Finance & Freedom Pflegegrad 1 vor dem Aus: Merz‘ Sparkurs trifft 800.000 Menschen

Pflegegrad 1 vor dem Aus: Merz‘ Sparkurs trifft 800.000 Menschen

Die Regierung plant, den Pflegegrad 1 abzuschaffen, um eine Finanzierungslücke von 2 Milliarden Euro zu schließen. Sozialverbände kritisieren den Schritt scharf und fordern stattdessen eine grundlegende Pflegereform.

Die Pflegeversicherung steht vor einem massiven Finanzloch von zwei Milliarden Euro im Jahr 2026. Als Lösung prüft die Regierung unter Kanzler Friedrich Merz nun einen radikalen Schritt: Die komplette Abschaffung des Pflegegrads 1. Laut „Merkur“ würde dieser Schritt rund 863.000 Menschen treffen, die aktuell von monatlichen Zuschüssen profitieren. Das RWI Leibniz-Institut hat errechnet, dass dadurch etwa 1,8 Milliarden Euro eingespart werden könnten – fast die gesamte Finanzierungslücke wäre geschlossen.

Wirtschaftliche Auswirkungen der geplanten Streichung

Die finanziellen Konsequenzen für Betroffene wären erheblich. Wie „Focus“ berichtet, erhalten Menschen mit Pflegegrad 1 derzeit monatlich bis zu 131 Euro Entlastungsbeitrag sowie 42 Euro für Pflegehilfsmittel. Hinzu kommen Zuschüsse für Wohnraumanpassungen, Hausnotruf und digitale Pflegeanwendungen.

In der Summe können Betroffene aktuell mit Unterstützungsleistungen von bis zu 606 Euro monatlich rechnen. Wirtschaftswissenschaftler Boris Augurzky vom RWI äußert jedoch Bedenken an der Sparmaßnahme. Er befürchtet, dass Betroffene „vermehrt in den Pflegegrad 2“ rutschen könnten, so „Focus“. Sollte dieser Effekt eintreten, würden die geplanten Einsparungen deutlich geringer ausfallen oder sogar komplett verpuffen.

Sozialverbände warnen vor gesellschaftlichen Folgekosten

Die Kritik von Sozialverbänden fällt scharf aus. „Diese Idee ist aus unserer Sicht weder zielführend noch nachvollziehbar – sie behandelt das Symptom und nicht die Ursache“, erklärte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier laut „Merkur“. Besonders brisant: „86 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen betreut.

Diese ächzen schon jetzt unter den Belastungen“, so die Expertin. Auch Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, warnt vor den Konsequenzen. Der Pflegegrad 1 wurde einst gezielt eingeführt, um demenziell erkrankte Menschen in die Pflegeversicherung einzubeziehen. Eine Abschaffung würde laut „Merkur“ gerade diese vulnerable Gruppe hart treffen.

Politische Kontroverse zwischen Union und SPD

Innerhalb der Regierungskoalition zeichnet sich bereits ein Konflikt ab. Während Unionsfraktionsvize Sepp Müller betont, man müsse „alle Instrumente ernsthaft prüfen“, positioniert sich die SPD-Fraktion klar gegen Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung, wie „Merkur“ berichtet.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hält sich derweil alle Optionen offen. „Wir werden den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen“, erklärte sie laut „RTL/n-tv“, schloss eine Abschaffung des Pflegegrads 1 jedoch nicht grundsätzlich aus. Die Regierung müsse „notwendige Änderungen vornehmen“.

Business Punk Check

Die geplante Streichung des Pflegegrads 1 ist ein klassisches Beispiel für kurzfristiges Kostendenken ohne Blick auf langfristige wirtschaftliche Konsequenzen. Was als Sparmaßnahme verkauft wird, könnte sich als teurer Bumerang erweisen: Wenn pflegende Angehörige ohne Unterstützung überlastet werden, drohen mehr Krankschreibungen und Produktivitätsausfälle in der Wirtschaft. Zudem könnten mehr Menschen in teurere Pflegegrade rutschen – die vermeintliche Einsparung würde sich in Mehrkosten verwandeln.

Der Pflegesektor braucht keine Symptombekämpfung, sondern ein nachhaltiges Geschäftsmodell, das demografische Realitäten anerkennt. Die eigentliche Frage lautet: Wie lässt sich ein zukunftsfähiges Pflegesystem finanzieren, das sowohl wirtschaftlich tragfähig als auch sozial gerecht ist?

Häufig gestellte Fragen

  • Welche wirtschaftlichen Folgen hätte die Abschaffung des Pflegegrads 1 für Unternehmen?
    Unternehmen müssen mit erhöhten Ausfallzeiten bei Mitarbeitern rechnen, die Angehörige pflegen. Ohne die bisherigen Unterstützungsleistungen steigt die Belastung für pflegende Angehörige, was zu mehr Krankschreibungen und reduzierter Produktivität führen kann. Betriebe sollten proaktiv flexible Arbeitszeitmodelle und Unterstützungsangebote für pflegende Mitarbeiter entwickeln.
  • Wie können mittelständische Unternehmen im Pflegesektor auf die geplanten Änderungen reagieren?
    Pflegedienstleister sollten jetzt alternative Finanzierungsmodelle und Servicepakete entwickeln, die die Lücke bei einem Wegfall des Pflegegrads 1 schließen können. Kooperationen mit Krankenversicherern für Zusatzleistungen und digitale Pflegelösungen bieten Chancen für innovative Geschäftsmodelle. Der Fokus sollte auf bezahlbaren Präventionsangeboten liegen, die den Übergang in höhere Pflegegrade verzögern.
  • Welche Branchen könnten von der Umstrukturierung im Pflegesektor profitieren?
    Anbieter digitaler Gesundheitslösungen und Smart-Home-Technologien für selbstständiges Wohnen im Alter stehen vor Wachstumschancen. Auch der Markt für private Pflegezusatzversicherungen dürfte wachsen. Beratungsunternehmen mit Fokus auf Pflegeorganisation und Finanzplanung können eine steigende Nachfrage erwarten, ebenso wie Anbieter von Schulungen für pflegende Angehörige.
  • Wie sollten Investoren die Entwicklungen im Pflegesektor bewerten?
    Investoren sollten die politische Unsicherheit im Pflegesektor als Risikofaktor einpreisen, gleichzeitig aber das langfristige Wachstumspotenzial durch den demografischen Wandel nicht unterschätzen. Besonders interessant sind Unternehmen, die unabhängig von staatlichen Leistungen skalierbare Pflegelösungen anbieten. Die aktuelle Diskussion könnte zu einer Marktbereinigung führen, aus der innovative Anbieter gestärkt hervorgehen.

Quellen: „Merkur“, „Focus“, RTL/n-tv