag auf Schienen.

Und natürlich stellt sich sofort die Frage: Darf die Bahn so?
Darf ein Unternehmen, das regelmäßig das ganze Land kollektiv auf die Palme bringt, über sich selbst lachen? Darf man Witze über das eigene Versagen machen – und das dann auch noch Werbung nennen?

Ich sag: Ja.
Nicht nur „ja, darf sie“, sondern ein deutliches: „ja, bitte.“
Denn es ist Werbung, die ehrlich ist. Die nicht versucht, mit trauriger Musik und PR-Phrasen das Image zu retten, sondern einfach sagt: Jo, wir wissen’s. Wir sind manchmal Mist. Und?

Vor zwei Jahren klang das noch anders. Da gab’s diesen Spot mit Klaviermusik, sanfter Stimme, ein bisschen Demut im Halbschatten. Die Bahn erklärte, warum die Züge zu spät kommen und dass man sich bessern will. Eine Art Entschuldigung, die so viel Emotion hatte wie ein Blumenstrauß von der Tankstelle. Fun Fact: Die Kommentare auf YouTube wurden unter der Werbung deaktiviert.

Jetzt also Humor statt Heuchelei. Und das ist gut so.
Denn Eigenhumor ist nicht nur Selbstschutz, sondern Charisma. Menschen mögen keine weichgespülten Entschuldigungen. Wer zu seinen Schwächen steht, wirkt stärker. Wer lacht, bevor andere lachen, entwaffnet.

Und ganz ehrlich: Neu ist das nicht. Die BVG macht das seit Jahren – erfolgreich. Baden-Württemberg wurde mit „Wir können alles, außer Hochdeutsch“ zur Legende. Marmite hat mit „Love it or hate it“ aus einer Wahrheit einen Claim gemacht. Und KFC hat sich nach einem Hühner-Fiasko mit einem genialen „FCK“-Bucket entschuldigt. Das ist nicht nur Selbstironie – das ist Timing.

Natürlich funktioniert das nur, wenn’s richtig gemacht ist. Wenn’s witzig, charmant, echt ist. Sonst kippt’s. Und klar, nicht jedes Thema taugt für Ironie. Wenn Müller Milch Witze über die politischen Eskapaden des Inhabers machen würde – das wäre nicht clever, das wäre einfach nur daneben.

Aber im Grundsatz gilt: Wer ein schlechtes Image hat, kann es nicht weglächeln. Kein Zuckerguss der Welt kaschiert einen bitteren Nachgeschmack. Marken, die heute Vertrauen wollen, müssen sich ehrlich zeigen. Und ehrlich heißt: verletzlich, unperfekt, menschlich.

Denn gute Werbung braucht Mut.
Mut zur Größe, wenn man sie sich leisten kann – und Mut zur Selbstironie, wenn man sie braucht.
Mut, nicht zu gefallen.
Mut, echt zu sein.

Am Ende geht’s nicht um Perfektion, sondern um Authentizität.
Und genau die ist – egal ob auf Schienen oder in Spots – das Einzige, was wirklich ankommt.