Business & Beyond „Wir leben in einem Auto-Zoo“

„Wir leben in einem Auto-Zoo“

„Kaputt – das Ende des deutschen Wirtschaftswunders“ heißt das Buch des Podcasters und Journalisten Wolfgang Münchau. Nachdem es in vielen Sprachen ein Bestseller wurde und seither die Sicht auf Deutschland prägt, erscheint es jetzt auf deutsch. Wir erreichen Münchau in Oxford, wo er lebt. Er lässt kaum ein gutes Haar an der Entwicklung in seinem Heimatland.

Das Gespräch führte Oliver Stock.

Herr Münchau, Sie sprechen vom „Ende des deutschen Wirtschaftswunders“. Wo sehen Sie den Kipppunkt, an dem aus einer Erfolgsgeschichte eine Krise geworden ist?

Das deutsche Modell war extrem erfolgreich in den siebziger und achtziger Jahren und es ging dann durch die Wiedervereinigung in eine erfolgreiche Verlängerung in den neunziger Jahren. Es war getrieben von der Ingenieurskunst im Maschinenbau und der Autoentwicklung, und es ist sogar gelungen die analogen Fähigkeiten noch in den Beginn des digitalen Zeitalters zu transferieren. Dann aber war Schluss. Wenn ich hier in England berichte, dass es in Deutschland noch Faxgeräte gibt, staunen alle ungläubig.

Was ist passiert?

Durch das Digitalzeitalter sind neue Produkte entstanden. Sehen sie sich die neue Generation von Autos an. Sie sind ein I-Pad auf Rädern, ein Digital Device. Das zentrale Steuerungselement in der Mitte ist das zentrale Element. Da sind wir nicht mehr auf dem neuesten Stand. Da kommen wir nicht mit. Da sind wir hinten in dieser Forschungskette. Bei analogen Autos war Deutschland gut. Darauf basierte das Wirtschaftsmodell. Das Digitalzeitalter hat Deutschland nie geschafft. Da hat Deutschland komplett versagt. Die analoge Technik war das Ende einer Kette.

Das gilt inzwischen nicht mehr . . .

. . . doch. Wenn in Deutschland etwas nicht von VW erfunden wird, dann wird es nicht erfunden. Aber die deutsche Autoindustrie hat sich als Industrie jahrelang geirrt. Und die Regierung hat mitgemacht. Anfang dieses Jahrtausend gab noch die Dotcom-Phase, die dann als Blase endete und platzte. Damals hatte die deutsche Industrie den Schluss gezogen, dass sei das Ende des Phänomens. Dabei war es nur eine Bereinigung. Aber Deutschland hatte dann noch 15 Jahre Erfolg wegen Osterweiterung, Euro-Abwertung und billigem russischen Gas. Das waren eine Menge günstiger Faktoren.

Und dann drehte sich das um?

Die erste Krise war der Brexit. Die größte Quelle des deutschen Leistungsbilanzüberschusses kam bis dahin aus dem Vereinigten Königreich. Anschließend kam Trump mit seinen Stahlzöllen, dann kam die Pandemie, Deutschland war besonders betroffen, weil man zu sehr auf Lieferkettenoptimierung gesetzt hatte statt auf Lieferketten-Resilienz. Dann kam Putins Krieg, jetzt kommen die Euro-Stärke und weitere Zölle. Ich sehe einen massiven Schock auf die deutsche Industrie zukommen.

Verkettung wirtschaftlicher Schocks

Was kann die Regierung da machen?

Die Lage hat sie bisher nicht geändert, vielleicht ein wenig die Stimmung. Die Industrieproduktion ist gegenüber 2019 geschrumpft. Länder, gegenüber denen wir einen Überschuss hatten, China vor allem und die USA –  da haben wir jetzt ein Defizit in der Leistungsbilanz. Deutschland geht den Bach runter. Das merkt man nicht so schnell, weil es ein reiches Land ist. Das ist ja keine verlassene Wildwest -Stadt. Das Land kann lang stagnieren, ohne dass man es merkt

Aber wir haben hervorragende Forscher, sind immer noch gut bei Patenten, der Coronaimpfstoff wurde in Mainz erfunden . . .

Wenn Forschung bei BASF oder VW ist, funktioniert sie. Wenn es bei Bointech ist, ist es schon mal nicht so einfach. Die großen US-Tech-Firmen sind alle neue Firmen. Die großen deutschen Firmen haben alle 50 Jahre und mehr auf dem Buckel.

Woran liegt das?

Wir brauchen eine andere Finanzstruktur. Unser Bankensystem ist darauf ausgelegt, eine feste Struktur zu unterstützen. VW bekommt immer einen Kredit. Wir haben keine Kapitalmärkte, wir haben Bankenmärkte. Aber das 21. Jahrhundert braucht eben keine Bankenmärkte, sondern Kapitalmärkte. England hat einen. Die EU hat keinen. Die USA haben einen einzigen Staatsbond, nicht 27 wie die EU. Der steht als Gegeninstrument zum Dollar. Das wissen die Investoren. In den USA gibt es einen Souverän. Aber ist Griechenland souverän? Ohne einen echten gemeinsamen Kapitalmarkt wird das nichts.

Und jetzt haben wir die Künstliche Intelligenz. Sind wir da besser aufgestellt?

Bei KI haben wir bessere Karten. Im Gegensatz zur Digitalisierung ist KI ein Verbrauchermarkt: Der Wert von KI fällt denen zu, die sie benutzen, nicht denen, die sie produzieren. Der Vorteil ist massiv. Wenn es der deutschen Industrie gelingt, mit ihren Daten die KI zu füttern und zur Produktivitätssteigerung zu nutzen, könnte das ein extremer Gewinn sein.

Was hindert uns daran?

Wir haben eine Regulierungsumgebung geschaffen, die es unmöglich macht, die Daten zu benutzen. Gucken Sie sich die Self-Driving-Cars an, in Deutschland scheitern sie immer noch an Datenschutzvorgaben. Wir schaffen einen Auto-Zoo hier. Unsere Datenschutzverordnung ist eine der größten europäischen Fehlleistungen. Ich finde, sie ist ein Grund aus der EU auszutreten. Krypto-Act, Digital-Service Act – als das macht das Datengeschäft kaputt. Deutschland hat das unterstützt.

Wie konnte es so weit kommen?

Die starke antidigitale Orientierung der EU liegt daran, dass sie keine Produzenten-Union ist, sondern eine Verbraucherunion. Alles wird aus Verbrauchersicht und nicht aus Produzentensicht entschieden. Die Datenregulierung, wie sie heute besteht, kann die KI-Revolution, die wir bräuchten und könnten, nicht zulassen. Wir haben einst Weltstandards für Autos gesetzt, weil wir erfolgreiche Unternehmen in dieser Branche hatten. In den neuen Bereichen kommt das nicht mehr aus Deutschland, weil wir keine Technologieleader sind.

Sie sehen wirklich sehr schwarz . . .

Gar nicht. Es gibt ja Möglichkeiten. Denken Sie an die Industrie 4.0, überall an den Maschinen werden mit Sensoren Daten erhoben und damit kann der gesamte Produktionsbereich optimiert werden. Die Produktionsgewinne wären enorm. Wenn dann noch ein Kapitalmarkt dazu käme, mehr private Equity – meine Diagnose für Deutschland ist nicht eine dauerhafte Abwärtsspirale. Es ließe sich etwas ändern. Friedrich Merz weiß das auch, aber er hat in der Koalition nicht die Mehrheiten dafür. Da wird nur im Kleinen gestückelt. Da werden dann Abschreibungen über einen kürzeren Zeitraum genehmigt, dabei können Unternehmen im Vereinigten Königreich längst alles in einem Jahr voll abschreiben.

KI-Chance und Datenschutz-Falle

Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Energiewende? Ist sie mehr Symptom oder Auslöser der wirtschaftlichen Probleme?

Die Energiewende basierte auf einer völlig falschen Annahme. Man dachte, man verbrauche auf Dauer weniger Energie. Aber KI verbraucht Energie ohne Ende. Damit hat kein Mensch gerechnet. Das ist ohne Kernenergie nicht zu machen. Sich aus der Kernenergie zu verabschieden genau zu dem Zeitpunkt, als Putin in die Ukraine einmarschiert, war Schwachsinn. Man hätte sofort wieder einschalten müssen. Stattdessen fing man in Deutschland an, Kohle wieder hochzufahren. Was für ein Riesenquatsch. Das war das Resultat von Nicht-strategischem-Denken. Man schrieb die die alte Welt einfach fort und sah nicht, dass neue Industrien kommen. Jetzt haben wir uns unnötig in eine Abhängigkeit begeben. Die Energiewende ist richtig, macht aber so keinen Sinn.

Inwiefern sind die strukturellen Probleme in Deutschland auch Ausdruck einer mentalen Krise – etwa der Angst vor Veränderung?

Es ist nicht leicht, in Deutschland eine Firma aufzumachen. Vieles scheitert an Bürokratie. Es ist eine gesellschaftliche Krise, politische Narrative sind an die Gesellschaft gebunden. In den siebziger Jahren waren die Deutschen sehr optimistisch. Da haben sie investiert und Schulden gemacht. Aber die Gesellschaft hat sich risikoavers entwickelt. Unternehmertum hat einen geringeren Stellenwert. Früher haben wir das zelebriert. Heute wird der Studienabbruch, um eine Firma aufzumachen, als unvollständiger Lebenslauf kritisiert.

Ich möchte das Gespräch nicht ohne Optimismus beenden. Haben Sie ein bisschen für uns?

Inzwischen redet man endlich über diese Probleme. In der Ampelregierung hat sich selbst die FDP nicht wirklich dafür interessiert. Für die war der Unternehmer ein Apotheker. Man verschwendete politisches Kapital darein Geschwindigkeitsbeschränkungen abzulehnen. Merz hat das deutsche Wirtschaftsmodell als nicht funktional bezeichnet. In der Diagnose liegt er richtig. Er hat viele Themen angesprochen. Merz hat einen internationaleren Blick. Die Lockerung der Schuldenbremse hat Investoren angelockt. Wir haben ein Wirtschaftsministerium und einen Digitalminister, die im 21. Jahrhundert angekommen sind. Aber die Tatsache, dass man positiv denkt, heißt nicht, dass man es schafft. Im Koalitionsvertrag steht immer noch, die Autoindustrie sei eine Schlüsselindustrie. Wir müssen mal was neues wagen.