Deluxe & Destinations Tranquillum war gestern – Das bessere Retreat gibt’s nicht bei Prime

Tranquillum war gestern – Das bessere Retreat gibt’s nicht bei Prime

Seite an Seite mit der Zeit

Zur Hälfte der Reise wechseln wir die Seiten – von der dramatischen Sonnenaufgangs- zur sanften Sundowner-Küste. Anderthalb Stunden quer über Mauritius, durch die Dörfer des Ostens – das authentische Gesicht zeigt sich: Straßenhunde dösen im Schatten bunter Läden, mauritische Fahnen flattern an improvisierten Ständen. Ein Mann balanciert eine Gasflasche auf der Schulter, schlurft in Flip-Flops die Dorfstraße entlang. Zeit läuft hier zäher, folgt anderen Gesetzen als unsere getaktete Effizienz.

An einer Bushaltestelle warten drei Frauen geduldig unter einer verblassten Mauritius Telecom-Werbetafel – „Be your best“ prangt über ihnen in ironischer Perfektion, während sie einfach dasitzen und warten. Ohne Smartphones. Eine Gelassenheit, die jeden Europäer verzaubert – oder ist es nur die mühelose Kunst des Gegenwärtigseins, die wir verlernt haben? Endlose Zuckerrohrfelder wiegen sich im Passatwind wie ein grünes Meer, durchzogen von roten Erdwegen. Die Berge des Black River Gorges Nationalparks wachsen am Horizont heran. Zwischen Plantagen und ersten Teakwäldern zeigt sich das andere Gesicht der Insel – fernab der Postkartenstrände und eigener Projektionen – bis das Auto schließlich im kühlen Schatten der westlichen Berghänge anhält.

Das Archiv des Paradieses

Das Naturreservat La Vallée de Ferney: eine Stille, die in die Knochen kriecht. 200 Hektar einheimischer mauritischer Wald – die letzten zwei Prozent dessen, was einst die ganze Insel bedeckte. Die Aldabra-Riesenschildkröten wandeln durch ihr Refugium wie lebende Archive. Diese 60-Jährigen sind Teenager ihrer Art: Aldabra-Riesenschildkröten können über 250 Jahre alt werden – sie könnten theoretisch noch miterleben, wie Elon Musks Ur-Ur-Enkel den Mars kolonisieren.

Olivier, unser Guide, nähert sich einer der Schildkröten von hinten, streichelt sanft über die Panzerschilder. Das Tier erhebt sich, reckt den Hals – eine unerwartete Reaktion auf so zarte Berührung. Der vermeintlich tote Panzer entpuppt sich als hochsensibles Organ: Nervenenden durchziehen die Knochenstruktur bis in die tiefsten Schichten, leiten selbst leiseste Berührungen über das Rückenmark weiter. Was wie mittelalterliche Rüstung aussieht, registriert jede Berührung präzise – ähnlich dem Gefühl, wenn jemand sanft über unsere Fingernägel streicht.

Die Wanderung führt unter jahrhundertealte Ebenholzbäume. Olivier legt seine Hand auf die raue Rinde: „Diese Takamaka steht seit über 300 Jahren. Sie war bereits alt, als die ersten Siedler kamen.“ Die Sonne filtert durch das Blätterdach, wirft tanzende Schatten auf den Pfad aus roter Erde.

Mit 60 praktisch ein Teenager – Aldabra-Schildkröten schaffen 250 Jahre. Diese hier wird noch erleben, wie KI den Menschen erklärt, dass langsam überlegen ist.
Mit 60 praktisch ein Teenager – Aldabra-Schildkröten schaffen 250 Jahre. Diese hier wird noch erleben, wie KI den Menschen erklärt, dass langsam überlegen ist.

Plötzlich bricht die Luft auf: Ein Schwarm Mauritius-Flughunde erhebt sich aus den Baumkronen – ein lebendiger Schatten gegen das Tageslicht. Diese fliegenden Gärtner des Paradieses – einst 50.000 stark, heute auf 20.000 reduziert – sind die Bestäuber der endemischen Pflanzen. Auf einer fernen Lichtung der Berghänge äugen Java-Hirsche zwischen den Bäumen hervor: 1639 von den Holländern eingeführt, heute Teil des fragilen Ökosystems. Zu weit für die Kamera, aber gut zu wissen, dass sie da sind – stille Zeugen einer Insel im Wandel.

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