Business & Beyond „Friendly Fire“ in Schwedt: Wie US-Sanktionen Berlins Treibstoffquelle bedrohen

„Friendly Fire“ in Schwedt: Wie US-Sanktionen Berlins Treibstoffquelle bedrohen

Die Raffinerie in Brandenburg steht zwar unter deutscher Treuhand-Verwaltung, Haupteigentümer ist jedoch noch immer ein russischer Konzern. Deswegen könnten jetzt die neuen US-Sanktionen gegen Russland zum Stillstand in Schwedt führen. Dann hätte auch die Hauptstadt kein Benzin mehr.

Die rund 30 000 Einwohner des Ortes Schwedt in Brandenburg kennen das schon: Sie sind eine Art Spielball der Weltpolitik. Sie sind Kummer gewohnt. Aber nun haben sie den Eindruck, von der eigenen Seite unter Beschuss geraten zu sein. „Friendly fire“ sozusagen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins hängt mit dem größten Arbeitgeber der Kleinstadt zusammen. Es ist die Raffinerie, die jenen Treibstoff herstellt, mit dem beispielsweise viele Tankstellen der nahen Hauptstadt Berlin beliefert werden. Die Raffinerie gehört mehrheitlich zum russischen Rosneft-Konzern, und das ist heikel, seitdem der Handel mit Russland wegen des Ukrainekriegs stillsteht. So heikel wie jetzt war es aber noch nie.

Und das kommt so: Die USA haben im Einvernehmen mit ihren Verbündeten die Sanktionsschraube gegen Rosneft angezogen, und plötzlich zählt nicht mehr, wer im Alltag in der Raffinerie die Hebel bedient und an den Förderreglern dreht, sondern wessen Name im Grundbuch steht. Genau da wird’s für PCK-Schwedt, wie die Erdölverarbeitungsanlage offiziell heißt, gefährlich. Denn formal halten Rosneft-Töchter rund 54 Prozent an der Raffinerie, auch wenn der Bund seit 2022 die operative Kontrolle per Treuhand führt. Was lange wie ein Schutzschild wirkte, wird in Washington zur Sollbruchstelle – Banken, Versicherer, Zulieferer schauen auf die Eigentumszeile im Grundbuch und nicht mehr länger auf die Treuhandklausel.

Eigentum schlägt Kontrolle: Die Sanktionsfalle

Und wenn da ein russischer Name auftaucht, schrillen bei ihnen die Alarmglocken. Berlin bemüht sich deshalb in den USA um eine Ausnahme – ausgerechnet von einer Sanktionslinie, die Kanzler Friedrich Merz bisher unterstützt hatte. „Deutschland sucht eine Ausnahmeregelung“, heißt es aus Regierungskreisen. Das Ziel: Weiterzuarbeiten, ohne dass die Sanktionsfalle zuschnappt. In London hat man ein solches Schlupfloch bereits geöffnet – dort gibt es eine Sonderlizenz für Geschäfte mit den deutschen Rosneft-Töchtern.

PCK ist die Tankstelle der Hauptstadtregion. Öffentliche Angaben nennen einen Anteil von rund 95 Prozent an der Versorgung Berlins und Brandenburgs mit Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin – in der Bundesliga der deutschen Treibstoffproduktion entspricht das rund zehn Prozent Marktanteil. Wenn dieser Motor stottert, spürt man es zuerst an der Zapfsäule und im Einsatzfahrzeug, später am Ticketpreis der Airline. So schlicht ist die Gleichung.

Dass Schwedt trotz Sanktionen weiter produzieren konnte, liegt bisher an der deutschen Argumentation von einer „wirtschaftlichen Entkopplung“ durch die Treuhandkonstruktion: Die Kontrolle liege in Deutschland, es gebe keine Mittelabflüsse nach Moskau. Die neue US-Perspektive schaut jedoch nicht auf Kontrolle, sondern auf Eigentum. Damit geraten auch Gesellschaften in den Sog, die operativ längst auf Berlin hören.

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums ließ dennoch durchblicken, man gehe davon aus, dass die US-Maßnahmen „nicht dazu bestimmt sind, Rosnefts deutsche Tochtergesellschaften zu treffen“ – parallel läuft aber dennoch die Klärung mit Washington. Wörtlich hieß es, die Annahme gelte „auch für die Raffinerien und andere Unternehmen“, an denen die Rosneft-Töchter beteiligt sind. Genau diese Doppelspur – Zuversicht und Krisendiplomatie – prägt derzeit die Lage, die Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) so beschreibt: „Die Sanktionen gegen russisches Öl haben die PCK-Raffinerie in eine schwierige Lage gebracht.“ Man schaffe aber mit einer verlängerten Beschäftigungssicherung „die Grundlage, um gemeinsam mit dem Land Brandenburg, der PCK und regionalen Partnern konkrete Perspektiven für den Standort zu entwickeln.“ Das klingt nach einem scharfen Schnitt und nicht nach einem Weiter-so.

Diplomatisches Tauziehen um Ausnahmeregelungen

Ein Stück weit vorangekommen ist diese Strategie bereits. PCK steht schon länger nicht mehr nur auf einem Bein: Nach dem Stopp russischer Pipelineimporte haben Ministerium und Management die Versorgung neu aufgestellt. Tanker, die in Rostock ankommen, liefern ihre Fracht via Pipeline nach Schwedt, Öl kommt auch aus dem polnischen Gdańsk und aus Kasachstan durch das Druzhba-Leitungsnetz. Im Sommer 2024 lag die Auslastung wieder bei mehr als 80 Prozent. Die Lieferketten sind nicht kugelsicher, aber eingespielt: Nach einem Drohnenangriff auf eine Pumpstation der Druzhba-Pipeline wurden die Maschinen jüngst repariert und die Lieferungen normalisiert.

Wenn der Winter kommt und die Ausnahme aus Washington nicht rechtzeitig greift, entscheidet die Logistik, ob Berlin trockenfällt oder „nur“ teuer tankt: Die Pipeline Rostock–Schwedt kann im aktuellen Zustand etwa 5 bis 6,8 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr durchleiten; sie wird gerade für 400 Millionen Euro ausgebaut. Rund 1200 Arbeitsplätze hängen direkt an PCK, dazu eine große Zahl von Dienstleistern in der Region. Die Bundesregierung hat ihre Beschäftigungszusicherung bis Jahresende 2025 verlängert, als „wichtiges Signal der Verlässlichkeit“. Politisch klingt das nüchtern, volkswirtschaftlich heißt es: Die Regierung kauft Zeit, um Eigentum, Investitionen und Energiepfade zu sortieren.

Falls das schiefgeht, steht es nicht gut um die Raffinerie und die Versorgung Berlins. Banken und Versicherungen, die mit den USA handeln – was fast alle machen – könnten ihre Engagements bei PCK stoppen, selbst wenn Berlin operativ am Steuer sitzt. Die Produktion würde heruntergefahren, solange nicht klar ist, wie Kreditlinien, Hedging und Versicherungen sanktionsfest neu geordnet werden. Die Hauptstadtregion bekäme keinen „Blackout an der Zapfsäule“, aber Engpässe in Randlagen und kräftige Preisausschläge nach oben. Für Kerosin hieße das: Der Flughafen BER müsste stärker auf Schienenzufuhren und Zwischenlager setzen; das hat in der Pandemie funktioniert, ist aber kein Selbstläufer. Die Hauptstadtluftfahrt wird traditionell aus Schwedt gespeist; Kerosin rollt per Kesselwagen, notfalls per Lastwagen über den Westhafen.

Deswegen verhandelt der Bund, vertreten durch das Wirtschaftsministerium unter Hochdruck mit der US-Seite. Man stehe „in regem Austausch“ heißt es offiziell. Drei Linien sind sichtbar: erstens die Verlängerung der Treuhandverwaltung, um die operative Hand am Regler zu behalten; zweitens die Beschäftigungssicherung als Signal an Belegschaft und Region; drittens die Diplomatie in Washington für eine Ausnahme analog zur britischen Sonderlizenz. Auch die Landesregierung trommelt für Tempo: „Wir werden … alles tun, um die Versorgungssicherheit für Ostdeutschland und die Arbeitsplätze in der Region zu erhalten“, heißt es aus Potsdam.  Politisch ist das allerdings fast ein Salto. Denn Friedrich Merz wollte Härte gegenüber Moskau zeigen – und muss nun für Ausnahmen kämpfen.