Business & Beyond Bürokratie-Revolution: Diese zwei Maßnahmen machen den Alltag von Millionen Deutschen sofort leichter

Bürokratie-Revolution: Diese zwei Maßnahmen machen den Alltag von Millionen Deutschen sofort leichter

Nie wieder Ausweis verlängern, keine jährliche Steuererklärung mehr – was nach Wunschtraum klingt, steht jetzt tatsächlich vor der Umsetzung. Eine neue Modernisierungsagenda macht es möglich. Doch der Plan birgt politischen Sprengstoff.

Wer künftig in Deutschland 70 wird, soll seinen Personalausweis nur noch einmal beantragen und dann nie wieder erneuern müssen. Für Millionen ältere Menschen entfiele damit ein regelmäßiger Behördengang, der bislang Zeit, Nerven und oft wochenlange Termine kostet. Ähnlich praktisch könnte es Arbeitnehmern und Rentnern gehen: Die jährliche Steuererklärung soll für mehrere Jahre ausgesetzt werden, weil der Staat alle relevanten Daten ohnehin hat. Was heute viele als lästige Pflicht empfinden, würde für breite Teile der Bevölkerung schlicht wegfallen – ohne Mehraufwand, ohne Formulare, ohne Risiko. Arbeitnehmer und Rentner könnten sich ihre Steuererklärung für die Jahre 2025 bis 2028 komplett sparen, weil die Finanzämter digitale Lohnsteuerdaten, Rentenbezugsmitteilungen und Versicherungsdaten bereits vorliegen haben. Wer keine komplizierten Sonderregelungen geltend macht, müsste sich mit der Steuer nicht mehr befassen.

Genau diese konkreten Entlastungen stehen im Zentrum der sogenannten „föderalen Modernisierungsagenda“, über die Kanzler Friedrich Merz (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder in dieser Woche entscheiden wollen und über die zuerst das „Handelsblatt“ berichtet hat.

Der 68-seitige Entwurf liest sich wie das Eingeständnis, dass der deutsche Staat selbst zum Bremsklotz geworden ist. Staat und Verwaltung seien „zu bürokratisch, träge und wenig lösungsorientiert“, die übermäßige Bürokratie ein „Wohlstandsrisiko für unser Land“, heißt es in dem Papier, das 338 Entlastungsmaßnahmen für Bürger und Unternehmen aufzählt.

Vor allem Arbeitgeber im Mittelstand empfinden die Bürokratie längst als lähmendes Hindernis. Studien der Staatsbank KfW halten fest, dass Bürokratieabbau aus Sicht der Mittelständler „das derzeit drängendste wirtschaftspolitische Thema“ ist; sieben Prozent der Arbeitszeit gehen im Mittelstand im Schnitt für Formulare, Nachweise und Berichtspflichten drauf. Das SPD-Wirtschaftsforum spricht auf Basis einer Civey-Umfrage sogar davon, die Bürokratie sei „zur größten Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen am Standort Deutschland geworden“. Hinter diesen Zahlen stehen konkrete Unternehmer. „Bürokratie ist ein Riesenthema – und sie nimmt ständig zu. Wir verlieren Flexibilität“, sagt Sandra Wolf, Chefin des E-Bike-Herstellers Riese & Müller, in einem Interview. Ein Kunststoffverarbeiter aus Baden-Württemberg bringt es gegenüber seiner IHK so auf den Punkt: „Die Bürokratie macht uns das Leben schwer.“ Und aus dem Handwerk meldet sich zum Beispiel Thomas Malcherek, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Erfurt, zu Wort: „Es braucht weniger Regulierung, mehr Vertrauen und eine Politik, die Betriebe wieder arbeiten statt verwalten lässt.“

Genau dieses Misstrauen will die Modernisierungsagenda aufbrechen. Dazu gibt es konkrete Schritte. Einer davon: Wenn Behörden sich nicht rechtzeitig melden, soll im Zweifel der Bürger oder das Unternehmen recht behalten. „Vom Instrument der Genehmigungsfiktion soll mehr Gebrauch gemacht werden“, zitiert das „Handelsblatt“ aus dem Entwurf. Für bestimmte Verfahren – wie das Kindergeld – soll das bereits Mitte nächsten Jahres gelten. Für andere, etwa Baugenehmigungen oder Investitionsprojekte, ringen Bund und Länder noch um Details: Ob die Drei-Monats-Frist „grundsätzlich immer“ gelten soll oder ob Umwelt- und Sicherheitsbereiche ausgenommen werden, ist offen.

Einig sind sich die Spitzen der Regierung immerhin darin, die Flut an Berichtspflichten anzugehen. Alle Berichts- und Auskunftspflichten zulasten der Wirtschaft sollen bis Ende 2026 kritisch überprüft werden – mit dem Ziel, mindestens die Hälfte zu streichen. Europäisches Recht soll zudem „1:1“ umgesetzt werden, ohne nationale Zusatzschnörkel, die Unternehmen bislang teuer zu stehen kommen.

Die politische Sprengkraft der Agenda ist enorm. In Berlin klagt man, die Länder wollten sich kaum festlegen; in den Staatskanzleien der Länder wiederum heißt es, wenn der Bund seine Vorbehalte nicht räume, werde die Agenda „peinlich“ enden – ohne großen Wurf. Besonders viele Fußnoten im Entwurf stammen aus dem Haus von Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD), aber auch Finanzminister Lars Klingbeil und Arbeitsministerin Bärbel Bas haben Bedenken angemeldet. Zahlreiche Passagen sind deshalb grau markiert – verwaltungstechnisch ist das die Farbe für „strittig“.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erhöht den Druck. Es gebe „sicherlich eine Staatsfunktionskrise“, sagt er und fordert, der Staat müsse „vom Kopf auf die Füße gestellt“ werden. Künftig soll ein Bundesland Reformen nicht mehr blockieren können, wenn alle anderen dafür sind. Und Wüst macht klar, was hinter der Agenda steht: ein neues Mindset. „Der Staat muss den Bürgerinnen und Bürgern mehr vertrauen. Nur dann kommt das Vertrauen der Bürger in den Staat auch zurück.“