Female & Forward „Erfolg bedeutet, anderen die Türen zu öffnen“

„Erfolg bedeutet, anderen die Türen zu öffnen“

Tanuja Randery ist Managing Director and Vice President of Amazon Web Services für Europa, den mittleren Osten und Afrika. Wie sie führt und und wie sie mehr Menschen zu KI-Dompteuren machen will, berichtet sie im Interview.

Die Fragen stellte Oliver Stock

Hi Tanuja, AWS ist das Rückgrat vieler digitaler Innovationen – aber auch ein gigantischer Energieverbraucher. Wie realistisch ist Euer Ziel, bis 2040 CO2-neutral zu werden?

Tanuja Randery: Das Ziel, bis 2040 Netto-Null-Emissionen in unseren Geschäftsbereichen zu erreichen, ist eine unternehmensweite Initiative von Amazon. Es ist ehrgeizig, aber wir sind entschlossen, in allen Geschäftsbereichen zu investieren und zu innovieren, um eine nachhaltigere Zukunft zu schaffen. Wir wollen unsere Größe nutzen, um Investitionen in grüne Technologien und kohlenstoffarme Produkte anzustoßen, die ganzen Branchen helfen, zu dekarbonisieren. Darüber hinaus investieren wir in Initiativen wie den Amazon Sustainability Accelerator, um Start-ups zu unterstützen, die nachhaltige Innovationen vorantreiben und ihr Geschäft skalieren, damit sie ihren Klimaeffekt minimieren können.

„Cloud“ klingt leicht und unsichtbar, ist aber im Kern physische Infrastruktur: Server, Kühlung, Strom. Wie lässt sich Technologie-Wachstum mit echter Nachhaltigkeit vereinbaren – ohne Greenwashing?

Tanuja Randery: Rechenzentren machen das moderne Leben möglich. Online-Shopping, Streaming-Dienste und auch einige entscheidende Initiativen zur Bekämpfung globaler Krankheiten hängen von der Cloud ab. Wir verbessern ständig das Design und den Betrieb unserer Rechenzentren, um sie energie- und wassereffizienter zu machen und mit kohlenstofffreier Energie zu betreiben. Zum Beispiel bauen wir in Schweden neue Rechenzentren mit kohlenstoffärmeren Materialien, um die Klimaeffekte beim Bau zu reduzieren – einem der am schwierigsten zu dekarbonisierenden Sektoren. Wir steigern kontinuierlich die Energieeffizienz unserer Chips und verlängern die Nutzungsdauer unserer Technologien, indem wir sie besser designen, länger betreiben und mehr Wertstoffe im Rahmen der Kreislaufwirtschaft zurückgewinnen.

Europa diskutiert über digitale Souveränität, AWS steht für globale Skalierung. Wie gelingt der Spagat zwischen europäischem Datenschutz und amerikanischer Cloud-DNA?

Tanuja Randery: Für uns ist es wichtig, dass unsere Kunden selbst entscheiden können und die Freiheit haben, neue Ideen umzusetzen. Wir helfen ihnen dabei, sich in dieser komplexen Umgebung zurechtzufinden. Unsere europäischen Kunden können jede AWS Region in Europa auswählen, um Daten sicher innerhalb ihrer bevorzugten geografischen Lage zu speichern. Unser Modell stellt sicher, dass die Daten dort bleiben, sofern der Kunde nichts anderes entscheidet. Automatisierte Tools erleichtern die Durchsetzung von Datenstandortpräferenzen über alle AWS Services hinweg. So erhalten unsere Kunden die volle Skalierbarkeit, Sicherheit und Innovationskraft von AWS und behalten zugleich ihre Souveränität – ein großer Vorteil für Organisationen, die mit ganzem Herzen europäisch sind, aber global denken. Für den öffentlichen Sektor und stark regulierte Branchen führen wir die AWS European Sovereign Cloud ein, eine neue, unabhängige Cloud für Europa, die von EU-ansässigen Mitarbeitern innerhalb der EU betrieben wird – unter einer neu gegründeten deutschen Gesellschaft. So bieten wir echte Souveränität ohne Kompromisse.

AWS liefert die Infrastruktur für viele KI-Anwendungen – vom Start-up bis zum Konzern. Wie stellt Ihr sicher, dass Innovation auf Eurer Plattform auch ethisch vertretbar bleibt?

Tanuja Randery: Als einer der weltweit führenden Entwickler und Anbieter von KI-Tools und -Services ist Vertrauen in unsere Produkte ein zentrales Prinzip für uns. Wir setzen uns dafür ein, faire und präzise KI-Services zu entwickeln und unseren Kunden Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie verantwortungsvoll innovieren können. Schutzmechanismen wie die automatisierte Missbrauchserkennung in Amazon Bedrock, Wasserzeichen im Titan Image Generator und Transparenz durch AI Service Cards helfen, Missbrauch zu verhindern. Wir stehen zudem mit Haftungsfreistellung hinter unseren Modellen, unterstützen Bias- und Sicherheitsprüfungen in CodeWhisperer und fördern Initiativen wie die freiwillige KI-Selbstverpflichtung des Weißen Hauses, die UN-Beratungen zu generativer KI sowie den AI Safety Summit im Vereinigten Königreich.

Viele Unternehmen haben Sorge, sich zu stark an einen Anbieter zu binden. Wie begegnest Du dieser Angst vor dem „Cloud-Lock-in“ – und wo ziehst Du die Grenze zwischen Kundenbindung und Abhängigkeit?

Tanuja Randery: Mein Team und ich sind leidenschaftliche Befürworter der Vorteile des Cloud-Computing, da es die Rechenkosten für europäische Unternehmen senkt und ihnen die Skalierbarkeit, Sicherheit und Flexibilität bietet, die sie zum Innovieren und Wachsen benötigen. Die Realität zeigt jedoch, dass heute erst etwa 20 Prozent der Workloads in der Cloud laufen. Die Vorstellung, dass Unternehmen zu abhängig von Cloud-Diensten sind, entspricht daher nicht der Wirklichkeit.

Die europäische IT-Dienstleistungsbranche ist äußerst wettbewerbsintensiv. Kunden können zwischen verschiedenen Cloud-Anbietern oder On-Premises-Lösungen wählen. Viele entscheiden sich für einen hybriden Ansatz und kombinieren beides.

Die Tech-Branche gilt noch immer als Männerdomäne. Du selbst bist eine der wenigen weiblichen Führungskräfte auf Top-Level. Wie veränderst Du Kultur und Führungsverständnis bei AWS?

Tanuja Randery: Ich bin unglaublich stolz darauf, heute dort zu sein, wo ich bin – und das wäre nicht gelungen ohne das Vertrauen und die Unterstützung meiner Mentoren. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, auch anderen dies zu ermöglichen.Bei AWS habe ich den Frauenanteil in unserem EMEA-Team innerhalb von drei Jahren durch inklusive Einstellungsprozesse und Mentoring von zehn Prozent auf 50 Prozent erhöht. Über AWS hinaus setze ich mich dafür ein, die Mentoring-Lücke zu schließen: Ich habe das Next Gen Power Women Network ins Leben gerufen, um Frauen auf ihrem Weg in Führungspositionen zu unterstützen. Zudem habe ich das PowerWomen Network und den PowerWomen Speak Podcast gegründet, um branchenübergreifend den Austausch und das Teilen von Erfahrungen zu fördern. Wir unterstützen außerdem frühe MINT-Bildung für Mädchen und fördern Cloud-Trainings für über 31 Millionen Lernende weltweit. Bei diesen Initiativen geht es darum, starke Netzwerke zu schaffen, Barrieren abzubauen und sicherzustellen, dass Frauen in die Tech-Branche einsteigen und dort die Unterstützung erhalten, um voranzukommen, zu führen und die Zukunft mitzugestalten. Erfolg bedeutet nicht nur, selbst die Karriereleiter zu erklimmen, sondern auch anderen die Türen zu öffnen und eine Branche zu gestalten, in der alle erfolgreich sein können.

Du sprichst oft von „Purpose-driven Leadership“. Wie lebt man diesen Anspruch im Alltag eines globalen Tech-Giganten, der unter enormem Wachstumsdruck steht?

Tanuja Randery: Für mich beginnt Purpose-driven Leadership mit Neugier. Ich bin immer neugierig geblieben – das war mein Kompass. Wenn ich merke, dass ich mich zu sehr wohlfühle, ist das für mich ein Zeichen, die nächste Herausforderung zu suchen. Einige meiner spannendsten Karriereschritte, einschließlich meines Wechsels in die Tech-Führung bei AWS, sind daraus entstanden, dass ich mich bewusst auf dieses Unbehagen eingelassen habe. Was mich jedoch wirklich motiviert, ist der Impact: Start-ups zu unterstützen, Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation zu begleiten, junge Menschen auszubilden und den Zugang zu Cloud-Ressourcen zu erweitern. Wenn mein Team und ich das gut machen, können wir Karrieren positiv beeinflussen, Unternehmenswachstum fördern und Innovationen vorantreiben. Für mich bedeutet Purpose-driven Leadership, dass ich immer ein klares Ziel vor Augen habe und gleichzeitig offen und bodenständig bleibe.

Viele Eurer Kunden vertrauen AWS ihre sensibelsten Daten an – oft geschäftskritische Informationen. Wie baut man Vertrauen auf in einer Zeit, in der Datenschutz und KI-Ethik zunehmend unter Druck geraten?

Tanuja Randery: Bei AWS steht Sicherheit an oberster Stelle und bildet die Grundlage für alles, was wir tun. AWS ist von Anfang an so konzipiert worden, dass es besonders sicher ist. Deshalb nutzen es auch sehr anspruchsvolle Organisationen wie Regierungen und große Banken. Unsere Infrastruktur erfüllt die strengsten Sicherheitsstandards, und unsere Kunden profitieren von einem erstklassigen Schutz, unterstützt durch Teams, die Bedrohungen in großem Maßstab erkennen und abwehren.

Wenn es um KI geht, gilt für uns ein einfaches Prinzip: Daten gehören den Kunden. Mit Amazon Bedrock werden Daten nicht zum Modelltraining verwendet. Sie bleiben verschlüsselt in der Virtual Private Cloud und sind durch die weltweit anerkannten AWS Zugriffs- und Datenschutzstandards geschützt.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest: Welche Veränderung in der Tech-Welt würdest Du Dir sofort wünschen – und warum?

Tanuja Randery: Wir haben kürzlich die Studie „Unlocking Europe’s AI Potential“ durchgeführt. Sie hat gezeigt, dass im vergangenen Jahr fast drei Millionen Unternehmen in Europa KI eingeführt haben, sodass mittlerweile 42 Prozent der Unternehmen KI nutzen. Das größte Hindernis für die weitere Nutzung der Technologie ist jedoch der Mangel an digitalen Kompetenzen. Mein Wunsch wäre, dass alle – Unternehmen und Bürger – die Fähigkeiten erhalten, die sie benötigen, um KI zu nutzen und Innovationen voranzutreiben. Das gilt besonders für jene Gruppen, die in der Tech-Branche ohnehin unterrepräsentiert sind. Bei AWS unternehmen wir bereits Schritte, um diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb haben wir mehr als 31 Millionen Lernende in über 200 Ländern durch kostenlose Trainingsinitiativen beim Aufbau von Cloud-Kompetenzen unterstützt.

Ich glaube, jedes Unternehmen hat das Potenzial ein KI-Unternehmen zu werden. Dafür braucht es vor allem die richtigen Menschen, die passende Unterstützung und das geeignete Mindset, um Veränderungen möglich zu machen.