Green & Generation „Die Hitzewelle ist ein Stresstest für Deutschland – und wir sind dabei ihn zu vergeigen“

„Die Hitzewelle ist ein Stresstest für Deutschland – und wir sind dabei ihn zu vergeigen“

Und das Ganze soll dann vorgeschrieben werden – also noch mehr Vorschriften im Bau. Ist das ihre Forderung?

Das muss nicht in Regulierung münden. Es gibt jetzt schon Hitzeaktionspläne für Kommunen, die mehr den Außenraum adressieren. Für die Gebäudeplanung ist kein Gesetz nötig. Es gibt Maßnahmen, die kosten nicht viel Planung und Regulierung. Vieles liegt in der Verantwortung der Bauherren. Es gibt zahlreiche Gesetze für Wärmeschutz, Schallschutz und Energieeffizienz. Wir haben Vorgaben, um Temperaturen im Innenraum auf gewissen Niveaus zu halten. Aber wir haben kaum Vorgaben für Wetterextreme. Wir müssen Standards entwickeln, die Wetterextreme als neues Normal ansehen und wir müssen aufklären.

Aber nochmal: Das klingt alles nach neuen Vorschriften.

Wir haben schon jetzt mehr als 3000 Bauverordnungen. Wir müssen sie reformieren und reduzieren. Schauen Sie mal nach Holland: Das Baugesetzbuch kommt dort seit 2010 mit 25 Prozent weniger Regeln aus als früher. Viele Regelungen wurden komplett gestrichen. Das sorgt für Flexibilität, Geschwindigkeit und Baukostensenkung.

Unser Baurecht ist von gestern, und wir versuchen damit Ziele von morgen umzusetzen: Ressourceneffizienz, Klimaschutz, bezahlbares Bauen. Wir bauen derzeit 80 Prozent der Gebäudetypen auf Grundlage von etwa 20 Prozent der vorhandenen Gesetze. Das heißt: Wir haben extrem viele Einzelfall-Regelungen. Das ist natürlich nicht sinnvoll.

Wenn wir das alles berücksichtigen: Wird Bauen noch teurer?

Nicht unbedingt. Es gibt ein Infrastruktur-Sondervermögen. Da hinein müssen auch Klimaanpassungsmaßnahmen. Unsere Infrastruktur soll ja nicht nur ersetzt werden, sondern, besser, geschützter, klimaresilienter und damit langlebiger. Tun wir es nicht, ist es wie beim Unterlassen von Klimaschutz: Wir begehen kollektiven Selbstmord.

Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin, Professorin am Karlsruher Institut für Technologie, war Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen und Staatssekretärin im hessischen Wirtschaftsministerium.

Das Gespräch führte Oliver Stock

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