Drive & Dreams Zwischen den Wahlen stimmen die Deutschen mit den Füßen ab: Immer mehr verlassen das Land

Zwischen den Wahlen stimmen die Deutschen mit den Füßen ab: Immer mehr verlassen das Land

Die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit schlägt sich in Umfragen nieder. Doch eine Neuwahl ist nirgends in Sicht. Wer völlig genervt ist und es sich leisten kann, wandert aus. Das machen Jahr für Jahr mehr.

Es gibt eine offizielle Statistik des Bundesamts, die misst, wie sich die Bevölkerung in Deutschland durch Ein- und Auswanderer verändert. Danach ist Deutschland ein Zuwanderungsland. Unterm Strich gibt es mehr Menschen, die nach Deutschland einwandern, als solche, die auswandern. Doch wie immer schildern solche Statistiken nur die halbe Wahrheit. Die ganze sieht anders aus und steht in den hinteren Spalten, wo die Ein- und Auswanderer nach Nationalitäten gegliedert sind. Und da steht die Überraschung, die es in keine Überschrift schafft: Die Zahl der Deutschen, die auswandern, übertrifft nicht nur seit Jahren die Zahl derjenigen, die wieder einwandern, sondern absolut gesehen steigt sie auch. Immer mehr kehren ihrer Heimat den Rücken. Rund 113 000 waren es in diesem Jahr bis einschließlich Mai, jüngere Zahlen liegen noch nicht vor. Im gleichen Zeitraum des letzten Jahres waren es „nur“ 101 000, womit klar wird: Halbjahr für Halbjahr stimmen so viele Deutsche, wie etwa in Heilbronn leben, mit den Füßen ab und sagen: Mit mir nicht. Zweimal Heilbronn – soviel verschwindet im Jahr aus Deutschland.

Darunter sind natürlich die besonders prominenten Fälle. Verona Pooth verriet jetzt im „Bunte“-Interview, dass sie nach Dubai ausgewandert ist. Auf die Frage, was sie an ihrem neuen zu Hause schätzt, gab sie eine jener typischen Antworten von deutschen Auswanderern: „Die Sicherheit ist enorm hoch.“ Und: „Die Stadt ist ein Dienstleistungsparadies.“ Das Stichwort Sicherheit nennen auch ganz bodenständige Deutsche, die am Ende doch ausgewandert sind, sehr schnell als Grund für ihren Schritt. Die meisten glauben, dass in den beliebtesten Einwanderungsländern – an erster Stelle steht da die Schweiz, an zweiter Stelle Österreich – die Sicherheitslage besser ist. Im vergangenen Jahr sind 21000 Menschen von Deutschland in die Schweiz gezogen und mehr als 13 000 nach Österreich. Neben Sicherheit und beruflicher Motivation nennen Ausgewanderte häufig Lebensstil- und familiäre Motive. Auswandern steigert laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zumindest kurzfristig die Lebenszufriedenheit deutlich.

Und um die ist es in Deutschland gerade nicht gut bestellt. Denn die Mehrheit der Bevölkerung ist mit der politischen Arbeit der schwarz-roten Bundesregierung unzufrieden. Umfragen der vergangenen Wochen zeichnen ein Bild tiefen Misstrauens, schwindender Geduld und wachsender Zweifel an der Handlungsfähigkeit der politischen Führung und das stachelt eben dazu an, es doch mal woanders zu versuchen.

Im ARD-DeutschlandTrend liegt die Zufriedenheit mit der Bundesregierung auf einem historischen Tiefststand: Nur 29 Prozent geben an, zufrieden zu sein, während 69 Prozent die Arbeit kritisch bewerten. Das entspricht dem niedrigsten Wert seit Beginn dieser Koalition. Die Koalition leidet unter diesem Vertrauensverlust. Einzelne Minister schneiden zwar besser ab – Verteidigungsminister Boris Pistorius erreicht mit 60 Prozent Zustimmung einen vergleichsweise hohen Wert –, doch die meisten Ressortchefs rangieren deutlich im Keller: Finanzminister Lars Klingbeil, Arbeitsministerin Bärbel Bas oder Innenminister Alexnader Dobrindt kommen kaum über 30 Prozent Zustimmung hinaus. Der Kanzler reißt es auch nicht raus. Damit fehlt der Regierung das Fundament einer positiven Bilanz.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig, doch sie lassen sich auf einige Kernthemen verdichten. An erster Stelle steht die Sorge um die soziale Absicherung. Fragen von Rente, Pflege und Krankenversicherung treiben die Bürgerinnen und Bürger um. Eine große Mehrheit glaubt nicht daran, dass die aktuelle Regierung in der Lage ist, langfristig tragfähige Lösungen für die Alterssicherung zu präsentieren. Auch die Gesundheitsversorgung wird skeptisch gesehen, insbesondere angesichts steigender Kosten und abnehmender Leistungen.

Hinzu kommt die wirtschaftliche Lage. Nach Jahren globaler Krisen und innerer Unsicherheit erwarten die Menschen Antworten auf stagnierende Wachstumszahlen, hohe Energiepreise und die schleppende Digitalisierung. Stattdessen empfinden viele die Regierung als zögerlich und in sich zerstritten. Insbesondere die wiederkehrenden Konflikte zwischen Kanzler Merz und seinem Koalitionspartner SPD verstärken den Eindruck, dass politische Energie mehr in Machtkämpfe als in Problemlösungen fließt. Streit über Bürgergeld, Migration oder Steuerpolitik lassen die Koalition unkoordiniert und handlungsunfähig erscheinen. Notwendige Reformen beim Bürokratieabbau, in der Steuerpolitik oder beim Wohnungsbau werden angekündigt, aber nicht umgesetzt. Diskussionen über Sparpläne oder Richterwahlen im Bundesverfassungsgericht zeigen eine Regierung, die sich in solchen Fragen selbst blockiert.

Das ist der Hintergrund, vor dem sich die Menschen zum Auswandern entschließen – nicht nur die Prominenten und Wohlhabenden, sondern auch die ganz normalen. Focus online hat einige von ihnen getroffen und nach ihren Gründen befragt. Der 57jährige Thomas Herzing, ein ehemaliger Polizist, ist einer von ihnen. Er kehrte vor mehr als zehn Jahren Deutschland den Rücken und wanderte samt Familie in den Schweizer Kanton Luzern aus. Für ihn die beste Entscheidung. Eine Rückkehr nach Deutschland kommt für ihn, seine Frau oder für die beiden Söhne nicht infrage. „Ehrlich gesagt, finde ich das Leben hier in der Schweiz qualitativ viel besser als in Deutschland. Die Qualität des Essens, die Mehrsprachigkeit der Bevölkerung und das Bildungssystem“, sagt der Expat. Und er nennt das Dauerthema, das alle nervt: die Bürokratie. Natürlich gebe es die auch in der Schweiz, nur sei sie viel effizienter und ihre Vertreter freundlicher.