Business & Beyond Stuttgart Finance Summit: Deutschland zwischen KI-Aufbruch und Abstiegsangst

Stuttgart Finance Summit: Deutschland zwischen KI-Aufbruch und Abstiegsangst

Sie sind die, die es richten sollen: Auf Einladung der Boerse Stuttgart Group diskutierten führende Köpfe aus Wirtschaft und Technologie über den Einsatz von KI in Unternehmen. Gemeinsam zeichneten sie das Bild einer Volkswirtschaft mit starken Grundlagen, die aber Gefahr läuft, im globalen KI-Wettlauf nur Zuschauer zu sein.

Deutschland steht bei der Künstlichen Intelligenz (KI) an einer Weggabelung. Das wurde beim Finance Summit der Boerse Stuttgart Group deutlich, wo führende Köpfe aus Wirtschaft und Technologie aufeinandertrafen. Auf den Panels diskutierten unter anderen Tanuja Randery (Amazon Web Services), Oliver Wibbe (SPS Germany GmbH), Christine Rupp (IBM Deutschland), Ludwig Ensthaler (468 Capital), Arno Huhn (Schwarz-IT) und Michael Zimmer (Wüstenrot und Württembergische). Gemeinsam zeichneten sie ein Bild von einem Land, das große Stärken hat – und zugleich Gefahr läuft, im globalen KI-Wettlauf abgehängt zu werden.

„KI ist nicht optional – sie ist zentral“

Den Auftakt machte Tanuja Randery, die Chefin von Amazon Web Services in Europa, Afrika und dem mittleren Osten. Ihre Worte waren ein Weckruf: „KI ist nicht optional – sie ist zentral. Sie stellt die größte Chance seit dem Cloud Computing dar und möglicherweise sogar seit dem Internet selbst.“ Randery sieht in generativer KI nichts weniger als eine Zeitenwende: „Generative KI ist unglaublich transformativ. Wir glauben, dass diese Technologie sogar noch revolutionärer sein könnte als die Cloud-Technologie, die wir in den vergangenen Jahren vorangetrieben haben.“ Doch sie warnte vor einer rein technischen Sichtweise. Für sie entscheidet letztlich nicht der Algorithmus, sondern die Haltung: „Es geht hier nicht nur um Technologie, es geht wirklich um die Kultur und die Denkweise, die man an den Tisch bringt.“

Zwischen Sandkastenspielen und Produktivitätsschub

Oliver Wibbe, Geschäftsführer und Chief Sales Officer der SPS Germany GmbH, wurde noch deutlicher. Sein Unternehmen mit 8.500 Mitarbeitern arbeitet für rund 200 Banken weltweit. Wibbe konstatierte: „Wir müssen aufhören mit Sandkastenspielen.“ Statt kleiner Experimente brauche es echte Anwendungen.

Sein Beispiel: Geld sollte zwei Minuten nach dem Kreditantrag auf dem Konto sein. „Davon sind wir heute weit entfernt“, räumte er ein. Immerhin funktioniere intelligente Dokumentenverarbeitung bereits. Doch bis zur vollen Automatisierung – von der Kundenanfrage bis zur Auszahlung – sei es noch ein weiter Weg. KI könne Produktivität und Effizienz steigern, Kundenerlebnisse verbessern und durch Multilingualität Prozesse vereinfachen. Aber, so Wibbe: „Ohne Prozessmanagement funktioniert KI nicht. Nur wenn belastbare Daten vorliegen, wirkt KI.“

Und er warnte vor einem weiteren Engpass: „Die Zyklen der Entwicklung sind so schnell, dass Mitarbeiter nach zwei Jahren veraltetes Wissen haben.“ Der Mensch bleibe deshalb „der entscheidende Faktor“ – als Entscheider, als Gestalter, als Lernender.

Globale Unterschiede: Rückstand bei den Modellen, Chancen im Mittelstand

Auch Christine Rupp, Geschäftsführerin von IBM Deutschland, sprach offen über die deutsche Position im Weltvergleich. „Wir hängen gegenüber den USA und China komplett hinterher“, sagte sie. „Das Rennen um Large Language Models ist gelaufen. Da können wir nicht aufholen.“ Ihre Botschaft war dennoch nicht pessimistisch. Deutschland habe Stärken, die andere nicht hätten: „Wir sind stark in Produktion und Mittelstand. KI und Quantencomputing sind die strategische Infrastruktur der Zukunft. Dazu brauchen wir Datensouveränität, Skills und Kapital.“

Ludwig Ensthaler, Mitgründer und General Partner von 468 Capital, stützte diese Sicht mit seiner Doppelperspektive: Der Investor lebt halb in Kalifornien, halb in Berlin. „Neun der zehn führenden Produkte der Welt werden im Silicon Valley entwickelt“, stellte er fest. Deutschland sei oft „zweiter Sieger“. Die Forschung sei gut, doch „bei der Kommerzialisierung haben die USA den Turbo gezündet“. Und doch gebe es Hoffnung. „Ich investiere in Startups, die Millionen-Umsätze machen und keine Handvoll Mitarbeiter haben“, erzählte Ensthaler. „Die nutzen KI absolut effizient.“ Beispiele wie die schwedische App „Loveable“, die Software ohne Programmierkenntnisse erstellt, zeigten, dass auch in Europa Innovationskraft steckt.

Praxisberichte: Mathematik statt Feenstaub

Wie KI bereits wirkt, berichtete Arno Huhn, Managing Director von Schwarz-IT. Seit 2015 nutzt der IT-Dienstleister der Schwarz-Gruppe – mit 14.000 Filialen einer der größten Handelskonzerne Europas – Daten, um Einkauf und Produktion zu optimieren. „KI ist kein Feenstaub, das ist Mathematik“, sagte Huhn. Und er forderte: „Regulatorik muss entbürokratisiert werden, dann kann sie ein Exportschlager werden.“

Auch Michael Zimmer von Wüstenrot und Württembergische zeigte, wie KI den Alltag erleichtert. 22 Millionen Dokumente verarbeitet sein Unternehmen jedes Jahr. „Es ist beeindruckend, was man machen kann, wenn man Sprachmodelle richtig einsetzt“, berichtete er. Gerade sei der erste eigenentwickelte KI-gestützte Schadensservice an den Start gegangen. Doch eine Unsicherheit bleibt: „Ob die Daten nicht doch in die USA fließen, wir wissen es nicht wirklich.“

Deutschlands Stärken – und die offenen Flanken

Die Diskussionen in Stuttgart machten sichtbar, wo Deutschland glänzen kann – und wo es hapert: Die Stärken liegen in der Produktion, in der hohen Datenqualität, dem verantwortungsvollen Umgang mit Technologie und in der starken Forschung. Die Schwächen im Rückstand gegenüber den großen Plattformen in den USA und China, im Fachkräftemangel, in der langsamen Kommerzialisierung und in regulatorischen Hürden.

Das Bild, das sich damit beim Finance Summit in Stuttgart abzeichnete, ist das eines Landes, das mit prall gefülltem Werkzeugkasten dasteht – aber noch zögert, ob es ein Wolkenkratzerprojekt wagt oder nur den Gartenzaun repariert. Deutschland muss sich entscheiden: Will es Zaungast bleiben, während andere die großen Plattformen bauen? Oder gelingt es, seine Stärken in ein eigenes Erfolgsmodell zu verwandeln? Sicher ist jedoch das, was alle Bühnengäste herausarbeiteten: Wer KI heute noch nur als „Option“ betrachtet, hat das Rennen schon verloren.