Finance & Freedom „Kein Bock auf Sanktionen“: Bas kippt zentrale Bürgergeld-Linie

„Kein Bock auf Sanktionen“: Bas kippt zentrale Bürgergeld-Linie


Mit einem einzigen Satz stellte Bärbel Bas die gerade erst ausgehandelte Reform auf den Kopf. Während Millionen Bürgergeld beziehen und die Zahlen der Jobcenter alarmieren, fordert die SPD-Chefin Änderungen. Was steckt hinter ihrer Kehrtwende?

Der Streit um die Rente ist in der Koalition noch nicht beigelegt, da hagelt bereits der nächste Konflikt ins Regierungskontor. Ausgerechnet beim Bürgergeld, jener Reform, die Millionen Menschen betrifft und mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr kostet, kündigt sich die nächste Auseinandersetzung auf der Regierungsbank an. SPD-Co-Chefin und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas deutet jedenfalls an, den bereits ausgehandelten Gesetzentwurf so nicht akzeptieren zu wollen. Es wäre der zweite große sozialpolitische Kraftakt innerhalb weniger Wochen – und der nächste Test für die schwarz-rote Koalition.

Rund 5,5 Millionen Menschen beziehen Bürgergeld in Deutschland, darunter 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche. Etwas mehr als 40 Prozent der Geldempfänger arbeiten oder befinden sich in Ausbildung. Sie sind sogenannte „Aufstocker“. Ein Drittel gilt als erwerbsfähig, geht jedoch keiner Beschäftigung nach. Diese Gruppe besteht aus Älteren über 55, Menschen mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen und jenen ohne berufliche Qualifikation. Drei Millionen junge Erwachsene unter 35 haben in Deutschland keinen Berufsabschluss. Genau sie sollten mit der Bürgergeld-Reform der ehemaligen Ampelregierung zum Arbeiten bewegt werden. Doch der erhoffte Kulturwandel blieb aus: Qualifizierungsprogramme bringen wenig, die Angebote erreichen viele Menschen schlicht nicht.

SPD und Union hatten deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart, das Bürgergeld erneut umzubauen: härtere Sanktionen bei mehrfacher Arbeitsverweigerung, aber zugleich Schutz vor sozialer Härte. Ein schwieriger Spagat – und einer, der nun erneut ins Wanken gerät. Beim Bundeskongress der Jusos überraschte Bas mit ungewöhnlich klaren Worten: „Ihr könnt euch darauf verlassen: Ich habe keinen Bock auf Sanktionen“, rief sie den Delegierten zu. Und weiter: „Wir sparen kein Geld, indem wir Menschen bestrafen. Wir sparen, wenn sie gute Löhne bekommen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.“

Die Sätze stehen seither wie eine Präambel über dem Entwurf zum jetzt „Grundsicherung“ genannten neuen Bürgergeld. Mitte Dezember sollte das Kabinett den Entwurf verabschieden, danach sollte der Bundestag ran. Bislang schien klar: Anders als bei der Rente wollte die SPD beim Bürgergeld keine weiteren Zugeständnisse machen. Doch seit der Rede von Bas ist alles anders.

Inhaltlich bleibt die Ministerin vage. Man wolle „noch einmal reden“, kündigt sie an, „weil wir sicherstellen müssen, dass die Reformen nicht die Falschen treffen.“ Härtefallregelungen, Schutz vor Wohnungslosigkeit, die Berücksichtigung psychischer Erkrankungen – all das sei ihr wichtig. Bas hat dabei die Zahlen einer Bertelsmann-Studie im Gepäck: Demnach bemühten sich 57 Prozent der Bürgergeldbezieher zuletzt nicht aktiv um Arbeit. Die Gründe: Viele fühlen sich krank, 43 Prozent haben nie ein Stellenangebot erhalten, 38 Prozent kein Weiterbildungsangebot. Es gehe also nicht um „Drückeberger“, meint Bas, sie machen laut Jobcenter-Mitarbeitern maximal fünf Prozent aus.

Während die Ministerin also die soziale Dimension betont, reagiert die Union genervt. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn erinnert die SPD an ihre kompromisslose Haltung in der Rentenfrage: „Die SPD hat darauf bestanden, dass die gefassten Beschlüsse unverändert durch den Bundestag gehen. Genau das erwarten wir jetzt auch beim Bürgergeld.“Und zugespitzt:„Wer arbeiten kann, sollte arbeiten. Dieser Grundsatz geht bei uns eins zu eins durch den Bundestag.“

In der Sache ist damit also mehr gemeint als eine technische Nachjustierung. Im Mittelpunkt steht der Umgang mit dem Sozialstaat. Bas selbst formulierte es beim Juso-Kongress so: „Es geht um den Kern sozialdemokratischer Politik: Gerechtigkeit.“

Dass die schwarz-rote Koalition bei diesem heiklen Thema womöglich noch einmal nachbessert, schließt Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion kategorisch aus. „Es gibt einen ganz klaren Koalitionsvertrag, wo genau die Passage zum Bürgergeld bis in die kleinsten Worte formuliert worden ist“, erläutert die CDU-Politikerin in der „Welt“, „und wir erwarten, dass genau diese Vereinbarungen auch eingehalten werden – eins zu eins, wie die SPD auch erwartet, dass wir das Rentenpaket halten. Da kann es keine Rosinenpickerei geben.“ Es gehe beim Bürgergeld um nicht weniger als um die Leistungsfrage in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen wanderten laut Conemann zu Extremparteien, weil sie der Meinung seien, dass sie mit ihrer Arbeit ein System finanzieren, dass am Ende Leistungsträger nicht mehr belohnt, sondern bestraft. „Darauf müssen wir politisch reagieren und das geht nur übers Bürgergeld.“