Business & Beyond Versprochen. Verplant. Verpufft: Habecks und Reiches bittere Bilanz der deutschen Wasserstoff-Strategie

Versprochen. Verplant. Verpufft: Habecks und Reiches bittere Bilanz der deutschen Wasserstoff-Strategie

RWE zieht sich aus einem der größten Wasserstoff-Projekte zurück. Die Entscheidung ist ein weiterer Sargnagel für die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung, die der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck und seine Nachfolgerin im Amt Katharina Reiche maßgeblich mitgeprägt haben.

Die große Illusion – so könnte der Titel heißen über einer Geschichte, die sich um die deutschen Träume rund um die Wasserstoff-Technologie dreht. Wasserstoff hat die Wissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mal als „Champagner der Energiewende“ bezeichnet. Doch es ist wie immer mit dem Champagner: Wenn man Lust darauf hat, ist wahrscheinlich gerade keiner da.

Die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung, die die jetzige Wirtschaftsministerin Katharina Reiche als Vorsitzendes des nationalen Wasserstoffrats entscheidend mitgeprägt hat, klingt wie die Beschreibung eines Weges in die Zukunft, von dem die Realität irgendwann abgebogen ist. Wer das bisher nicht gemerkt hatte, der musste in der vergangenen Woche den bisher symbolträchtigsten Dämpfer zur Kenntnis nehmen: Der Energieversorger RWE steigt aus Namibias Hyphen-Megaprojekt aus – jenem Vorhaben, das jährlich 300.000 Tonnen grünes Ammoniak ab 2027 nach Deutschland liefern sollte. Der Konzern bestätigt den Rückzug; die Nachfrage nach Wasserstoff und Derivaten „entwickelt sich in Europa langsamer als erwartet“, heißt es zur Begründung. Ein finaler Abnahmevertrag hatte allerdings sowieso nie existiert, es blieb bei Absichtserklärungen, das Misstrauen war immer da.

Rückblende: Im Mai 2024 stellte die kurze Zeit später auseinander geflogene deutsche Bundesregierung ein Gesetz vor: Wasserstoff, so erklärte es uns der damals amtierende Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, sei essentiell, damit Deutschland bis 2045 ein klimaneutrales Industrieland werde. Dafür müsse die Infrastruktur zur Erzeugung, Speicherung und zum Import von Wasserstoff entstehen.

Industrie liefert, Markt fehlt

Und da die Industrie das aus irgendeinem Grund nicht von allein kapierte, machte die Politik in dem Fall, was sie immer macht: Sie beschloss ein Beschleunigungsgesetz. „Eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur ist von entscheidender Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie, die Wasserstoffleitungen werden die Lebensadern der Industriezentren sein“, sagte Habeck damals. Er sprach von Meilensteinen und hielt bei einer Pressekonferenz seine lustigen Papptafeln in die Kamera, die in diesem Fall das künftige Wasserstoffnetz in Deutschland abbildeten. Und dann beschrieb er die große Illusion: Es gehe darum, ausreichend Wasserstoff herzustellen, die Wasserstoffinfrastruktur auszubauen und Wasserstoffanwendungen in Industrie, Verkehr und Energieversorgung zu etablieren.

Das Vorhaben der Deutschen war ganz nach dem Geschmack der Europäischen Union. Sie hatte 2022 angesichts der russischen Invasion in der Ukraine ihr Programm „RePowerEU“ ausgebrütet, um die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu beenden. Zehn Millionen Tonnen Wasserstoff sollte klimaneutral, also „grün“ in der EU produziert werden und weitere zehn Millionen Tonnen von grünem Wasserstoff wollte Europa vom Rest der Welt einkaufen. Grüner, also ohne fossile Energie hergestellter Wasserstoff erschien der EU als eine der wenigen realistischen Möglichkeiten, um die Abhängigkeit von Energieimporten aus gerade ungeliebten Ländern deutlich zu senken.

Das Problem: Die EU und auch die Bundesregierung hatten sich die Welt ausgemalt, wie sie ihnen gefällt. Denn die Produktion von zehn Millionen Tonnen grünem Wasserstoff pro Jahr erfordert zum Beispiel eine installierte Elektrolyseurkapazität von rund 100 Gigawatt. Schließlich wird mit Hilfe des Elektrolyseverfahrens der grüne Wasserstoff überhaupt erst hergestellt. 2022 gab es jedoch nur wenige Dutzend Megawatt an Elektrolyseurkapazität in Europa. Da ein Gigawatt 1000 Megawatt entspricht, bedurfte es keiner großen Rechenkünste, um zu erkennen, dass das Ziel zumindest ambitioniert war.

Einer, der Anspruch und Wirklichkeit in Einklang bringen soll, ist Werner Ponikwar. Er ist Chef von Thyssenkrupp Nucera und damit Teil das altehrwürdigen, aber auf unsicheren Beinen in die Zukunft wankenden Konzerns Thyssenkrupp, der weltweit führend ist beim Bau von Elektrolyse-Anlagen.

Ponikwar notiert zu dem ambitionierten Zielen in seinem persönlichen Blog: „Die Elektrolyseurindustrie hat geliefert.“ Bis Ende 2024 sei die europäische Produktionskapazität für Elektrolyseure auf 10,4 Gigawatt pro Jahr gestiegen. Diese rasante Expansion habe dafür gesorgt, dass die Verfügbarkeit von Elektrolyseuren nicht mehr als Hindernis für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft angesehen werde. Jedoch: „Obwohl Europa nun über eine deutlich gestiegen Produktionskapazität verfüge, „liegt die aktuelle Nachfrage innerhalb des Kontinents unter 1 Gigawatt pro Jahr.“ Das Ungleichgewicht sei enorm, ein erheblicher Teil der Industrie nicht ausgelastet. „Diese Situation ist für die Hersteller untragbar, da die Anlagen bei reduzierter Kapazität nicht effizient betrieben werden können.“ Sprich: Die Politik hat etwas eingefordert, die Industrie hat geliefert, nur der Markt ist nicht da.

Realitätscheck für Milliardenprojekte

Woran das liegt? An „dem langsamen Fortschritt von Wasserstoffprojekten“, schreibt Ponikwar. „Weniger Projekte als erwartet haben die endgültige Investitionsentscheidung erreicht.“ Sie verheddern sich in Vorschriften wie etwa der, dass eben ausschließlich grüner Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff genutzt werden darf. Was aber, wenn der Wind nicht weht, und die Sonne gerade nicht scheint?

Damit kommt das zweite schmerzliche Thema ins Spiel: die Wasserstoff-Infrastruktur. „Es hilft uns nicht, wenn wir in Deutschland ein Wasserstoff-Kernnetz haben, aber letztendlich keine Einspeisung aus anderen Ländern bekommen“, sagt Ponikwar und benennt in seiner offenen Art das nächste Problem: Die Kunden seien nicht unbedingt immer dort, wo Wasserstoff am besten produziert werden könne. Zumindest wenn es um grünen Wasserstoff geht.

Wasserstoff wird durch unterschiedliche Verfahren gewonnen. 95 Prozent des verwendeten Wasserstoffs sind bislang „grau“. Das bedeutet: Er wird durch ein chemisches Verfahren aus Erdgas hergestellt. Dabei werden enorme Mengen an CO2 in die Luft geblasen. Der „blaue“ Wasserstoff wird ebenfalls aus Erdgas gewonnen mit dem Unterschied, dass das CO2 abgeschieden und gespeichert wird. Norwegen ist bei dieser Technologie Vorreiter und presst heute schon CO2 in den Meeresboden. „Pinker“ Wasserstoff wird mit Atomstrom hergestellt und „türkisfarbener“ Wasserstoff durch Verbrennung. Bei diesem Verfahren wird Erdgas durch Erhitzung in Wasserstoff und festen Kohlenstoff aufgespalten. Künftig soll nur noch „grüner“ Wasserstoff verwendet werden. Er wird durch Elektrolyse erzeugt. Das bedeutet, dass Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Der Strom kommt aus Wind- oder Solarkraftanlagen.

Es ist aber auch dabei so, dass jene Länder die Nase vorn haben, die schon bei Öl und Gas unschlagbar sind: Regionen im arabischen Raum und in Nordafrika, wo die Sonne so unverwüstlich scheint, dass mit dauerhaften Solarstrom, Wasserstoff in rauen Mengen erzeugt werden könnte. Ihn jedoch unter Hochdruck auf Schiffe zu verladen, die dann vollgetankt mit Schweröl und Dieselantrieb, den Weg nach Europa einschlagen, um hier gelöscht zu werden, versaut die Umweltbilanz des grünen Wasserstoffs. Also müssten Pipelines her. Sie sind jedoch Milliarden Projekte und müssen zudem heikle Genehmigungsverfahren durchlaufen.

Das wichtigste Projekt dabei: der sogenannte European Hydrogen Backbone, auf dessen Bau sich Algerien, Tunesien, Österreich, Deutschland und Italien geeinigt haben. Das „Rückgrat“ besteht aus einem knapp 4000 Kilometern langen Röhrensystem, das teilweise unter dem Mittelmeer verläuft, und die Wasserstoffproduktionszentren in Algerien und Tunesien mit der italienischen Insel Sizilien und Abnehmern in Österreich und Deutschland verbindet. Nur: Algerien und Tunesien räumen ein, dass keines der beiden Länder in der Lage sein dürfte, den Brennstoff in nennenswerten Mengen herzustellen, wenn die Pipeline 2030 in Betrieb gehen soll.

Und auch der Transport ist alles andere als trivial. Wasserstoff besteht aus kleineren Molekülen als Erdgas. Die Leitungen müssen deutlich dichter sein, um Lecks zu vermeiden. Zachary Shahan, Chefredakteur der US-Website Clean Technica, die Nachrichten zu nachhaltiger Energieversorgung sammelt, weist darauf hin, dass Wasserstoff außerdem dreimal so viel Energie für den Transport benötigt wie Erdgas, was die Kosten nach oben treibt. Würde Algerien seine Erdgasexporte durch Wasserstoff über die vorhandene Maghreb-Europa-Pipeline ersetzen, würden die geschätzten jährlichen Transportkosten von 1,8 Milliarden Dollar auf 5,5 Milliarden Dollar steigen. Shahan zitiert Studien, wonach das Durchleiten von Wasserstoff durch Pipelines so energieintensiv ist, dass nur noch 40 Prozent der ursprünglichen Energie am anderen Ende der Pipeline ankommen. Hochspannungsgleichtrom-Netze dagegen schaffen über große Entfernungen 87 Prozent. Warum also nicht den Strom transportieren, fragt sich Shahan.

Nicht nur die Herstellung von, sondern auch die Versorgung mit Wasserstoff wirft damit bisher mehr Fragen auf, als Antworten existieren. Was auch der EU-Rechnungshof in Luxemburg so sieht: „Die Industriepolitik der EU beim erneuerbaren Wasserstoff muss einem Realitätscheck unterzogen werden“, schreibt er in seinem jüngsten Bericht. Die EU-Kommission müsse konkretere Ziele setzen und „sicherstellen, dass diese sich auch verwirklichen“ lassen. Es gebe entlang der gesamten Wertschöpfungskette noch Probleme. „

Bleibt als drittes das Thema: Anwendungen. Habeck sah sie in der Industrie, im Verkehr und in der Energieversorgung voraus. Im Verkehr kommt Wasserstoff in homöopathischen Dosen vor.  In der Industrie dagegen wird Wasserstoff wirklich gebraucht, etwa um Düngemittel herzustellen, als Kühlstoff oder für die Raffinierung von Mineralöl. Weltweit tankt die Industrie 95 Millionen Tonnen Wasserstoff im Jahr, in Deutschland sind es 1,7 Millionen Tonnen. Der Bedarf wird drastisch steigen, weil damit die Industrie klimaneutral werden kann.

Stahlwerke beispielsweise wollen mit Wasserstoff CO2-neutralen Stahl herstellen. Doch was für Deutschlands Stahlhersteller einst ein Strohalm war, um die vorgeschriebene grüne Transformation zu retten, wird gerade zum Verhängnis: Hohe Wasserstoffpreise halten die Konzerne davon ab, den Stoff in ihrer Produktion einzusetzen. Machen sie das aber nicht, wackeln die Förderbescheide. Und ohne staatliche Förderung ist der Betrieb der verbliebenen Stahlwerke in Deutschland erst recht unwirtschaftlich. Für den Umbau zu einer weniger umweltschädlichen Produktion haben Deutschlands Stahlkonzerne insgesamt sieben Milliarden Euro erhalten. In den einzelnen Förderbescheiden, die die Konzerne von der Bundes- und jeweiligen Landesregierung bekommen haben, steht, dass sie grünen Wasserstoff in ihre Anlagen einspeisen müssen.145.000 Tonnen grüner Wasserstoff ist dafür im Jahr nötig, was aber ungeplante Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe nach sich zieht. Die Unternehmen wollen Aufschub, manche am liebsten ganz auf den teuren Brennstoff verzichten.

Die große Illusion – sie wird inzwischen als solche von einigen der führenden Köpfe in der Branche erkannt. Brigitte Ringstad Vartdal ist eine von ihnen. Die Norwegerin ist Chefin des Staatsunternehmen Statkraft, Europas größtem Erzeuger erneuerbarer Energien mit 7000 Mitarbeitern. „Nachdem wir im vergangenen Jahr die Ambition für die Entwicklung von grünem Wasserstoff gesenkt haben, erleben wir nun größere Unsicherheiten im Markthochlauf und eine sich weiter verzögernde Profitabilitätserwartung“, sagt die Top-Managerin. Daher habe Statkraft beschlossen, die Neuentwicklung von grünem Wasserstoff zu stoppen: „Wir werden in Zukunft Wachstumschancen in anderen Technologien vorziehen.“ Illusion geplatzt, ließe sich zusammenfassen.