Business & Beyond VW vor dem Stillstand – wie der Chipkrieg Europas Autoindustrie lahmlegt

VW vor dem Stillstand – wie der Chipkrieg Europas Autoindustrie lahmlegt

Europas Autobauer werden Opfer eines eskalierenden Handelskonflikts zwischen China und dem Westen. VW plant bereits Kurzarbeit, während ein Chip-Monopolist mit 50% Weltmarktanteil zum Spielball der Geopolitik wird.

Die europäische Autoindustrie steuert auf einen Produktionsstopp zu – und diesmal ist nicht Corona schuld, sondern ein handfester geopolitischer Konflikt. Volkswagen bereitet bereits Kurzarbeit vor, weil winzige, aber unverzichtbare Halbleiterkomponenten des niederländischen Herstellers Nexperia ausfallen könnten.

Laut „FAZ“ hat der Konzern bereits Gespräche mit der Arbeitsagentur aufgenommen. Das Problem: Nexperia kontrolliert bei Standardchips einen Weltmarktanteil von 50 Prozent und ist damit systemrelevant für die gesamte Branche.

Geopolitische Schachpartie mit Industriefolgen

Der Ursprung der Krise liegt in einem Machtkampf zwischen westlichen Regierungen und China. Auf Druck der USA übernahm die niederländische Regierung kürzlich die Kontrolle über Nexperia, um den Transfer kritischer Technologie an den chinesischen Mutterkonzern Wingtech zu verhindern. Wie „Spiegel“ berichtet, hatte Peking zuvor den Export bestimmter Nexperia-Chipkomponenten verboten. Das Unternehmen steckt nun zwischen den Fronten eines klassischen Handelskonflikts.

Die Konsequenzen sind weitreichend: Nexperia-Interimschef Stefan Tilger verschickte einen Brandbrief an Kunden, in dem er vor der Verwendung von Nexperia-Produkten warnt. Der Grund: Die in Europa produzierten Wafer werden für die Weiterverarbeitung nach China geschickt. So könne nicht ausgeschlossen werden, dass in chinesischen Werken Produktspezifikationen verändert oder Qualitätssicherungsprozesse umgangen würden.

Volkswagen als erster Dominostein

Bei VW könnten die Bänder bereits in der kommenden Woche stillstehen. Wie „Welt“ berichtet, plant der Konzern, die Produktion im Wolfsburger Stammwerk herunterzufahren. Betroffen wären zunächst Tausende Beschäftigte, später könnten es Zehntausende werden. Obwohl VW betont, Nexperia sei kein direkter Lieferant, stecken die kritischen Bauteile in zahlreichen Zulieferkomponenten.

In einem Personenwagen finden sich 300 bis 500 solcher Standardchips – oft wissen die Hersteller selbst nicht genau, in welchen der zugelieferten Teile sie verbaut sind. Diese Standardware wird von vielen der 60.000 VW-Zulieferer verwendet, wie „FAZ“ dokumentiert. Die Lagerbestände der europäischen Fahrzeughersteller reichen laut Automobilverband ACEA nur für wenige Wochen.

Europas Verwundbarkeit offengelegt

Olaf Lies, niedersächsischer Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied, sieht europäische Autobauer als Kollateralopfer eines größeren Konflikts. „Die Zeit drängt hier ungemein und in diesem konkreten Fall braucht Europa eher heute als morgen eine Lösung und zwar bevor die Bänder stillstehen“, so Lies laut „FAZ“.

Mittelfristig müsse Europa eigene Kapazitäten bei der Produktion von Schlüsselkomponenten aufbauen. Die Automobilbranche reagiert bereits mit Krisengesprächen. Hildegard Müller, Präsidentin des deutschen Automobilverbands VDA, betont laut „FAZ“: „Aktuell sollte der Fokus sein, schnelle und pragmatische Lösungen zu finden.“ Auch Volkswagen teilt mit: „Wir stehen in engem Kontakt mit allen relevanten Beteiligten.“.

Business Punk Check

Der Fall Nexperia zeigt schonungslos, wie verwundbar Europas Industrie durch ihre globalen Abhängigkeiten geworden ist. Die Realität: Ein einzelner Chiphersteller kann die gesamte europäische Autoindustrie lahmlegen. Während Politiker von „strategischer Autonomie“ schwadronieren, offenbart die Krise die tatsächliche Machtlosigkeit europäischer Unternehmen im geopolitischen Spiel zwischen USA und China.

Die viel beschworene Resilienz existiert nicht – stattdessen hängen Zehntausende Arbeitsplätze am seidenen Faden globaler Lieferketten. Für Entscheider bedeutet das: Wer jetzt nicht aktiv Redundanzen aufbaut und Abhängigkeiten reduziert, wird auch künftig zum Spielball geopolitischer Konflikte. Die wahre Herausforderung liegt nicht in der akuten Krisenbewältigung, sondern in der grundlegenden Neuausrichtung industrieller Strategien.

Häufig gestellte Fragen

  • Welche unmittelbaren Maßnahmen können Automobilhersteller ergreifen, um die Chipkrise zu bewältigen?
    Kurzfristig müssen Hersteller ihre Lagerbestände priorisieren und auf Hochmargenfahrzeuge konzentrieren. Gleichzeitig sollten sie alternative Lieferanten identifizieren und technische Spezifikationen anpassen, um kompatible Ersatzchips einsetzen zu können.
  • Wie können mittelständische Zulieferer ihre Abhängigkeit von dominanten Chipherstellern reduzieren?
    Mittelständler sollten Lieferantenportfolios diversifizieren, Rahmenverträge mit mehreren Anbietern abschließen und gemeinsame Einkaufskooperationen bilden. Zusätzlich empfiehlt sich die Entwicklung von Produktdesigns, die flexibel auf verschiedene Chipvarianten reagieren können.
  • Welche Branchen könnten von einer europäischen Chipproduktionsoffensive profitieren?
    Neben der Automobilindustrie würden Medizintechnik, Industrieautomation und Telekommunikation direkt profitieren. Auch für Hightech-Startups im Bereich IoT und KI entstünden neue Chancen durch lokale Produktionskapazitäten und kürzere Innovationszyklen.
  • Welche geopolitischen Entwicklungen sollten Unternehmen für ihre Lieferkettenstrategie beobachten?
    Entscheider müssen besonders auf Handelssanktionen, Exportkontrollen und technologische Entkopplungsprozesse zwischen westlichen Ländern und China achten. Auch die Neuausrichtung der US-Industriepolitik und europäische Souveränitätsinitiativen sind kritische Faktoren für langfristige Lieferkettenstrategien.

Quellen: „FAZ“, „Spiegel“, „Welt“