Brand & Brilliance „Made in Germany“ – läuft nicht

„Made in Germany“ – läuft nicht

Viele reden von Regionalität, lokaler Wertschöpfung und „Made in Germany“. Wir bei Joe Nimble haben es versucht – mehrfach. Was als idealistisches Vorhaben begann, endete in verschleppten Produktionsprozessen und monatelangen Verzögerungen. Erst die Rückkehr nach Asien brachte, was in Europa nicht funktionierte: Tempo, Verbindlichkeit – und echte Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit. Ein Erfahrungsbericht über eine Branche, die viel verspricht, aber wenig liefert.

Von Sebastian Bär – Gründer von Joe Nimble

„Made in Germany“ steht wieder hoch im Kurs. In Zeiten globaler Krisen, brüchiger Lieferketten und wachsenden Nachhaltigkeitsforderungen erlebt die Idee von regionaler Wertschöpfung und „local for local“ eine Renaissance. Kaum eine Marke, die nicht darüber spricht. Doch wer versucht, wirklich in Deutschland oder zumindest Europa zu produzieren, merkt schnell: Hier mahlen die Mühlen sehr langsam. Zumindest ist das meine Erfahrung.

Mein Entschluss, in Deutschland produzieren zu wollen, fiel mitten in der Pandemie. Ich hatte gerade erfolgreich eine Crowdfunding-Kampagne für unser wichtigstes Laufschuhmodell abgeschlossen, als China für Monate in den Lockdown ging. Die Folge: Keine Ware, drohende Reputationsschäden und das reale Risiko, als junge Marke gleich wieder unterzugehen.

Made in Pirmasens: Die Großen fressen die Kleinen

Damals wurde mir klar: Ich will raus aus der Abhängigkeit und eine Lieferkette aufbauen, die ich beeinflussen kann. Gleichzeitig wollte ich damit die Produktion auch gestalten. Ich fand einen Hersteller in Pirmasens. Seine Maschinen waren auf dem neuestem Stand, er hatte Ideen und vor allem: Er hatte Lust, mit uns neue Wege zu gehen.

Am Anfang lief alles gut. Doch dann stieg ein großer taiwanischer Investor bei unserem Produktionspartner ein. Und als Adidas mit einem vermeintlich prestigeträchtigen Großprojekt anklopfte, flogen wir kurzerhand aus der Fertigung. Unsere Stückzahlen waren zu klein, unsere Vision irrelevant. Man schob uns ab an ein Tochterunternehmen in Portugal.

Made in Portugal: Vertröstet, verzettelt, verloren

Portugal war keine bewusste Wahl, sondern der Versuch, Schadensbegrenzung zu betreiben. „Die Qualität wird stimmen“, versprach man uns. „Die Prozesse laufen.“ Gelaufen ist am Ende vor allem eines: unsere Zeit.

Statt Zuverlässigkeit gab es Ausreden. Rückfragen blieben unbeantwortet, Entscheidungen wurden vertagt. Die ersten Produktionsmuster waren zu schwer, die Verarbeitung fehlerhaft und die Liefertermine verzögerten sich immer mehr – zum Schluss lagen wir bei sechs Monaten. 

Sebastian Bär ist der Kopf hinter Joe Nimble
Sebastian Bär ist der Kopf hinter Joe Nimble

Doch zurückziehen war schwierig, zu viel war investiert. Also versuchten wir, nach außen souverän zu wirken, während intern die Nerven blank lagen. Und das alles nur, weil wir “Made in Europe” stärken wollten und geglaubt hatten, es stehe für Verlässlichkeit. 

Am Ende blieb uns nur, die Produktion nach Vietnam zu verlagern. Nach China, wo wir davor produziert hatten, wollte ich aus Sorge vor wachsenden geopolitischen Spannungen nicht mehr. Und was soll ich sagen: In Vietnam erlebten wir genau das Gegenteil von allem, was wir in Europa erlebt hatten: Unsere Partner vor Ort arbeiteten nicht nur effizient, sondern stellten auch die richtigen Fragen: Zusammen setzten wir einen 3-Jahres-Nachhaltigkeitsplan auf und legen seitdem jede Saison offen, welche Materialien wir durch biobasierte oder recycelte Alternativen ersetzt haben. Wir bekommen nicht nur Reports, sondern Vorschläge, wie wir besser werden können. Damit schreiben wir keine Schlagzeilen, aber wir erzielen messbare Fortschritte.

Socken Made in Europe: Auf Godot wartet man weniger lang

Weil ich als Marathonläufer naturgemäß nicht so schnell aufgebe, gab ich dem Projekt „Made in Europe“ noch eine dritte Chance – mit einer Socke. Genauer: unserer Big-Toe-Socke mit separater Großzehentasche, inspiriert von japanischen Tabi-Socken.

Aus der Branche bekamen wir die Empfehlung eines renommierten europäischen Herstellers mit viel Erfahrung. Sämtliche Vorzeichen standen gut: Wir hatten keinen Zeitdruck und klare Briefings. Doch wieder dauerte jede Rückmeldungen Wochen, die Musterfertigung zog sich, Änderungswünsche wurden ignoriert. Die eigens entwickelte Zehentasche war zu klein und blieb es auch nach mehreren Korrekturversuchen. Erst nach einem halben Jahr gestand man uns: Konstruktionsbedingt sei diese Tasche überhaupt nicht größer herstellbar. Und uns wurde klar: Auch dieses  Projekt war gescheitert – an der Ernsthaftigkeit der Umsetzung.

Alibaba: Kleine Erwartung, große Überraschung

Nachdem sich die Zusammenarbeit in Europa zunehmend als zeitraubend und unproduktiv erwies, entschieden wir uns für einen pragmatischen Schritt: Wir starteten eine Anfrage über Alibaba. Was dann passierte, zog uns die Schuhe aus: Innerhalb weniger Tage hatten wir eine erste Rückmeldung, nach knapp zwei Wochen das erste Muster. Die Kommunikation war klar, regelmäßig, lösungsorientiert. Änderungswünsche wurden nicht diskutiert, sondern umgesetzt. Und als es Probleme mit der Garnabstimmung gab, kamen drei Garnmuster inklusive Pantone-Angaben per Kurier. Auch die finale Freigabe gestaltete sich unkompliziert, so dass die Serienproduktion schon nach wenigen Wochen starten konnte. Was uns aber besonders beeindruckte: Wir fühlten uns das erste Mal seit Langem als ernst genommener Partner – nicht als Bittsteller.

Made in Europe braucht mehr Haltung

Was bleibt, ist die Erkenntnis: Es fehlt nicht an Ressourcen oder Know-how, sondern an Haltung, Tempo und Verbindlichkeit. Während hierzulande oft über Nachhaltigkeit gesprochen wird, entstehen anderswo bereits funktionierende Lösungen.  Ich wünsche mir eine Industrie, die kleine Marken nicht zerreibt, wenn ein großer Name anklopft. Und ich wünsche mir, dass “Made in Germany” wieder ein Qualitätsmerkmal ist – und nicht nur ein Aufkleber.  Bis dahin machen wir weiter. Mit denen, die wollen. Gerne auch in Asien.

Business Punk Check

Der Fall Joe Nimble zeigt, dass ehrlicher Pragmatismus die stärkste Form von Nachhaltigkeit ist. Statt an europäischen Strukturen zu verzweifeln, hat Gründer Sebastian Bär das getan, was Unternehmer tun sollten: reagieren, lernen, neu aufstellen. Das Ergebnis ist kein Rückschritt, sondern ein Beweis, dass globale Lieferketten smarter und fairer gestaltet werden können – wenn man Haltung mit Handlungsfähigkeit kombiniert.

Europa mag in Bürokratie ertrinken, aber Marken wie Joe Nimble beweisen, dass Transparenz, Anpassungsfähigkeit und partnerschaftliches Denken wichtiger sind als nationale Etiketten. Nachhaltigkeit entsteht dort, wo Prozesse funktionieren – egal, ob in Pirmasens oder in Vietnam.

Die eigentliche Botschaft: Zukunftsorientierte Marken denken nicht in Kontinenten, sondern in Kompetenzen. Wer „Made in Germany“ wirklich leben will, muss den globalen Standard nicht fürchten, sondern ihn integrieren. Das ist kein Scheitern am System – das ist Unternehmertum im 21. Jahrhundert.

Über Joe Nimble:

Joe Nimble ist Pionier auf dem Gebiet „Toefreedom”. Seit rund zehn Jahren verfolgt Firmengründer Sebastian Bär dabei eine Mission: Läufer sollen ihren Sport dauerhaft schmerzfrei und effizient ausüben können. Zusammen mit Lee Saxby und weiteren weltweit anerkannten Experten für Lauftechnik und Biomechanik hat Sebastian Bär ein revolutionäres Schuhdesign für natürliche Zehenfreiheit und maximale Stabilität entwickelt. Das Sortiment ist komplett auf den Bereich Performance (Road, Trail, Gym und Recovery) ausgerichtet. Für sein Engagement in Sachen Fußgesundheit wurde Joe Nimble unter anderem mit dem Red Dot Award, dem German Design Award Special Mention sowie als Top Innovator ausgezeichnet. Der Laufschuh „Ultreya“ wurde 2022 und der „Addict Pro-R“ 2024 als Best Debut von der Runner’s World prämiert.

Joe Nimble ist eine Ausgliederung aus der Traditions-Schuhmanufaktur BÄR GmbH, Pionier für natürliches und bequemes Laufen.