Business & Beyond Die Venezuela-Theorie geht auf: Größtes Kriegsschiff der Welt steht gefechtsbereit vor der Küste

Die Venezuela-Theorie geht auf: Größtes Kriegsschiff der Welt steht gefechtsbereit vor der Küste

Es ist ziemlich genau drei Monate her – das Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Alaska. Erfolge? Fehlanzeige. Oder haben sich beide in Wahrheit auf einen Deal geeinigt: Die USA greifen nach Venezuela, Putin im Gegenzug nach der Ukraine. Jüngste Ereignisse sprechen für diese Theorie, die eigentlich nach zu sehr Verschwörung klingt.

Das weltweit größte Kriegsschiff hat Position vor Venezuelas Küste bezogen. Mit der „USS Gerald R. Ford“ setzt US-Präsident Donald Trump ein unmissverständliches Machtzeichen in der Karibik. Die Ankunft des kolossalen Flugzeugträgers am 11. November markiert eine neue Eskalationsstufe im angespannten Verhältnis zwischen Washington und Caracas.

Was passiert da gerade? Donald Trump beherrscht die Weltbühne – jedenfalls die westliche. Sein aus europäischer Sicht wichtigstes außenpolitisches Treffen, nämlich das mit Wladimir Putin in Alaska, droht jedoch zu einer Mini-Fußnote der Geschichte zu werden. Denn Ergebnisse oder auch nur Veränderungen, die sich nach dem Gipfel des Präsidenten mit dem russischen Machthaber ergeben haben, sind nicht sichtbar.

Allerdings macht eine Spekulation seit dem Alaska-Gipfel die Runde. Eine, die als Verschwörungstheorie daherkam, aber seit Wochen an Plausibilität gewinnt. Es ist eine Spekulation, über die vermutlich in Washington geraunt, in Moskau gelächelt, und vor der in Caracas auf jeden Fall sehr ernsthaft gewarnt wird. Die Theorie ist in Deutschland aus dem Nebel politischer Talkshows geboren, aber sie nimmt inzwischen ganz handfeste geopolitische Konturen an: Es ist die Venezuela-Theorie.

Sie besagt, dass sich Trump und Putin bei ihrem viel beachteten Gipfel inoffiziell auf einen Deal verständigt haben könnten: Putin sollte in der Ukraine freie Hand bekommen – im Gegenzug dafür, dass Trump grünes Licht erhält, Venezuela ins Visier zu nehmen. Nicht aus Nächstenliebe, nicht aus humanitären Gründen, nicht um den Drogenhandel einzudämmen, sondern wegen der größten Ölreserven der Welt, die in dem lateinamerikanischen Land lagern. Es wäre ein Kuhhandel, wie ihn nur zwei Männer verabreden können, die das politische Geschäft als Big Deal verstehen.

Den Weg in die Öffentlichkeit nahm diese Theorie ausgerechnet in einer deutschen Talkshow. TV-Talker Markus Lanz diskutierte mit dem Philosophen Richard David Precht über die verschlungenen Interessenlagen Amerikas und Russlands. Precht formulierte etwas Überraschendes, für das er keine Quellen nannte: Nämlich, dass die eigentliche Frage des Alaska-Gipfels zwischen amerikanischen und russischen Unterhändlern nicht allein die Ukraine betraf, sondern auch Venezuela. „Ernsthaft?“, fragte Lanz ungläubig – und sprach damit aus, was Millionen Zuschauer dachten. Doch Precht blieb dabei. Und seither wabert die Idee als „Venezuela-Theorie“ durch deutsche Diskussionsrunden.

Tatsächlich bietet Venezuela ein Szenario, das für Washington wie eigens gemalt erscheint: Das Land ist politisch isoliert, die Regierung von Nicolás Maduro wird als korrupt bis ins Mark bezeichnet. Das Land belegt im Corruption Perceptions Index (CPI) von Transparency International 2024 den 178. Platz von insgesamt 180 Ländern, nur zwei Staaten – Somalia (Platz 179) und Südsudan (Platz 180) – werden als noch korrupter eingestuft.  Das Maduro-Regime hat international fast keinen Rückhalt. Sanktionen der USA und der EU haben das Land aus den meisten Märkten gedrängt. Wo früher Öl-Dollars sprudelten, herrscht heute Mangelwirtschaft. Millionen Venezolaner sind bereits geflohen, die Wirtschaft ist kollabiert, die Institutionen sind ausgehöhlt.

Aber: Unter der Erde lagern nach Berechnungen der OPEC die größten nachgewiesenen Ölreserven des Planeten– größer noch als die von Saudi-Arabien. Ein Schatz, der ungehoben daliegt, während die Welt gleichzeitig nach alternativen Energiequellen und Versorgungssicherheit sucht. Für Trump, der Öl stets als Währung der Macht verstanden hat und mit dem Ölbohrer-Satz „Drill Baby, Drill“ angetreten ist, wäre Venezuela ein lohnendes Ziel. Und für Putin, der im Gegenzug weitgehend freie Hand in der Ukraine erhielte, wäre es ein kalkulierbarer Preis.

Dass die USA längst bereitstehen, bestätigte sich einen Tag nach dem Alaska-Gipfel: Mehrere US-Kriegsschiffe – darunter Lenkwaffenzerstörer, ein Kreuzer, ein amphibisches Landungsschiff und ein atomgetriebenes U-Boot – mitsamt etwa 4000 Marines und Überwachungsflugzeugen bezogen Position vor der Küste Venezuelas. Ziel laut US-Regierung: der Kampf gegen Drogenkartelle. Der venezolanischen Machthaber Nicolàs Maduro spricht dagegen von „Kanonenboot-Diplomatie“ und einer massiven Bedrohung. Er bezeichnet die Aktion als „größte Gefahr auf unserem Kontinent seit einem Jahrhundert“ und droht mit entschiedener Gegenwehr.

Das Regime ist in maximaler Alarmbereitschaft. Maduro gibt sich mal unterwürfig gegenüber den USA, dann hetzt er wieder gegen das „Imperium“. Parallel versucht er sich als „Landesvater“, organisiert kulturelle Veranstaltungen, zieht die Weihnachtsferien vor. Ende Oktober wirkte er gar wie ein Prediger, als er die USA auf Spanisch und Englisch aufrief: „Kein Krieg, nur Frieden, für immer Frieden.“ Trump geht darauf nicht ein. Das US-Militär jagte jüngst vor der Küste Venezuelas ein Boot in die Luft, das mit Drogen beladen und von der venezolanischen Tren de Aragua-Terrorgruppe betrieben worden sein soll. Dabei kamen elf Menschen ums Leben. Trump kommentierte das auf „Truth Social“ so: „Dies sollte als Warnung für alle dienen … Vorsicht!“ Außenminister Rubio bestätigte den „tödlichen Schlag“ gegen das Boot.

Trump macht Maduro für die Zehntausenden Rauschgiftopfer in den USA verantwortlich. Er wirft ihm vor, Chef des „Sonnenkartells“ zu sein, eines parastaatlichen Drogenkartells, das nach den Sonnen als Rangabzeichen auf den Offiziersuniformen Venezuelas benannt ist. Beweise gibt es für diese Behauptung keine. Und die Haupttodesursache bei den Rauschgiftabhängigen ist das synthetische Fentanyl, das aus Mexiko kommt und nicht das Kokain, das überhaupt nur in kleinen Teilen über Venezuela geschmuggelt wird. Venezuela wirft den USA deswegen eine inszenierte Drogenstory vor. Klar ist: Der Einsatz vor der Küste ist auch eine Machtdemonstration. Die USA sind militärisch präsent und jederzeit in der Lage zuzuschlagen.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Venezuela-Theorie plötzlich weniger nach Spinnerei. Putin braucht die USA nicht als Gegner in der Ukraine, Trump braucht eine außenpolitische Großtat, die sich innenpolitisch verkaufen lässt. Sich als harter Kämpfer gegen ein korruptes Regime zu inszenieren und seinem Land gleichzeitig den Zugriff auf venezolanisches Öl zu sichern, wäre aus seiner Sicht ein Bombenerfolg.