Finance & Freedom Goldener Handschlag: Warum Firmen wie VW jetzt 400.000 Euro Abfindung zahlen

Goldener Handschlag: Warum Firmen wie VW jetzt 400.000 Euro Abfindung zahlen

Deutsche Konzerne kaufen teure Mitarbeiter mit Mega-Abfindungen frei. VW lockt mit bis zu 400.000 Euro, Mercedes und Bayer ziehen nach. Wer profitiert wirklich und welche Fallstricke lauern?

Sechsstellige Summen für den freiwilligen Abschied – deutsche Unternehmen greifen tief in die Tasche, um ältere und teure Mitarbeiter loszuwerden. Allein die DAX-Konzerne haben seit Anfang 2024 mehr als 16 Milliarden Euro für Restrukturierungen ausgegeben, wie Recherchen zeigen. Der Löwenanteil fließt in Abfindungen und Vorruhestandsregelungen. Besonders großzügig ist Volkswagen: Bis zu 400.000 Euro winken langjährigen Führungskräften beim Ausscheiden. Doch hinter den verlockenden Angeboten steckt knallhartes Kalkül.

Der Abfindungs-Boom: Warum Unternehmen jetzt Millionen zahlen

Die Rezession zwingt deutsche Unternehmen zum Handeln. Volkswagen plant, bis 2030 etwa 35.000 Stellen abzubauen – mehr als ein Viertel der Belegschaft. Statt betriebsbedingter Kündigungen setzt der Konzern auf freiwillige Abgänge mit attraktiven Konditionen. „Der Konzern hat bereits mit Zustimmung von rund 20.000 Beschäftigten den frühzeitigen Ausstieg vereinbart“, berichtet „jura.cc“. Etwa zwei Drittel wählen die Altersteilzeit, ein Drittel nimmt Einmalzahlungen. Die Abfindungsformel orientiert sich typischerweise an Betriebszugehörigkeit und Gehalt.

„Ein 50-jähriger VW-Unterabteilungsleiter mit rund 9000 Euro Monatsgehalt und 20 Jahren Betriebszugehörigkeit kann bei seiner Abfindung auf mehr als 400.000 Euro kommen“, so „bild.de“. Selbst auf niedrigeren Entgeltstufen bleiben nach zehn Jahren immerhin noch etwa 47.000 Euro, nach 20 Jahren gut 100.000 Euro. Auch Mercedes will durch Personalabbau bis 2027 eine Milliarde Euro einsparen und bietet 40.000 Beschäftigten Abfindungen an. Laut „automobilwoche.de“ haben bereits 4.000 Mitarbeiter das Angebot angenommen. Besonders lukrativ waren die „Turbo-Programme“ mit Frühentscheider-Boni: „Ein 55-jähriger Teamleiter mit einem Bruttomonatsgehalt von etwa 9000 Euro und 30 Berufsjahren konnte mit einer Abfindung von einer halben Million Euro rechnen.“, so „bild.de“.

Regionale und soziale Unterschiede: Wo Abfindungen am höchsten ausfallen

Nicht überall fallen die Zahlungen so üppig aus. Eine aktuelle Studie des Portals „allright.de“ zeigt massive regionale Unterschiede bei Abfindungen in Deutschland. „Am meisten Geld kassieren Beschäftigte in Hessen mit durchschnittlich 9.339 Euro pro Abfindung“, berichtet „merkur.de“. Mit deutlichem Abstand folgen Bayern (7.611 Euro) und Nordrhein-Westfalen (7.082 Euro). Am anderen Ende der Skala stehen Rheinland-Pfalz mit nur 4.061 Euro und Schleswig-Holstein mit 4.874 Euro. Besonders problematisch: Frauen erhalten im Schnitt 40 Prozent weniger Abfindung als Männer.

Während Männer durchschnittlich 7.550 Euro bekommen, sind es bei Frauen nur 5.387 Euro. „Das spiegelt die strukturellen Unterschiede beim Einkommen wider, die sich bis in die Abfindungsverhandlungen fortsetzen“, erklärt Arbeitsrechtsexperte Paul Krusenotto laut „merkur.de“. Auch das Alter spielt eine entscheidende Rolle. Die Abfindungshöhe steigt mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich an – von durchschnittlich 3.975 Euro bei 20- bis 30-Jährigen bis zu knapp 9.900 Euro bei 60- bis 70-Jährigen. Noch deutlicher ist der Einkommenseffekt: Wer mehr als 5.780 Euro brutto verdient, erhält im Schnitt 13.952 Euro Abfindung – fast sechsmal mehr als Geringverdiener.

Die Fallstricke: Warum eine hohe Abfindung kein Geschenk ist

So verlockend die sechsstelligen Summen klingen – wer unterschreibt, sollte die Konsequenzen kennen. „Wer durch eigenen Entschluss aus dem Job ausscheidet, riskiert eine Sperrzeit von 12 Wochen bei der Agentur für Arbeit“, warnt „jura.cc“. In dieser Zeit gibt es kein Arbeitslosengeld, und die Anspruchsdauer verkürzt sich entsprechend. Zusätzlich kann eine Ruhenszeit des ALG-Anspruchs eintreten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der regulären Kündigungsfrist endet.

„Das Arbeitslosengeld ruht so lange, wie die ordentliche Kündigungsfrist eigentlich noch gelaufen wäre – maximal jedoch wird der Zeitraum so bemessen, dass 60 Prozent der Abfindung als abgedeckter Zeitraum gelten“, erklärt „jura.cc“. Auch steuerlich ist Vorsicht geboten. Abfindungen werden als außerordentliche Einkünfte besteuert. Zwar gibt es die sogenannte Fünftelregelung zur Milderung der Steuerprogression, doch ein erheblicher Teil der Summe fließt an den Fiskus. Experten raten daher, sich die Abfindung auf einmal auszahlen zu lassen und nicht in Raten. Dann profitiert man von der ermäßigten Besteuerung.

Strategische Überlegungen: Wann sich der goldene Handschlag lohnt

Ob eine Abfindung sinnvoll ist, hängt stark von der persönlichen Situation ab. Für jüngere Arbeitnehmer mit guten Marktchancen kann sie ein finanzieller Bonus sein. Wichtig ist jedoch, einen nahtlosen Übergang zu planen und rechtliche Konflikte zu vermeiden. Für ältere Mitarbeiter kann die Abfindung eine Brücke in den Ruhestand schlagen.

Besonders attraktiv ist dies für Beschäftigte ab 58 Jahren, die einen längeren ALG-I-Anspruch haben. Allerdings müssen aus der Abfindung nicht nur Lebenshaltungskosten, sondern auch Krankenversicherungsbeiträge und eventuell freiwillige Rentenbeiträge bestritten werden. „Bayer bietet eine sogenannte ‚Sprinterprämie‘ für schnelle Entscheider“, berichtet „bild.de“. Wer 35 Jahre im Unternehmen war, konnte auf 52,5 Monatsgehälter Abfindung kommen – bei 8.000 Euro Gehalt wären das 420.000 Euro. Mitarbeiter ab 57 Jahren mit mindestens 35 Beitragsjahren können sich die Abfindung sogar über sechs Jahre in monatlichen Beträgen auszahlen lassen.

Business Punk Check

Die Mega-Abfindungen sind kein Akt der Großzügigkeit, sondern knallharte Wirtschaftsrechnung. Für die Konzerne ist es billiger, erfahrene Mitarbeiter mit sechsstelligen Summen zu verabschieden, als sie bis zur Rente zu bezahlen. Die viel gepriesene „Sozialverträglichkeit“ ist letztlich ein Euphemismus für systematischen Erfahrungsverlust. Während VW, Mercedes und Co. ihre Bilanzen optimieren, entsteht ein gefährliches Vakuum an Fach- und Führungskompetenz.

Besonders problematisch: Die Abfindungspraxis zementiert bestehende Ungerechtigkeiten – Frauen und Geringverdiener gehen deutlich schlechter aus dem Deal hervor. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Wer eine Abfindung annimmt, sollte sie als Investitionskapital für die eigene Zukunft betrachten, nicht als Geschenk. Die wahren Gewinner sind nicht die Abgefundenen, sondern die Aktionäre, die von schlankeren Personalstrukturen profitieren.

Häufig gestellte Fragen

  • Wann lohnt sich die Annahme einer hohen Abfindung wirklich?
    Eine Abfindung lohnt sich besonders in zwei Szenarien: Für Jüngere mit guten Jobaussichten als finanzieller Bonus zum Karrierewechsel und für Ältere ab 58 Jahren als Brücke in den Ruhestand. Entscheidend ist die persönliche Rechnung: Reicht das Geld (nach Steuern) für die Überbrückungszeit? Gibt es realistische Alternativen? Wer keine klare Perspektive hat, sollte den sicheren Arbeitsplatz nicht vorschnell aufgeben.
  • Wie lassen sich die Nachteile bei Arbeitslosengeld nach einer Abfindung minimieren?
    Um die 12-wöchige Sperrzeit zu vermeiden, sollte im Aufhebungsvertrag dokumentiert werden, dass eine betriebsbedingte Kündigung ohnehin erfolgt wäre. Wichtig: Darauf achten, dass der Vertrag die reguläre Kündigungsfrist einhält, um Ruhenszeiten zu vermeiden. Unbedingt innerhalb von drei Tagen nach Vertragsunterzeichnung bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend melden und einen Fachanwalt für Arbeitsrecht konsultieren.
  • Wie wirkt sich die aktuelle Abfindungspraxis auf den Mittelstand und kleinere Unternehmen aus?
    Die großzügigen Abfindungsprogramme der Konzerne setzen kleinere Unternehmen unter Druck. Sie können mit den sechsstelligen Summen nicht mithalten, verlieren aber qualifizierte Fachkräfte an die Großunternehmen oder müssen überhöhte Gehälter zahlen. Gleichzeitig entsteht ein Kompetenzmarkt: Mittelständler können von erfahrenen Ex-Konzernmitarbeitern profitieren, die nach der Abfindung flexiblere Arbeitsmodelle suchen oder als Berater tätig werden.
  • Welche steuerlichen Strategien maximieren den Nettobetrag einer hohen Abfindung?
    Die Fünftelregelung ist der wichtigste steuerliche Hebel: Die Abfindung sollte unbedingt in einem Steuerjahr ausgezahlt werden. Zusätzlich können Ausgaben für berufliche Weiterbildung, Existenzgründung oder Altersvorsorge die Steuerlast senken. Wer plant, längere Zeit ohne reguläres Einkommen zu bleiben, kann von einem niedrigeren Steuersatz im Auszahlungsjahr profitieren. Eine professionelle Steuerberatung vor Vertragsunterzeichnung ist die beste Investition.

Quellen: „automobilwoche.de“, „bild.de“, „jura.cc“, „merkur.de“