Business & Beyond Ökonomen warnen: Industrie steckt in der „Mitteltechnologie-Falle“

Ökonomen warnen: Industrie steckt in der „Mitteltechnologie-Falle“

Der neue Beraterstab von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche deckt ein brisantes Problem auf: Deutschlands Konzerne forschen zwar, nur leider in den falschen Bereichen. Innovationssprünge bleiben deswegen aus. Da hilft bislang auch keine staatliche Innovationsagentur, die eigentlich eigens dafür gegründet worden ist.

Europas private Forschungsabteilungen in Mittelstand und Konzernen erhalten eine volle Breitseite: Sie konzentrierten sich noch immer auf Felder wie die Automobilindustrie, die zwar wichtig, aber längst nicht mehr an der Spitze technologischer Revolution steht. „Mitteltechnologie-Falle“ nennen deutsche Spitzenökonomen dieses Phänomen in ihrer neuen „Wachstumsagenda“, die sie im Auftrag von CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche vorgelegt haben.

Die Diagnose klingt nüchtern, ist aber brandgefährlich: Seit zwei Jahrzehnten lebt die europäische Industrie von der Kunst, Technologien aus den USA oder Asien in verfeinerter Form in Produkte und Anwendungen zu übersetzen. Sie ist Meister der Weiterentwicklung, aber nicht der Erfindung. Die Forschungsabteilungen sind kreativ darin, das Bestehende in die Praxis umzusetzen. Doch sie tragen kaum dazu bei, die Welt mit echten Sprüngen nach vorn zu verändern. In den USA dagegen entstehen in den Hightech-Branchen die Technologien selbst – Google, Microsoft, Nvidia oder Apple geben den Takt vor.

Die Diagnose: Meister der Verfeinerung, nicht der Erfindung

Zu der kritischen Ökonomen-Gruppe gehören der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap, die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Stefan Kolev, Chef des Berliner Ludwig-Erhard-Forums, und Volker Wieland, ebenfalls ehemaliges Mitglied der Wirtschaftsweisen. Ihre Analyse stützt sich auf umfassende Daten: Bis 2013 war die Forschungsintensität in Hightech-Branchen diesseits und jenseits des Atlantiks vergleichbar. Der Unterschied bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung lag vor allem daran, dass die Branchenstruktur in Europa anders war. Seit 2013 jedoch hat sich das Bild dramatisch gewandelt.

Die US-Tech-Industrie zog seither mit enormer Geschwindigkeit davon. Der Motor: Software. Während die USA ihre privaten Forschungsausgaben in den vergangenen zehn Jahren vor allem in diesem Bereich explodieren ließen, konzentrierte sich Europa auf seine klassischen Industrien. In China ist der Aufholprozess noch atemberaubender: Von einem sehr niedrigen Niveau kommend, hat das Land die EU inzwischen eingeholt – und das nicht nur in Hardware, sondern auch in Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz.

Besonders bedrückend ist der Befund im Software-Sektor. Rund 75 Prozent der weltweiten Forschungsaktivitäten entfallen auf US-Unternehmen. Die EU kommt auf weniger als sechs Prozent – liegt damit sogar hinter China. Das ist, als würde Europa mit einem klapprigen Fahrrad am Start stehen, während die Konkurrenz längst im Hochgeschwindigkeitszug sitzt.

Die gescheiterte Aufholjagd: SPRIND als zahnloser Tiger

Ganz neu ist der Befund allerdings nicht. Schon im Jahr 2019 hat die damalige Bundesregierung deswegen Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) gegründet, ausstaffiert mit einem Budget von mehreren hundert Millionen Euro ausgestattet. Ihre Mission war von Anfang an klar: Deutschland und Europa aus der Mitteltechnologie-Falle befreien. Man wollte die großen Sprünge wagen, die radikalen Ideen fördern, die nicht im normalen Förderdschungel hängenbleiben. Ein „deutsches DARPA“ – angelehnt an die US-Forschungsagentur, die das Internet und GPS hervorgebracht hat.

Doch bislang ist von den Sprüngen nicht viel zu sehen. Zwar arbeitet SPRIND durchaus innovativ: Projekte sollen unbürokratisch, schnell und mit Mut zum Risiko finanziert werden. Doch das, was als Innovationsrakete gedacht war, wirkt bislang eher wie ein glimmender Böller auf nassem Asphalt. „Viele Projekte werden eine ganz normale Innovation und nicht der große Sprung“, räumt SPRIND-Chef Rafael Laguna selbst ein. Die Erwartungen, dass aus einem Projekt ein disruptiver Durchbruch erwächst, haben sich in den vergangenen fünf Jahren seit Bestehen der Agentur jedenfalls nicht erfüllt.

Die Ökonomen in ihrer „Wachstumsagenda“ haben den Finger genau in diese Wunde gelegt. Es geht nicht darum, ob Europa in der Lage ist, Autos effizienter oder Motoren sauberer zu bauen. Es geht darum, die nächste Welle der Technologie zu erzeugen und sie nicht nur möglichst effektiv abzureiten.