Brand & Brilliance Der Streit um goldene Augenpads: Wenn Co-Creation zur Competition wird

Der Streit um goldene Augenpads: Wenn Co-Creation zur Competition wird

Was das “Augenpad-Gate” über die Reife der Creator Economy verrät

Ein LinkedIn-Post von Ann-Katrin Schmitz mündete in einem öffentlich geführten Disput mit den CEOs eines mittelständischen Familienunternehmens. Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass die Creator Economy schneller wächst als ihre Strukturen hinterherkommen. Gleichzeitig ist er ein Lehrstück für gelungene Krisenkommunikation und den Paradigmenwechsel der Aufmerksamkeitsökonomie.

Über den Gastautor: Adil Sbai ist CEO von WeCreate, einem Unternehmen mit 90 Mitarbeitern in der Creator Economy, das Kreativagentur, Creator Management, Verlagsgeschäft sowie die jährlichen 9:16 Awards und den 9:16 Summit umfasst.

Schmitz vs. Börlind: Wie der Konflikt entstand

Schmitz trägt mehrere Rollen gleichzeitig: Sie managt Farina Opoku alias Novalanalove, führt als CEO die Education-Plattform Baby Got Business sowie das Beauty-Startup Noles (Gründung: 2024), dessen Gesicht ebenfalls Opoku ist. Als eine der sichtbarsten Stimmen der deutschen Creator Economy teilte sie am Morgen des 11.11. öffentlich auf LinkedIn, warum sie die Wiederauflage eines früheren gemeinsamen Co-Creation-Produkts durch den Naturkosmetikhersteller Annemarie Börlind für falsch hält. Die goldenen Augenpads wurden einst gemeinsam von Börlind und Opoku vermarktet, waren mehrfach ausverkauft, wurden mit Awards ausgezeichnet. Fast drei Jahre nach Ende der Zusammenarbeit (2020–2022, insgesamt drei Produkte) bringt Börlind das Produkt nun erneut heraus: gleiches Design, gleiche Farbe, gleiche Idee, aber ohne Opoku als Gesicht. „Rechtlich sauber“, betont Schmitz selbst. „Moralisch fragwürdig“ – das ist ihre eigentliche Botschaft. Börlind reagierte nur drei Stunden später – in Form von Co-CEO Nicolas Lindner – souveräner und schneller, als man es in einer solch brisanten Situation erwarten würde. Er ordnet nüchtern ein, betont die juristische Perspektive und verweist auf bereits laufende Kommunikation zu Noles hinter den Kulissen. Gleichzeitig kritisiert er, dass Produkte aus der früheren Zusammenarbeit zwischen Opoku und Börlind nun auch bei Noles entwickelt und vermarktet würden – ohne vorherige Abstimmung. Die Antwort war verständlich und überzeugte auf LinkedIn viele Leser. Co-Geschäftsführerin Alicia Lindner ging eine Stunde später sogar noch deutlicher in die Offensive:

Quelle: LinkedIn-Kanal Alicia Lindner

Die Posts der Geschwister-CEOs gingen mit aktuell 900 und 1900 Likes deutlich viraler als Schmitz’ initiale Kritik, obwohl Schmitz doppelt so viele Follower hat wie die Lindners zusammen. Entsprechend wenig überraschte es, dass die „Influencer-Schlammschlacht“ (OMR) diese Woche das Gesprächsthema in der Creatorszene war. Für eine kritische Einordnung sprach ich mit Geschäftsführern großer Influencer-Managements, anderen Beauty-Unternehmen sowie Hautpflege-Influencer Leon xskincare.

Kritik unter Schmitz’ Post

Das Sentiment unter dem Post von Schmitz ist zwar durchmischt, aber tendenziell leicht auf Seiten des Familienunternehmens. Der meist gelikte Kommentar stammt von Tina Müller, Ex-CEO Douglas und heute CEO der Weleda AG, einem direkten Konkurrenten von Börlind.

Im Creator-Business – bei dem Punkt bin ich bei Schmitz – zählt jedoch nicht nur, was „erlaubt“ ist. Es zählt ebenso, was sich richtig, fair und wertschätzend anfühlt. Und genau hier entsteht die Reibung auf kultureller wie wirtschaftlicher Ebene. Das zeigen auch Kommentare wie dieser unter dem Post von Schmitz: „Als kleine Marke wie damals Annemarie Börlind eine Kooperation mit einer großen Creatorin zu machen, ist kritisch. Weil dann passiert genau das. Die Marke wird mit Farina verbunden, jeder kennt die Marke durch sie. Die Marke hat kein eigenes Gesicht und steht nicht ohne sie.” Das Problem an dieser Perspektive: Weder ist Börlind eine kleine Marke noch funktioniert die Marke nicht ohne Opoku, mit der die Zusammenarbeit vor über zwei Jahren einvernehmlich endete. Marke und Unternehmen waren vorher schon stark und entwickeln sich auch ohne Opoku stabil, wie ein Auszug aus Northdata aufzeigt.

Quelle: Northdata Börlind GmbH

Wie groß ist die Abhängigkeit von einzelnen Creatorn also wirklich? Eine Analyse mit dem Datentool influData zeigt: Börlind wurde allein in den letzten 365 Tagen von 600 Creatorn getagged, 120 von diesen scheinen regelmäßig und langfristig mit der Marke zusammenzuarbeiten. Auf der Liste der reichweitenstärksten Zusammenarbeiten der letzten fünf Jahre ist Opoku immerhin auf Platz 5. Die letzten Posts von Opoku finden sich im Januar 2023 – also vor fast 3 Jahren.

Quelle: influData

Wie blicken andere Managements auf den Fall? Jenny Coenen, CEO von ThePeopleAgency, resümiert: „Ohne Einblick in die ursprünglichen Absprachen lässt sich nicht seriös beurteilen, wer richtig liegt. Solche öffentlichen Konflikte entstehen meist dann, wenn Kommunikation oder Verträge im Vorfeld nicht sauber geklärt wurden – etwa Fragen wie „Wie geht’s nach der Kooperation weiter?“, „Von wem kam die Idee?“ oder „Wo liegt die IP?“.” Aus ihrer Erfahrung mit tausenden Kooperationen und zahlreichen Co-Creations im Beauty- und Fashion-Segment, betont sie: “Am Ende brauchen Co-Creations vor allem klare Regeln und einen respektvollen Umgang miteinander.” Auch der Jurist Christian Solmecke betont den Punkt der Wichtigkeit juristischer Regeln im OMR-Podcast Takeaway: „Creator und Unternehmen müssen verstehen, dass Verträge immer einer moralischen Einstellung vorgehen. (…) Der kritische Punkt ist die Exit-Strategie: Ohne solche Regelungen zugunsten der Creator darf die Marke, die das geistige Eigentum an dem Produkt erworben hat, die Produkte auch weiter verkaufen.”

(Quelle: OMR Podcast „Takeway“)

Genau das betont Schmitz selbstkritisch in ihrem Post, in dem sie Creator auffordert, Verträge gründlicher prüfen zu lassen, auch wenn dadurch Teile der Gage wieder verloren gehen.

Wenn Partner zu Konkurrenten werden, ist Konflikt vorprogrammiert

Was die Lage zusätzlich auflädt: Die damaligen Partner sind heute direkte Wettbewerber. Börlind tritt gegen eine Marke – Noles – an, deren strategische Führung wiederum von Schmitz verantwortet wird. Und Noles bewegt sich ebenfalls in den Produktkategorien, durch die Börlind in den Communities von Opoku und Schmitz bekannt wurde. Kevin Tewe, CEO von ALL IN, das viele der reichweitenstärksten Influencer hierzulande managt und zahlreiche Co-Creations mit Beautymarken verantwortete, sieht ein mögliches Konfliktpotential: „Die Geschäftsführerin von Noles ist eine ehemalige Mitarbeiterin von Börlind, die damals stark an dem Projekt beteiligt war und fast zehn Jahre im Unternehmen war. Damit ist viel Wissen und Netzwerk von Börlind zu Noles gewandert.” Der Fall zeigt also ein strukturelles Problem, das weit über dieses Produkt hinausgeht: Was passiert, wenn die Rollen von Kooperationspartnern sich verändern und beide zu Rivalen werden, bevor die Spielregeln geklärt wurden?

Wie schützenswert sind goldene Augenpads?

Juristisch, das betonen Anwälte, Brancheninsider und nicht zuletzt auch Schmitz selbst, sei die Sache eindeutig. Und business-ethisch? Nik Myftari, CEO Grenion Group, zu dem u.a. Beauty-Marken HelloBody und BananaBeauty gehören: „Für mich ist das eine eher künstliche Beschwerde. Schmitz und Opoku haben ein Produkt beworben und denken jetzt, sie haben es derart erfolgreich gemacht, dass nur sie so ein Produkt launchen dürfen. Man stelle sich vor, Clooney wolle Nespresso verbieten, nach dem Launch eines gemeinsamen Produktdesigns weiterhin diese Kapseln zu verkaufen. Und noch schlimmer, er selbst bringt parallel eigene Kapseln auf den Markt und kritisiert Nespresso.“ Das sieht auch Tewe so: „Augenpatches gibt es seit den 00er Jahren. Und goldene Augenpads gab’s schon 2018 von Stefanie Giesinger zwei Jahre vor dem Launch von Börlind mit Opoku.”

Houssein Ali Jaber, der in den letzten Jahren zahlreiche Produkte und Marken mit Fitness- und Beauty-Influencern wie Pamela Reif, Millane Friesen und Nonakanal entwickelte und vermarktete, verteidigt Schmitz’ Kritik: „Die goldenen Pads von Börlind kannte vorher wirklich niemand. Die Sichtbarkeit kam komplett über Farina Opoku, ihre Story und Community. Und genau da liegt der Punkt: Wenn eine Marke ein Produkt, das erst durch einen Creator relevant wurde, später identisch ohne diesen Creator weiterführt, sendet das ein Signal an alle zukünftigen Partner. Nämlich: Wenn’s einmal gut läuft, macht die Marke es einfach nochmal – nur ohne dich. Und das ist das eigentliche Problem.”

Deutschlands bekanntester Hautpflege-Influencer Leon xskincare – im „eigentlichen“ Job Produktentwickler für Kosmetika – versteht den Konflikt nicht, weil aus seiner Sicht „niemand exklusive Rechte an standardisierter Einkaufsware besitzt”. Augenpads gehörten zu den simpelsten Produkten im Skincare-Bereich: „95–99 % der Inhaltsstoffe sind vorgegeben”, der Rest seien reine Marketing-Varianten. Goldene Augenpads seien ein Massenprodukt – weder neu, noch innovativ und definitiv nicht schützenswert. Im Übrigen, so Leon xskincare, „entwickeln Influencer in den seltensten Fällen aktiv die Produkte, sondern suchen sich Farbe, Design und Marketing aus“. 

Der eigentliche Konflikt liegt tiefer

Der Grund, warum die Debatte so heiß wurde, ist also weniger das Produkt, sondern eine Person in drei Rollen.

  • Schmitz als Managerin Opokus, die sich schützend vor ihre Creatorin stellt.
  • Schmitz als Geschäftsführerin der eigenen Brand Noles, deren Produktwelt sich sichtbar an früheren Annemarie-Börlind-Entwicklungen entlang bewegt. Die aktuelle Managing Director von Noles arbeitete neun Jahre bei Börlind – selbstverständlich wird in einem solchen Fall Wissen mitgenommen. Das ist nicht verwerflich, aber relevant.
  • Schmitz als Branchen-Rolemodel, samt eigener Education-Plattform “baby got business”, das auf Panels und Bühnen für Fairness, Professionalität und weibliches Unternehmertum steht.

Wer wie Schmitz aus drei Positionen gleichzeitig argumentiert, erzeugt automatisch mehr Reibung. Dennoch überrascht die persönliche und emotionale Note in Schmitz’ Posts und Kommentaren. Umgekehrt gelten die gleichen Maßstäbe auch für Börlind: Alicia Lindners emotionaler Gegenangriff – inklusive Sisterhood-Vorwurf und PR-Unterstellung – fühlte sich eher persönlich an. 

Warum die Branche hinsehen sollte

Beide Seiten haben Argumente, die aus ihrer jeweiligen Realität heraus nachvollziehbar sind. Creator kämpfen für Ownership, weil sie ihr Gesicht, ihre Geschichte und ihre Community einsetzen. Mittelständische Marken kämpfen ums Überleben, weil sie einer Konkurrenz gegenüberstehen, die schneller und günstiger produziert und deren Köpfe die stärkeren Megafone besitzen. Und beide Seiten kämpfen um Glaubwürdigkeit als Fundament nachhaltigen Markenaufbaus. Entscheidend ist in diesem Konflikt daher nicht die Schuldfrage, sondern die fehlenden Strukturen, die solche Fälle überhaupt erst ermöglichen.

Das Gefährliche an der Eskalation: Die Zusammenarbeit mit reichweitenstarken Creatorn darf nie zur Blackbox werden. Mittelständler wie Corporates fürchten nichts mehr als Ungewissheit und Unplanbarkeit. Wenn sie bei jeder Kampagne fürchten müssen, dass Creator oder Management öffentlichkeitswirksam gegen sie schießen, werden sie im Zweifel eine Zusammenarbeit gar nicht erst in Erwägung ziehen. Eine Brancheninsiderin – die nicht genannt werden will – dazu: „Wir können nicht einerseits mangelnden Mut der Branche kritisieren, für den Schulterschluss zwischen Influencern und Unternehmen werben und andererseits Dissonanzen in aller Öffentlichkeit austragen, wenn mal etwas nicht so läuft wie gewünscht oder erwartet. Wer will denn jetzt mit ihr noch arbeiten, wenn man als Kunde Gefahr läuft, hinterher öffentlichkeitswirksam hintergangen zu werden?” 

Eine Branche wächst – und stolpert noch

Es spricht weder juristisch noch moralisch etwas dagegen, dass Creator eigene Brands gründen, die nah dran sind an denen ehemaliger Kooperationspartner. Genauso sollte aber auch akzeptiert werden, dass ein Mittelständler ein erfolgreiches Produkt weiterführt. Herausfordernd wird es, wenn beides gleichzeitig passiert – und beide Seiten so tun, als sei ihre Perspektive die einzig richtige. Diese Ambiguität kennt man aus anderen Branchen. Wenn Mario Götze als Nike-Markenbotschafter zum FC Bayern München wechselt, einem Klub, an dem Adidas beteiligt ist, entstehen automatisch Spannungsfelder zwischen persönlicher Markenbindung und institutionellen Interessen. Selbst in der Startup-Szene ist das alltäglich, wie Katrin Stockingers Wechsel von Börlind zu Noles exemplarisch zeigt. Der Unterschied liegt darin, dass solche Situationen im Sportmarketing und erst recht im Arbeitskontext schon so oft bestanden, dass es jene klare Regelungen und Rahmen gibt, die der Creator Economy und im Influencer Marketing noch fehlen.

Und am Ende?

Damit stellt sich die Frage, wie sich ein solcher Case final bewerten lässt. Ethisch erscheint das schwierig, denn jede Perspektive basiert auf einer subjektiven Priorisierung bestimmter Werte. Die einfachere und eindeutige Perspektive sollte also ausschließlich die juristische sein, und die scheint eindeutig. Auch kommunikativ scheint die Bewertung Außenstehender eindeutig: Schmitz hat zwar in der LinkedIn-Bubble viel Aufmerksamkeit generiert für einen baldigen Produktlaunch, wie auch Tewe bestätigt: „Am Ende ist es viel Aufregung um nichts und eine schlaue PR-Aktion, die auf den Launch eigener Augenpads einzahlt. Ich halte es für eine unschöne, aber effektive PR Methode.” Auch Leon xskincare sieht hier vor allem PR für den eigenen Launch im Dezember durch „Drama-Marketing”.

Quelle: Noles Webshop

Vielleicht hat diese Aufmerksamkeit aber einen Preis, vermutet eine Brancheninsiderin: „Wer Schmitz’ Post liest, sieht nicht nur eine starke Branchenstimme, sondern auch eine Partnerin, die Konflikte notfalls öffentlich austrägt. Für einige Marken und Mittelständler dürfte sie damit vom Wunschkandidaten zur potenziellen Risikofigur werden – gerade in Co-Creations, in denen Vertrauen und vertrauliche Exit-Szenarien eigentlich die wichtigste Währung sind.”

Vivien Wysocki, Co-Founderin von saint sass, deren Produktideen zuletzt selbst von Calzedonia kopiert wurden, warf weiter ein: „Sollten sich in Zeiten der Krise deutsche Startups und deutsche Mittelständler öffentlich bekriegen, weil sie nun im Wettbewerb stehen? Die eigentlichen Konkurrenten beider sind doch die L’Oréal und Estée Lauder dieser Welt.”

Der Streit war lauter, ungeschickter und emotionaler als nötig, aber in ihm liegt eine Chance: Denn er macht sichtbar, wie viele blinde Flecken es noch gibt bei Verträgen, Erwartungen, Kommunikation und Rollenbildern. Wer ihn als Peinlichkeit abtut, verpasst die Lektion: Wo verschiedene Interessen und Communities zusammenkommen, entstehen zwangsläufig Konflikte. Aber wie wir sie führen, entscheidet darüber, ob daraus weitere Ressentiments gegen Influencer, Management und die Creator Economy im Allgemeinen entstehen – oder eine Chance auf Co-Creation auf Augenhöhe.

Ein letztes Learning aus diesem Fall: Reichweite ist heute keine Einbahnstraße mehr. Lange waren Creator den Marken kommunikativ überlegen, heute können auch CEOs eigene Reichweite, Community und Tonalität aufbauen. Die schnelle und starke Reaktion der beiden Börlind-CEOs zeigt, in welch kurzer Zeit professionelle Kommunikation in Kombination mit persönlicher Sichtbarkeit das Sentiment drehen kann. Wer in Zukunft erfolgreich Co-Creation betreibt, muss diese neue Symmetrie verstehen: Nicht nur Produkte brauchen ein gutes Setup, sondern auch die Kommunikation der handelnden Personen. Apropos: Sowohl Schmitz als auch Lindner wurden für diesen Artikel angefragt: Beide Seiten wollen den Fall aktuell nicht zusätzlich eskalieren und verkomplizieren.