Business & Beyond Wie die Volksbanken ihren Mythos verspielen

Wie die Volksbanken ihren Mythos verspielen

Jahrzehntelang standen sie für Sicherheit und Nähe. Jetzt häufen sich Skandale, Verluste und dubiose Deals. Von Bordellkäufen bis zu Fußballwetten – die Genossenschaftsbanken steuern in eine Vertrauenskrise.

Genossenschaftsbanken – vor allem Raiffeisen- und Volksbanken – gelten seit Jahrzehnten als tragende Säule des deutschen Kreditwesens. Rund 700 Institute, 15 Millionen Mitglieder, stabile Dividenden: Das Modell der regional verwurzelten „sicheren Bank“ ist unerschütterlich – wirklich? Der Ruf bröckelt. Der Sektor kämpft mit einer Kombination aus Konjunkturschwäche, strukturellen Defiziten und Fehlentscheidungen – mit ersten Instituten in ernster Schieflage.

Die anhaltende Wirtschaftsflaute trifft den Mittelstand, auf den die Genossenschaftsbanken besonders angewiesen sind. Familienunternehmen verschieben Investitionen, Kreditnachfragen sinken spürbar. Nur 63 Prozent der mittelständischen Firmen planen laut einer neuen Befragung der Genossenschaftsbanken in den kommenden sechs Monaten überhaupt Investitionen. Für die Banken heißt das: Das Kreditgeschäft „stagniert auf etwas niedrigerem Niveau als 2024“. Das Volumen schrumpft – und manche Institute suchen Kompensation in riskanten Geschäften.

Der Sicherungsfonds des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR), die „Präventionsbank“, wird zunehmend gefordert. Jüngster Fall: die Volksbank Braunschweig-Wolfsburg („Brawo“). Mit rund zehn Milliarden Euro Bilanzsumme zählt sie zu den größten Volksbanken des Landes – nun droht eine „Neustrukturierung“. Hinter dem Begriff steht das Risiko einer ernsten Schieflage mit potenziellen Folgen für zahlreiche kleinere Institute. Eine Kaskade ist nicht ausgeschlossen.

Andere Häuser sind bereits abgestürzt. Die Volksbank Dortmund-Nordwest verspekulierte sich mit Immobilieninvestments in Höhe von 280 Millionen Euro. Die Verluste überstiegen das Eigenkapital, der Verband musste laut Bloomberg mit 134 Millionen Euro eingreifen. „Die Volksbank agierte wie ein Hedgefonds“, urteilt die Bürgerbewegung „Finanzwende“. In Düsseldorf-Neuss brachte dagegen schlichter Betrug die Bank in Not: Rund 100 Millionen Euro flossen mangels Prüfroutinen in die Türkei – offenbar veruntreut durch eine Mitarbeiterin. Der Verband musste einspringen, juristische Verfahren laufen noch.

Auch strukturelle Schwächen treten offen zutage – vor allem im Risikomanagement. Die VR-Bank Bad Salzungen ist inzwischen das schwärzeste unter den dunklen Schafen im Verband. Die Bank mit Thüringen hat laut öffentlichen Berichten eine Bilanzsumme von zuletzt rund 1,5 Mrd. Euro, betreibt 17 Filialen und zählt etwa 18.500 Mitglieder. Tatsächlich machte sie in den letzten Jahren durch skurrile und riskante Geschäfte auf sich aufmerksam: Laut Medienberichten gehören zu ihren Investments Immobilien in Oberhausen – darunter Bordellhäuser, die die Bank 2021 und 2022 kaufte und vermietete. Gleichzeitig engagierte sie sich im Bereich Fußball-Finanzierungen: Angeführt von einem exklusiv angeheuerten „Fußballexperten“ vergab die Bank Kredite und Beteiligungen im Zusammenhang mit Profivereinen. Schon seit 2018 gab es Ermittlungen gegen die Führung der Bank wegen Verdachts auf Untreue und unangemessene Geschäftspolitik.

Im Dezember 2023 griff die Aufsicht ein: Der gesamte Vorstand wurde entmachtet, der Aufsichtsrat trat geschlossen zurück, und zwei Sonderbeauftragte, einer davon von der Bankenaufsicht, übernahmen die Kontrolle. Was sie zu Tage förderte, ist dramatisch: Für die Geschäftsjahre 2022 und 2023 meldete die Bank nachträglich Verluste in Höhe von etwa 280 Millionen Euro. Daraufhin sah sich die Bank gezwungen, ihren Mitarbeiterbestand etwa zu halbieren und ihre Bilanzsumme deutlich zu reduzieren. Die Sicherungseinrichtung des Verbands musste eingreifen. Damit verliert ein ehemals etabliertes Institut dramatisch an Reputation – und der Fall zeigt, wie weit das abweichende Risikoverhalten einer einzelnen Genossenschaftsbank von dem Ideal „bodenständiger Kreditversorgung“ entfernt sein kann.

In Bayern müssen Genossenschaftsbanken zudem rund 100 Millionen Euro zum Ausgleich des Beinahe-Kollapses der Agrargenossenschaft BayWa beitragen. Diese hatte sich mit weltweiten Engagements in erneuerbaren Energien verhoben – von Windparks bis zu neuseeländischen Apfelplantagen.

Experten fordern umfassende Reformen, um die strukturelle Krisenanfälligkeit des Sektors zu beseitigen. Der BVR hat bereits weiterreichende Eingriffsrechte erhalten. Doch ein Kernproblem bleibt: Der Rettungsfonds greift früh, was in Teilen des Systems offenbar als faktische Haftungsfreistellung verstanden wird – ein klassischer „Moral Hazard“. Selbst hochriskant verzocktes Kapital wurde ersetzt, kritisiert das Handelsblatt. Die DZ-Bank müsse früher und konsequenter auf Warnsignale reagieren.

Zudem gelten personelle Verflechtungen innerhalb des Genossenschaftssektors als überholt. Im bayerischen Fall gab es enge Querverbindungen zwischen BayWa und regionalen Banken: Wolfgang Altmüller ist Vorstandsvorsitzender der „meine Volksbank Raiffeisenbank eG“ in Rosenheim, einer der größten bayerischen Genossenschaftsbanken. Gleichzeitig war er bis zu seinem vorzeitigen Ausscheiden im November 2024 stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der BayWa AG. Im Juli dieses Jahres hat er eine Partnerschaft mit dem FC Bayern München eingefädelt und die Rosenheimer sind nun „offizielle Hausbank“ des Fußballclubs. Immer wieder ist von Postenbesetzungen ohne ausreichende Qualifikation die Rede. Eine effektive Risikokontrolle bleibt so auf der Strecke.

Wie viele Institute noch in Schwierigkeiten geraten, ist offen. Doch ohne konjunkturelle Impulse oder ein günstigeres Zinsumfeld spricht vieles dafür, dass die Serie weiterer Schieflagen nicht abreißen wird.