Business & Beyond Deutschland wächst. In der Verwaltung.

Deutschland wächst. In der Verwaltung.

Vom Kanzleramt bis zur letzten Kommune: Die Zahl der Stellen nimmt zu. Altkanzler Olaf Scholz braucht gleich acht neue Mitarbeiter.

Es steht im schönsten Ankündigungsdeutsch im Koalitionsvertrag: „Wir werden den Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung sowie in bestimmten nachgeordneten Behörden bis zum Jahr 2029 um mindestens acht Prozent reduzieren.“ Inzwischen ist klar: Würde man dieses Dokument in einer Buchhandlung suchen müssen, stünde es in der Ecke für Science Fiction. Denn Deutschland wächst. Zwar nicht mit seiner Wirtschaft, aber dafür um so mehr mit seiner Verwaltung. Alle Ankündigungen, der Bürokratie den Garaus zu machen, sind Phantasien. Es passiert das Gegenteil. 

Es fängt ganz oben an. Im Kanzleramt von Friedrich Merz sollen 40 neue Stellen entstehen. 13 davon für den künftigen Nationalen Sicherheitsrat. Zusätzliche Stellen sind zudem für das Büro der neuen Staatsministerin für Sport und Ehrenamt vorgesehen, eine Aufgabe, die vorher im Innenministerium erledigt wurde. Auch Altkanzler Olaf Scholz und hat acht Stellen beantragt, „aufgrund der zu erwartenden Entwicklung seiner nachamtlichen Tätigkeit“. Das ist mehr als jeder Ex-Regierungschef bisher für sich in Anspruch nahm. Den Löwenanteil von 150 Extra-Stellen beansprucht das neuen Digitalministerium, das eigentlich durch Verschiebungen aus anderen Häusern entstehen sollte. Der Kopf des Ministeriums ist Karsten Wildberger, der auch als „Minister für Staatsmodernisierung“ die Entbürokratisierung in Deutschland anführen sollte. Jetzt heißt es aus seinem Haus, dass das alles eine „Anfangsinvestition“ sei, „die in Zukunft helfen wird, Ressourcen einzusparen“. Da mit Hilfe des neuen Hauses Bürokratie künftig abgebaut werden soll, müsse das Ministerium „schnell seine volle Schlagkraft entfalten“. 

Unterm Strich schafft Schwarz-Rot kurzfristig 208 neue Beamten-Stellen, die – so der gute Wille – zum überwiegenden Teil mit Mitarbeitern anderer Ministerien besetzt werden, deren Stellen dann künftig frei blieben. Die Großzügigkeit hat Tradition: So hatte auch die Ampelregierung die Zahl der Beamtenstellen in der Bundesverwaltung und den Ministerien deutlich ausgeweitet. Gegenüber dem letzten Haushaltsjahr der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel war sie um rund 11.500 gewachsen – ein Plus von 6,3 Prozent. Noch stärker als die Zahl der Stellen wachsen die Ausgaben für Personal: von knapp 36 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf über 43 Milliarden Euro 2024 – ein Plus von gut 20 Prozent, wie aus einer Auswertung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hervor, einer regierungskritischen industriefinanzierten Denkfabrik.

Das üppige Wachstum an der Spitze wird unterfüttert von einem soliden Wachstum in der allgemeinen Verwaltung. Rund 5,4 Millionen Menschen in Deutschland waren 2024 im öffentlichen Dienst beschäftigt, hat das Statistische Bundesamt gerade durchgezählt, das sind knapp 100 000 mehr als im Jahr zuvor. Zwölf Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten also im Staatsauftrag. Immerhin lassen sich Zuwächse vor allem in Schulen, Unis und Kindertageseinrichtungen messen. Allerdings hatte das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo schon im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass das Phänomen zwei Seiten hat: Statt 15 Beschäftigte je 1000 Einwohner wie im Jahr 2006 arbeiteten 2021 in den Kommunen umgerechnet auf diese Einwohnerzahl 18 Beschäftigte: Die Deutschen werden also immer enger betreut. Und im Bereich „Zentrale Verwaltung“, wo das Wachstum auch üppig ist, schwillt insbesondere die „Innere Verwaltung“ um 32 Prozent an. Es ist, wenn man so will, die Verwaltung der Verwaltung, die am stärksten gewachsen ist. Wer weiterdenkt, kommt auch darauf, dass mit der Zahl der Beamten auch die Zahl der Pensionäre zunimmt, die Geld vom Staat erhalten. Sie hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt.

Dass Deutschland trotz dieses bienenfleißigen Staatsapparats kaum mehr Gewicht auf die Waage bringt, liegt daran, dass es anderswo abnimmt: Dort, wo das Geld verdient und die Steuern erarbeitet werden, in der Industrie, herrscht Zähneklappern: 120.000 Jobs sind im verarbeitenden Gewerbe innerhalb eines Jahres weggefallen. Während der Staat wächst, schmilzt seine Basis – was auch eine Form der Transformation ist.