Deluxe & Destinations Fuck Purpose! Schluss mit dem verlogenen Gerede

Fuck Purpose! Schluss mit dem verlogenen Gerede

Aber natürlich ist das Ding mit dem Purpose nicht ausschließlich Quatsch. Wenn der Begriff einmal von aller kapitalistischen Esoterik und aller coachenden Wichtigtuerei befreit wird, hat er durchaus eine Funktion, zumindest theoretisch. Der saarländische Kommunikationsberater Franz-Rudolf Esch zum Beispiel, einst BWL-Professor an der Universität Gießen, sieht im Purpose „einen Polarstern, um sicher durch die stürmischen Gewässer zu segeln, und einen Sinn, um Ziele ausdauernd zu verfolgen“.

Letztlich ein Hilfsmittel in einer Zeit, in der Arbeit nicht mehr über das Ergebnis definiert werden kann – weil Innovation die Perfektion der Produktion längst abgehängt hat. Und da braucht es, nach Esch, eben Orientierung: „Um als Unternehmen in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umwelt zu reüssieren“, sagt Esch, „bedarf es eines Purpose, an dem sich Manager und Mitarbeiter orientierten können.“ Klingt natürlich super: Orientierung und dauerhafte Ziele statt stürmische Zeiten, what’s not to like?

Wer soll es glauben?

Nun: Wenn es denn so einfach wäre. Je genauer man sich nämlich die Versprechen des Purpose anschaut, desto vager wird der Nutzen oft. Was soll das heißen, ein Polarstern? Sir, wir betreiben hier einen Tennisplatz, einen Hersteller von Autositzbezügen, ein junges Wirtschaftsmagazin! Was zu der Frage führt: Woher soll ein grundsolides kapitalistisches Unternehmen einen anderen Zweck nehmen, als Geld zu verdienen? Klar, das muss man den Angestellten ja nicht unbedingt so auf die Nase binden und kann sich was Schönes ausdenken – „Menschen zusammenbringen“ statt SUVs bauen, „ein Biss Urlaub“ statt Döner für 2,50, alles denk- und machbar. Nur: Wer soll das glauben?

„Unternehmen, die keinen Purpose haben, tun sich sehr schwer, ernsthaft einen Purpose zu setzen“, bestätigt dementsprechend auch Katrin Glatzel, Partnerin der systemischen Organisationsberatung OSB International in Berlin. „Nicht jedes Unternehmen braucht zwingend einen Purpose“, beruhigt sie.

New-Work-Washing

Denn ein Purpose allein macht keinen perfekten Konzern: „Unternehmen, die einen Purpose haben, glauben oft, das reiche“, erklärt Glatzel weiter. „Machen glauben, das ersetze auch die Beschäftigung mit den Prozessen und der Organisation.“ Vieles, sagt die Beraterin, seien schlicht „falsche Lektionen aus dem Silicon Valley“ – „New-Work-Washing“ nennt Glatzel das.

Und das sei besonders problematisch, wenn die Beschäftigung mit dem Purpose die Beschäftigung mit den eigentlichen Schwächen des eigenen Unternehmens nur notdürftig übertünche.

Glatzels Rat: Nicht nur über Purpose diskutieren, sondern auch über Ziele und vor allem über Prozesse. Über die Rahmenbedingungen und den Wert von guter Führung und guter Organisation. „Das erscheint erst einmal weniger attraktiv“, sagt Glatzel. „Schließlich ist das der Part, der anstrengend ist.“

Genau das aber ist der entscheidende Punkt: Was bringt der Nordstern, um es mit dem Bild von Professor Esch zu formulieren, wenn das Boot sinkt oder die Matrosen überhaupt keinen Plan mehr haben, was der Käptn gerade von ihnen will? Je länger man Glatzel jedenfalls zuhört, desto eher entsteht der Eindruck: Über den Purpose zu sprechen ist die höchste und anspruchsvollste Stufe der unternehmerischen Inkarnation. Den aber, und das ist vielleicht das größte Problem, viele eher als Abkürzung denn als Endgegner sehen: Statt über Gehälter, Chancen und Arbeitszeiten einerseits und über Prozesse, Ziele und Organisation andererseits zu sprechen, werden Festtagsreden über Purpose gehalten. New-Work-Washing eben.

Purpose made by Mad Men

Der Verdacht klingt ein bisschen unfair, doch er trifft. Die Purpose-Agentur Brighthouse etwa verkündete erst vergangenen Herbst, sie habe sich personell verstärkt. Doch nicht mit Menschen, die vorher im Bereich Corporate Social Responsibility oder gar bei Stiftungen oder NGOs angestellt gewesen wären und die tatsächlich Erfahrung in sozialen, politischen, ökologischen Fragen mitgebracht hätten. Oder mit Menschen, die Prozesse und Strukturen in Zusammenarbeit mit Kunden optimieren. Ganz im Gegenteil. Die Neuen bei Brighthouse kamen von großen, klassischen Werbeagenturen. Weil es letztlich günstiger ist, einen neuen Claim zu entwickeln, als ernsthaft eine Antwort auf die Frage zu formulieren: Warum genau gehen wir noch mal arbeiten?

Wobei man auch sagen muss, dass die ganze Sache mit dem Purpose eventuell schon bald vorbei sein könnte. Das Gespenst, das umgeht, es schwächelt nämlich schon: Bereits am 14. März 2021 nämlich wurde der Danone-CEO Emmanuel Faber (genau, der, der behauptet hatte, Danone gehe es nicht mehr um Shareholder-Value) vom Verwaltungsrat des Unternehmens abgelöst. Die Investoren des Unternehmens beklagten, unter Faber hätte Danone „in konventioneller Hinsicht“ schlicht schlecht performt. Und mit „in konventioneller Hinsicht“ ist hier natürlich gemeint: Profit.

In der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht hieß das 1928 nüchtern: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Das gilt bis heute. Wir nennen es nur anders. Erst kommt der Shareholder-Value, dann der Purpose.


Das ist ein Text aus unserer Ausgabe 2/22. Außerdem zu lesen: Krypto-Art-Dossier. Big-Wave-Surfen in Portugal. Der CEO der Online-Uni Coursera. Und Cannabis aus Sachsen. Zum Bestellen geht es hier.

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