Business & Beyond Rütli-Verschwörung? Wieso Trump die Schweiz mit dem höchsten Zoll in Europa bestraft

Rütli-Verschwörung? Wieso Trump die Schweiz mit dem höchsten Zoll in Europa bestraft

39 Prozent sollen eidgenössische Firmen seit heute an Zoll bezahlen, wenn sie Waren in die USA liefern. Bern hat deutlich schlechter verhandelt als Brüssel. Doch es gibt zwei handfeste Gründe für diese Pleite.

Was hat der Mann gegen die Schweiz? Donald Trump hat einen Zoll von 39 Prozent auf Produkte aus der Schweiz in Kraft gesetzt. Das ist deutlich mehr als zum Beispiel jene 15 Prozent, die die meisten Unternehmen aus EU-Staaten für ihre US-Exporte zahlen sollen. Die Schweizer Unternehmen von Pharmariesen Roche bis zum Lebensmittelmulti Nestlé sind entsetzt, die wichtige Luxusgüterindustrie von Rolex bis Swatch schweigt laustark und das Verhandlungsteam um die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller Sutter, die gleichzeitig auch Finanzministerin ist und es eigentlich hätte besser machen müssen, ist blamiert. Ein Einbruch des Wachstums im Nachbarland steht bevor. Was also reitet Trump, der ausgerechnet am Nationalfeiertag der Eidgenossen, die am 1. August 734 Jahre Rütlischwur gefeiert haben, ihnen seine Zollentscheidung mitteilte? Ist er Teil einer Rütli-Verschwörung?

Sicher nicht. Die erste Antwort, die ökonomische, geht so: Seine Verhandler haben sich die Bilanz mit der Schweiz genau angeguckt und Ungewöhnliches entdeckt. Die Eidgenossen haben einen dicken Handelsüberschuss gegenüber den USA, das heißt, sie verkaufen deutlich mehr Güter nach Nordamerika, als sie von dort beziehen. Das spricht für das kleine Land, dessen Industrie hochwettbewerbsfähig ist. 60 Prozent der Schweiz-Exporte in die USA gehen auf das Konto der starken Schweizer Pharma- und Medizintechnik-Industrie. Der satte Überschuss, den die Schweiz in der Handelsbilanz mit den USA erzielt, hängt also eng mit dem Erfolg von Novartis, Roche und Co. zusammen. Der amerikanische Markt ist für die Pharmakonzerne besonders lukrativ. Während die Arzneimittelpreise in Europa stark reguliert sind, hat die US-Regierung wenig Einfluss auf die Medikamentenpreise, weswegen sie dort deutlich höher liegen als anderswo. 

Damit ist der US-Markt aber auch ein Klumpenrisiko für die Branche. Genau das rächt sich jetzt. Trump, der die medizinische Versorgung in seinem Land umkrempeln will, verlangt von allen ausländischen Pharmalieferanten niedrigere Preise. Er hat entsprechende Briefe an die großen Pharmariesen der Welt versandt und auch offengelassen, ob die EU-Pharmaunternehmen nicht doch mehr als jene ausgehandelten 15 Prozent Zoll zahlen müssten, wenn sie Preise in den USA nicht senkten. Die Schweiz mit ihrem hohen Pharmaexportanteil hat er deswegen gleich als Ganzes mit einem hohen Zoll belegt und darüber hinaus angedeutet, dass er den Pharmafirmen einen noch höheren Zoll als die jetzt festgeschriebenen 39 Prozent abverlangen wird. Dass dabei erstmal Nicht-Pharmaunternehmen wie etwa Nestlé und die gesamte für die Eidgenossen wichtige Luxusgüterindustrie in Mitleidenschaft gezogen werden – das ist Trump, an dessen Arm Branchenprofis bereits drei verschiedene Schweizer Luxusuhren bei unterschiedlichen Anlässen entdeckt haben, völlig gleichgültig.

Und die zweite Antwort, die politische, lautet: Die Schweiz hat ihre weltweite Sonderrolle verloren. In dem Maße wie sie sich nicht mehr als Insel aufführt, auf der vom Währungsraum über das Bankgeheimnis bis zu strikter politischer Neutralität alles anders und deswegen für manche hochattraktiv ist, schrumpft sie auf Normalmaß. Sie ist ein kleines, gutfunktionierendes Land mit exzellenten Unternehmen, das aber als Volkswirtschaft weltweit unbedeutend ist. Knapp mehr als ein Prozent ihres Handels betreiben die USA mit der Schweiz. Und da Trump kein Schwarzgeldkonto in der Schweiz mehr haben kann, gibt es für ihn keinen Grund, das Land mit besonderer Vorsicht zu behandeln.

Was nun? Karin Keller-Sutter steht derzeit schlechter da, als ihre EU-Kollegin Ursula von der Leyen, die von sich sagen kann, mit dem Mann im Oval Office einen 15-Prozent-Zoll-Deal ausgehandelt zu haben. In der Schweiz sind solche Vergleiche wichtig, weil im Hintergrund immer die Debatte schwelt, wie weit sich das Land der EU annähern soll und wo die Grenze liegt. Doch von der Leyen hat auch einen Vorteil, über den sie sich öffentlich nur auf intensives Nachfragen auslässt. Sie hat den USA gewaltige Deals als Dreingabe geboten: Öl, Gas und Waffen im dreistelligen Milliarden Bereich wird die EU den USA in den nächsten Jahren abkaufen. Solche langfristigen Lieferverträge sind pures Geld wert für die Lieferanten und stoßen bei den europäischen Wettbewerbern, die so aus dem Feld gedrängt werden, auf entsprechende Kritik.        In der durch und durch föderalen Schweiz mit ihrer direkten Demokratie kann die verhältnismäßig machtlose Bundesregierung in Bern solche Deals nicht freigeben. Sie hat gar nicht die Befugnis dazu. Bleibt die Erkenntnis, dass die betroffenen Großunternehmen sich selbst helfen müssen. In den vergangenen Tagen herrschte am Zürcher Flughafen Hochbetrieb, weil Schweizer Firmen noch kurz bevor die Zollschranke niedersauste, Güter in Massen zum alten Tarif nach Übersee geschickt haben. Roche und Novartis prüfen, wie sie ihre Investitionen in den USA hochfahren, um von dort zu liefern und keine Zölle zu bezahlen. Das wäre ganz in Trumps Sinne. Und der Schock ist vielleicht auch mehr ein politischer als ein wirtschaftlicher. Der Schweizer Index für die Topwerte SMI zog jedenfalls leicht an, er bewegt sich seit Jahren auf hohem Niveau eher seitwärts. Das Land und seine Konzerne machen einen ordentlichen Job, signalisieren die Anleger.